Musiktherapie und Coronakrise

Wie erleben Musiktherapeuten die Covid 19-Pandemie?
Vier Antworten 11

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Im Mai 2020 begannen wir hier im Blog mit der Aktion „Vier Fragen“. Wir baten musiktherapeutische Kolleginnen und Kollegen um ihre „Vier Antworten“. Es ging darum, zu erfahren, wie Musiktherapeut.innen die Corona-Pandemie in ihrem beruflichen und privaten Umfeld erleben, – und welche Auswirkungen die Coronakrise darauf hat. Wie hat die Pandemie den Beruf der Musiktherapeut.in verändert? Und welche möglichen Folgen für die Musiktherapie insgesamt, für die gesundheitliche Versorgung sind spürbar, beziehungsweise welche Wünsche gibt es für die musiktherapeutische Zukunft…

Zunächst möchten wir den 48 Kolleginnen und Kollegen, die sich an den 11 Ausgaben dieser Reihe beteiligt haben, sehr herzlich danken! 

Die Erfahrungen, die hier zusammengekommen sind, sind sehr weit gespannt – aus dem ambulanten wie klinischen Sektor, aus vielen Arbeitsbereichen von der Neonatologie bis zur Palliativstation, –  aus allen Teilen Deutschlands. Sie reichen von der Akzeptanz in den Kliniken bis zum Abbruch von Honorartätigkeiten, von neuen beruflichen Versuchen, aber auch von existentiellen Sorgen.

Wie ein roter Faden ziehen sich die Wünsche nach der (gesetzlichen) Anerkennung von Musiktherapie und für eine geregelte gesundheitliche Versorgung in allen Bereichen. 

Mit dieser elften Ausgabe beenden wir die Frageaktion, verbunden mit der Hoffnung, dass sich unsere gesellschaftliche Situation in der Corona-Pandemie weiter verändern wird – zum Beispiel dadurch, dass sich noch mehr Menschen impfen lassen werden und auch die Hygieneregeln weiter einhalten.

In diesem elften und letzten Teil der Umfrage antworten: Constanze Rüdenauer-Speck, Eva Stolper, Nicola Tinnefeld, Mark Roman Wickham, Lars Fromme – sowie Elka Aurora, die die Fragen auch für die erste Folge vom 7. Mai 2020 beantwortet hatte und eingeladen wurde, nach gut einem Jahr erneut Bilanz zu ziehen.

Vier Fragen an ... Constanze Rüdenauer-Speck, Fischen

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01 Was hat sich in Ihrem Leben seit Corona verändert?

Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich zuhause, statt Arbeiten in der Klinik. Meine Corona-Warn-App zeigte mir gestern Abend eine nahe Begegnung mit einer mir nicht bekannten, infizierten Person an und ich musste mich sicherheitshalber heute Morgen testen lassen. Hätten Sie sich diese Realität vor 2020 vorstellen können? Freunde treffen, Feste feiern, ins Konzert gehen oder einfach mal einen lieben Menschen umarmen – was selbstverständlich war, geht nicht mehr oder schwer oder nur mit Einschränkungen. Die teils auf ein Minimum reduzierten sozialen und kulturellen Kontakte stellen für mein Empfinden den größten Mangel dar und ich spüre langsam eine immer stärker werdende Sehnsucht nach meinem früheren Leben, das nicht von AHA-Regeln, Inzidenzwerten oder Hospitalisierungsraten bestimmt war. Meine an Alzheimer Demenz erkrankte Mutter wurde durch den mangelnden Kontakt im Lockdown und den seither sehr begrenzten Besuchszeiten des Pflegeheims gänzlich sprachlos. Familienfeste wurden gar nicht gefeiert, verschoben oder fanden nur im ganz kleinen, „abgezählten“ Rahmen statt. Und es ist noch kein Ende in Sicht. ‚Wahnsinn‘.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Ich arbeite (nach wie vor) 80% in einer Rehaklinik für chronisch kranke Kinder und Jugendliche in den Alpen. Hier habe ich die vorübergehende Schließung zu Beginn der Pandemie erlebt, die schrittweise Wiederöffnung im Sommer 2020, eine sehr anstrengende Zeit im letzten halben Jahr (mit zwar weniger Patienten, aber dafür erhöhtem Aufwand durch die Trennung in Kohorten) und aktuell steht leider erneute Kurzarbeit an. Rehakliniken sind weiterhin stark betroffen von der Pandemie, man geht aus verschiedenen Gründen weniger zur Reha oder zögert den Antrag hinaus. Ich fühle mich erschöpft von erschwerten Arbeitsbedingungen (FFP2 Maske, Teamsitzungen nur noch Online, kaum persönliche Kontakte in den Pausen). Aber: Was ich schon 2019 angestoßen hatte, nämlich den Bau eines Outdoor- Klanggartens für die Musiktherapie, konnte die Klinik 2020 verwirklichen und der Klanggarten ist ein Segen in dieser Zeit. Dies lässt das stumm in der Ecke stehende Alphorn, die im Schrank verstauten Flöten und das nicht mehr stattfindende ‚Heilsame Singen‘ für Eltern etwas verschmerzen! Hier treffen wir uns ohne Masken und spielen mit Grand Marimba, Mandalaphon, Djemben und zwei Meter hohen Chimes vor traumhafter Alpenkulisse, begleitet vom Plätschern des Gebirgsbachs und dem Läuten der Kuhschellen. Die Natur als Co- Therapeutin gibt ihr Bestes, um das gemeinsame Improvisieren emotional noch tiefer wirken zu lassen. Das genießen nicht nur die Kinder und Jugendlichen…

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Die Erschütterung des sozialen Umfelds und der gewohnten Strukturen durch Corona hat auch den Bedarf an emotionaler Unterstützung durch Musiktherapie in der Krankheitsbewältigung erhöht. Da helfen Salbe oder Pille allein nicht. Ich erlebe seit Corona, wie Kinder, Jugendliche und Eltern vermehrt große Ängste, familiäre Konflikte, existentielle berufliche Sorgen und depressive Verstimmungen mitbringen. Das sehe ich als Chance: Die Menschen sind sehr dankbar für das (Nach)Nähren emotionaler Bedürfnisse, für das vielleicht auch überraschende Moment der Berührung durch Klang, in einer Welt, in der Berührung nicht (mehr) erlaubt ist. Nähe und Verbundenheit in der Musiktherapie spüren zu können, schenkt eine tief ergreifende Erfahrung und gerade jetzt eine sehr kostbare. Dies nehmen unsere Patienten und Patientinnen mit, und hoffentlich sagen sie es weiter! Dazu ermuntere ich im Abschlussgespräch immer wieder. Patientenstimmen zu hören, wirkt. Hören wir also nicht auf, auf uns aufmerksam zu machen – nicht nur auf gesundheitspolitischer Ebene und gerade jetzt.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass, wenn ich gefragt werde, was ich beruflich mache, mein Gegenüber sofort weiß, was das ist! Ich wünsche mir, dass Menschen, die in der Klinik von der Musiktherapie profitierten, eine weiterführende ambulante Behandlung einfach finden können (mehr ambulante Praxen) und dass diese wie Logopädie, Physiotherapie oder Ergotherapie selbstverständlich von den Kassen bezahlt wird! Ich wünsche mir, dass jede Musikschule auch ein musiktherapeutisches Angebot führt, welches niederschwellig und ohne Stigma Kinder und Jugendliche in verschiedenen Bereichen fördert. Und ich wünsche mir, dass Musiktherapie im Pflegeheim nicht bedeutet, es dudelt ein Alleinunterhalter an der Orgel Volkslieder im Akkordtempo (habe ich so erlebt), sondern Menschen werden in ihren individuellen Bedürfnissen gesehen und eine fachlich fundierte Musiktherapie darf all das leisten, was wir Musiktherapeuten und Musiktherapeutinnen wissen, was sie kann: Wo Musiktherapie draufsteht, soll auch Musiktherapie drin sein.

Vier Fragen an... Eva Stolper, Düsseldorf/ Duisburg

Wie erleben Musiktherapeut.innen die Pandemie. Vier Fragen Eva Stolper

Um ehrlich zu sein hat sich in meinem Leben seit Corona wenig verändert. Klar gab es Kontaktreduktionen im Freundeskreis und vermindertes Verkehrsaufkommen auf den Straßen Düsseldorfs, dies alles ist aber nun kaum mehr zu spüren. Was geblieben ist: die Maske. Mal in Blau, mal in Weiß – je nach Anforderung. Und um ehrlich zu sein – so langsam kann ich es auch nicht mehr hören. 😉 

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Als Musiktherapeutin in einem festen Angestelltenverhältnis war ich zum Glück von keinen finanziellen Einbußen aufgrund von Therapieausfällen betroffen – anders als viele ambulant arbeitende Kollegen.

Für eine Zeit gab es in unserer Klinik eine reduzierte Belegungszahl, was natürlich auch in den therapeutischen Gruppen zu spüren gewesen ist. Habe ich weniger Patienten in einer Gruppe ist es möglich, das therapeutische Setting großzügiger zu gestalten und mehr Raum für den einzelnen Patienten und das Erfahren im Hier und Jetzt zu lassen. Im ansonsten sehr getakteten Klinikalltag waren hierdurch teils intensivere therapeutische Prozesse möglich.

Auch verändert hat sich natürlich die Arbeit mit der Maske. . Für mich ist die nonverbale Kommunikation hierdurch noch wichtiger geworden – einen Beziehungsverlust zum Patienten erlebe ich jedoch nicht. 

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona? 

Die Corona-Pandemie hat nach meiner Ansicht keinerlei Auswirkungen auf die ‚Chancen‘ der Musiktherapie. Viel eher stellt sich die Frage ob es ein ‚nach Corona‘ geben wird und ob es nicht vielmehr darum geht, mit den auftretenden Veränderungen des Lebens umzugehen. Für mich fast die Kernerfahrung der Musiktherapie.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Ich wünsche mir selbstbewusste, gut ausgebildete Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten, die sich ihrer Profession bewusst sind, für ihre Qualität und ihre Arbeit einstehen und diese kompetent nach außen vertreten. Fehler macht jeder – wagen müssen wir es selbst!

Vier Fragen an... Nicola Tinnefeld, Dortmund

Wie erleben Musiktherapeut.innen die Pandemie. Vier Fragen an Nicola Tinnefeld

Die Pandemie begleitet uns jetzt schon ganze Weile und rückblickend auf die gesamte Zeit kann ich sagen, dass sich bei mir so eine Art dauerhafte Vorsicht eingeschlichen hat. Ich bin vorsichtig, wenn ich mit anderen Menschen in Kontakt trete, halte Abstand, fühle mich unbehaglich, wenn ich mich mit vielen Menschen in einem geschlossenen Raum befinde.

Natürlich spielt dabei auch eine Rolle, dass ich mit alten und kranken Menschen arbeite und diese nicht anstecken möchte.

Ich bin gespannt, wie das weitergeht und wann ich wieder ohne „angezogene Handbremse“ in einem großen Konzert stehen und dicht an dicht mit vielen Menschen Musik genießen kann.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Zunächst einmal hatte ich das Glück, dass ich mit einer festen Stelle in einer geschlossenen gerontopsychiatrischen Wohneinrichtung arbeite und nicht mit beruflichen Existenzängsten konfrontiert wurde. Ich galt sozusagen als „systemrelevant“.

Bezüglich meiner musiktherapeutischen Arbeit veränderte sich sehr viel. Wir Therapeut.innen aus verschiedenen Fachrichtungen wurden jeweils einem Wohnbereich zugeordnet und ich konnte nur noch mit einem kleinen Kreis von zehn Bewohnerinnen und Bewohnern, denjenigen, die eben auf diesem Wohnbereich wohnten, arbeiten. Alle übergreifenden musiktherapeutischen Angebote wie beispielsweise Chor fanden nicht mehr statt.  

Das Gute war: Ich durfte singen, zwar mit Maske, aber ich konnte meine Stimme gebrauchen. Die Maske habe ich nicht als besonders störend empfunden und ich hatte auch das Gefühl, dass unsere Bewohner.innen trotz ihrer dementiellen Erkrankung die Maske innerhalb der Musiktherapie ganz gut annehmen konnten. Vielleicht liegt darin die spezielle Kraft der Musik, dass sie auch über räumliche Distanz und visuelle Barrieren hinaus ein Gefühl der Verbundenheit erzeugen kann.

Durch die Zuordnung zu einem Wohnbereich war ich viel mehr in das Pflegeteam und somit auch in tagesstrukturierende Maßnahmen und in die Alltagsbetreuung der Bewohner.innen eingebunden. Diese Tätigkeiten gehörten auch vor der Pandemie zu meinen Aufgaben, aber in dieser „Verdichtung“ fühlte ich mich irgendwann gar nicht mehr in meiner Rolle als Musiktherapeutin wahrgenommen, sondern eher als zusätzliche Betreuungsassistentin, die ab und zu mal singt.

Das hat letztendlich dazu geführt, dass ich mich noch einmal hinterfragt habe und überlegt habe: „Ist es das, was du machen möchtest, auch in Zukunft?“ So habe ich mich entschieden, mir eine neue Stelle zu suchen, in der ich ausschließlich als Musiktherapeutin arbeite. Diese konnte ich im September erfreulicherweise antreten.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Ich hoffe, dass die Abwesenheit der Musiktherapie in den Altenheimen und auch in anderen Einrichtungen den Pflegenden und Leitenden bewusst gemacht hat, wie sehr sie fehlt, wenn sie plötzlich nicht mehr da ist. Ich denke, gerade in stressigen, angespannten Zeiten kann der bewusste Einsatz von Musik auf den Stationen auch atmosphärisch allen Beteiligten zugutekommen.

Inwieweit die Pandemie die Chancen der Musiktherapie darüber hinaus verändern könnte, ist schwer zu beantworten. Derzeit werden immer häufiger die psychischen Folgen der kontaktarmen Zeit, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, thematisiert. Möglicherweise kann der unmittelbare Kontakt beim Musikmachen hier einen Gegenpol zu den Erfahrungen von Distanz und Rückzug in die digitale Welt bilden.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Konkret auf meinen Arbeitsbereich bezogen wünsche ich mir, dass die Musiktherapie als fester Bestandteil des Behandlungskonzeptes auf den gerontopsychiatrischen Stationen der Kliniken und in den geriatrischen Einrichtungen implementiert wird. Für alle selbständig arbeitenden Kolleginnen und Kollegen wünsche ich mir angemessene Honorare und gute Finanzierungsmöglichkeiten.

Ich verfolge mit Interesse die Leitlinienarbeit der beteiligten Kolleg.innen und hoffe, dass die Musiktherapie so langfristig in allen relevanten Bereichen gestärkt, anerkannt und letztendlich finanziert wird.

Vier Fragen an... Mark Roman Wickham, Berlin

Wie erleben Musiktherapeut.innen die Pandemie. Vier Fragen Mark Roman Wickham

Mein Blick für das Wesentliche wurde durch die Pandemie verschärft. Vieles ist passiert seitdem sie begonnen hat: Meine Familie in den USA habe ich seit Oktober 2019 nicht mehr gesehen, eine kleine Nichte habe ich dadurch noch nicht kennengelernt. Trotz vielfältiger negativer Konsequenzen der Lock-Downs hat sich auch einiges durch die allgemeine Entschleunigung der Gesellschaft zum Positiven verändert. In meinem Leben drückte sich das dort aus, wo es um den Stellenwert von Selbstfürsorge, Wahrnehmung eigener Prioritäten, und die Bedeutung von ‚Zuhause‘ geht. Gekocht habe auch ich viel mehr als je zuvor.

Besonders die Musik diente mir als Stütze im Laufe der Pandemie. Das Zusammenspiel mit anderen fiel über lange Lockdown-Strecken größtenteils weg. Im Zuge dessen habe ich mich im Proberaum darin geübt zu singen und mich mit meinem eigenen Instrument (Kontrabass) dabei zu begleiten. Audio- und Videoaufnahmen halfen mir, das Zusammenspiel von Stimme und Bass zu analysieren und dadurch eigene Lieder weiterzuentwickeln. Meine Spielhaltung und die Haltung zur Spielsituation selbst hat sich hierdurch deutlich entspannt und zugleich stärker fokussiert –  trotz der Lock-Downs.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Ganz konkret hat sich einiges bewegt im Zuge der werdenden Pandemie. Im Januar 2020 hatte ich mich schon entschlossen, aus sämtlichen Bühnen-Projekten als freiberuflicher Musiker auszusteigen, um mich neben der klinisch-psychiatrischen Tätigkeit (ca. 70%) stärker auf Studioaufnahmen zu konzentrieren. Ein wichtiges Aufnahmeprojekt mit einem bekannten Toningenieur fiel dann Mitte März 2020 dank der beginnenden Krise glatt ins Wasser. Im Sommer nach Beginn der Pandemie kam einen Jobwechsel hinzu und meine Arbeitszeit reduzierte sich vorübergehend auf 50%. Um den Jahreswechsel 2020 kam es nach Erkrankung zu einer Auszeit durch Quarantäne und langwieriger Genesung.  

Ferner hat sich durch all diese Dinge vor allem meine Einstellung zum Berufsalltag verändert. Ich beobachte, wie klinische Abläufe und Strukturen mich heute weniger frustrieren, bzw. vom wesentlichen Kern der Arbeit ablenken als vor einem Jahr. Ich nütze meine Zeit effizienter und halte die wichtigsten Prioritäten zuallererst im Blick, um meine Energie entsprechend einsetzen zu können. Dies stärkt meiner Meinung nach die therapeutische Haltung und bereichert den Beziehungsaufbau zu meinen Klient_innen.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona? 

Nichts ist menschlicher als die Gemeinschaft. Musiktherapie und die künstlerischen Therapien im Allgemeinen fördern diesen Aspekt menschlicher Resilienz wie kaum eine andere Therapieform, und zwar auf besonders feinfühliger Ebene. Die mit psychischer Erkrankung einhergehende Vereinsamung und Isolation sind so einschneidend, dass viele Klient.innen klinischer Musiktherapie kaum vorbereitet sind auf die Resonanz, die sie hier erleben. Dabei zeigt sich das Bedürfnis nach Gemeinschaftserfahrung in dieser Zeit als besonders lebenswichtig, nicht nur für Menschen, die an Erkrankungen leiden, sondern für uns alle.

Ich sehe der Musiktherapie eine ganz besondere Vorreiter-Rolle im Aspekt der Vernetzung klinischer Therapieformen sowie interdisziplinärer Fachgruppen und Patientenvertreter.innen im Rahmen des ‚New Normals‘ zukommen. Ich bin der Meinung, dass das menschliche Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zusammenhalt vielen im Laufe der Pandemie klarer geworden ist. Dies drückt sich in letzter Zeit weltweit in Live-Streaming, Open-Air und Balkon-Konzerte aus, aber auch auf der Straße, etwa durch Protestbewegungen und Demos wie im Rahmen der Berliner Krankenhausbewegung für mehr Personal und faire Bezahlung im Gesundheitswesen.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Ich wünsche mir einen Perspektivenwechsel für die Musiktherapie in Deutschland: Es braucht dringend eine Verwandlung des Selbstbildes vom hässlichen Entlein der deutschen Kliniklandschaft hin zu einem Selbstbewusstsein der eigenen Stärke als international vernetzte Fachgemeinschaft. Die deutsche Tradition der Musiktherapie, die auch durch den Mentorenkurs Witten-Herdecke Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts begonnen wurde, kann und soll von den nächsten Generationen der Musiktherapeut.innen in Deutschland weitergetragen werden. Es braucht dazu weiterhin eine klare Kommunikation, die heterogene Prioritäten berücksichtigen und klare Ziele daraus trotzdem ableiten kann.

Vier Fragen an... Lars Fromme, Bexbach

Wie erleben Musiktherapeut.innen die Pandemie. Vier Fragen Lars Fromme

Die Proben in dem Laienorchester, in dem ich mitwirke, konnten nur sehr eingeschränkt stattfinden. Seit Ende Oktober 2020 durften wir gar nicht mehr zusammenkommen. Kontakte, Treffen usw. waren nicht mehr möglich, konnten nur digital durchgeführt werden.

Wir waren immer in Sorge, unsere Mitmenschen, insbesondere unsere hochbetagten Mütter, anzustecken.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Als die Corona-Krise begann, habe ich noch in der psychiatrischen Klinik in Neunkirchen gearbeitet. Wir durften keine ambulanten Patienten/Innen mehr behandeln, vollstationären Patienten/Innen war es nicht mehr möglich, in die Räumlichkeiten der Musiktherapie zu kommen, das heißt, alle Aktivitäten konnten nur noch auf den jeweiligen Stationen stattfinden. Wir mussten alle entsprechende Schutzkleidung anziehen. Die einzigen Patienten/Innen, die noch in die Musiktherapie kommen durften, waren die aus der Tagesklinik, allerdings in begrenzter Anzahl unter Einhaltung der Abstandsregeln und mit Masken. Zum 31. Mai 2020 wurde ich berentet.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona? 

Die Chancen für Musiktherapie insgesamt sehe ich positiv. Mittlerweile gibt es mehr Studien über die Wirksamkeit von Musik bei verschiedenen Krankheiten, es gibt qualifizierte Ausbildungsstätten für Musiktherapie in Deutschland und innerhalb der EU, außerdem wird Musiktherapie insbesondere im klinischen Bereich und im Behindertenbereich stark nachgefragt. Was den ambulanten Bereich betrifft, existiert immer noch das Verbot der Kostenübernahme von Musiktherapie für die gesetzlichen Krankenkassen durch den G-BA, das eine hohe Hürde darstellt und in meinen Augen nicht gerechtfertigt ist. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor besteht darin, wie es mit dem Heilpraktikergesetz weiter geht.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass das oben angesprochene Verbot des G-BA entfällt, dass die Methodenvielfalt der Musiktherapie weiterhin gewährleistet ist mit entsprechenden Qualitätskontrollen und dass viele Patienten/Innen von der Arbeit der Musiktherapeutinnen und -Therapeuten profitieren mögen.

Vier Fragen an... Elka Aurora, Wiesbaden

Elke Aurora, Musiktherapeuten in Coronakrise

Der Sommer hat gut getan und privat ist so etwas wie Normalität eingekehrt. Treffen mit Freund*innen stellen kein Problem mehr dar. Die meisten meiner Bekannten sind geimpft. Beruhigung ist eingekehrt. Ich kann meine Mutter wieder umarmen. Das erste Picknickkonzert war ein ganzheitliches Fest für die Sinne und die Seele. Meine Band kann wieder proben – wenn wir auch noch vorsichtig sind, Konzerte zu planen. Es ist so, als ob wir uns noch absolut genügen. Maske tragen beim Einkaufen oder Bahnfahren ist erträglich. Theater und Konzerte sind wieder möglich, allerdings nervt mich da das Tragen der Maske schon – da könnte ich nun in die Diskussion 2G versus 3G einsteigen, aber ich lasse das Fass besser zu. Eigentlich ist diesbezüglich ja auch schon alles gesagt…

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Im beruflichen Kontext verhält es sich anders . In der psychiatrischen Klinik wird mit einem konsequenten Hygienekonzept gearbeitet. FFP2 Masken, Kasacks, Abstandsregelungen usw. in allen Therapien, Teambesprechungen und Supervisionen sind Pflicht. Dafür sind die Gruppen wieder größer, die Tagesklinik wieder geöffnet. Ich stehe hinter diesem Konzept. Leider kann man bei einer Impfquote von 66% nicht auf die Hygieneregeln verzichten und in einem Krankenhaus müssen alle Menschen (Geimpfte wie Ungeimpfte) behandelt werden.

Das was für mich zu Beginn eine Ausnahmesituation und mit einem „Da müssen wir jetzt gemeinsam durch“ und „Das wird sich auch wieder ändern“ auszuhalten war, wird zunehmend ein Problem. Mir fehlt das Arbeiten mit der Stimme. Besonders auf der Akutstation, wo mir keine Instrumente zur Verfügung stehen, probiere ich mit rezeptiven Methoden klar zu kommen. Aber ich fühle mich damit einfach nicht zu Hause. Ältere Patient*innen haben verständlicherweise Probleme damit Maske, Brille und ggf.Hörgeräte hinter ihren Ohren unterzubringen. Auch  sie sind genervt. Andere Patient*innen haben Schwierigkeiten deutlich zu sprechen. Die Patient*innen essen noch immer auf ihren Zimmern, die Gemeinschaft fehlt und das merkt man auch in den Therapien. Es ist viel Basis-, Kontakt- und Kommunikationsarbeit zu leisten. Ich selbst werde schneller müde und verliere die Freude an der Arbeit. Dabei fällt mir auf, dass ich doch sehr viel mit der Stimme gearbeitet habe. Singen mit FFP2 Maske geht für mich aber nicht.

Bezüglich der Teams habe ich das Gefühl, weniger verbunden zu sein. Ich weiß noch nicht sicher, ob das auch durch die Pandemie gekommen ist. Es wird sich zeigen, ob teambildende Maßnahmen bald wieder stattfinden und das Gefühl des Getrennt-seins wieder verändern.

In der eigenen Praxis ist es hingegen jedes mal eine neue Situation, die genau besprochen werden muss. Der Impfstatus, die Hygieneregeln, Lüftungspausen, Desinfektion etc. sind alles Dinge, die mich tagtäglich beschäftigen. Ich habe Klientel verloren (weil sie sich z.B.nicht an  3G Regeln halten wollten) und Klientel dazugewonnen, da der Bedarf gestiegen ist.

Und dann besteht die Ungewissheit weiter: gibt es eine vierte, fünfte, sechste Welle, gibt es weitere Varianten, weitere lockdowns? Wie lange hält die Wirkung der Impfung an? Wer kann, darf, muss, soll geboostert werden? Das alles trägt nicht zur Beruhigung bei.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona? 

Der Bedarf ist größer geworden. Es gibt mehr seelische Erkrankungen, mehr Menschen, die in Krisen geraten sind, deren Systeme weggebrochen sind, die sich neu orientieren müssen. Hinzu kommt, dass wir Long-Covid noch nicht einschätzen und auch die Langzeitwirkung des Lockdowns (vor allem auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene) nicht absehen können. Ob sich da eine Chance für die Musiktherapie ergibt, liegt in erster Linie an der Politik, an der Bezahlung innerhalb des Krankheitssystems – wobei wir schon bei der nächsten Frage sind:

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Der Vorstand der DMTG arbeitet mit Hochdruck und unfassbar viel Geduld an der Klärung unseres Berufsstandes. Dafür an dieser Stelle nochmal meine Hochachtung. Ich wünsche mir für die Musiktherapie, dass die Musiktherapeut*innen den Weg unterstützen, z.B. indem sie sich zertifizieren lassen.

Wir bedanken uns bei allen Autor.innen der Serie für ihre Antworten!

Die bisherigen zehn Folgen im Überblick:

Vier Antworten von Elka Aurora, Silke Kammer, Yuka Kikat und Dr. Johannes Unterberger (7. Mai 2020); Vier Antworten 2 von Inga Auch-Johannes, Sandrine Doepner, Lena Eliaß und Dorothea Käding (8. Juni 2020); Vier Antworten 3 von Susanne Heinze, Sandra Schneider-Homberger, Verena Lodde, Gustav von Blanckenburg und Gaby Flossmann (6. Juli 2020); Vier Antworten 4 von Holger Selig, Ursula Senn, Britta Sperling, Stephanie Scaleppi, und Daniela Goebel (11. August 2020); Vier Antworten 5 von Agnes Brazsil, Dani Koppe, Dirk Kreuzer und Julia Tostmann (10. September 2020); Vier Antworten 6 von Maria Grohmann, Flora Kadar und Sandra Wallmeier (19. Oktober 2020); Vier Antworten 7 von Dr. Boris Becker, Sarah Bonnen, Eva-Maria Holzinger und Sophie Kitschke, aus Santiago de Chile (27. November 2020); Vier Antworten 8 von Katja Gieselmann-Klose, Heike Hund, Oliver Schöndube, und Ilka Waldmann (19. Januar 2021); Vier Antworten 9 von Stefan Graw, Astrid Güting, Anke Lechner und Angelika Stieß-Westermann (31. März 2021); und Vier Antworten 10 von Hartmut Göbel, Tibor Kresse, Sabine Pranz, Katrin Pumplün, und Anna-Katharina Winkelmann (15. Juni 2021).

Autor.innenfotos: die Rechte liegen bei den Autor.innen.

Headerfoto: pxhere

Volker Bernius

Volker Bernius

Volker Bernius, Studium der Theologie, Musik, Psychologie. Seit 1979 Redaktionsmitglied der Musiktherapeutischen Umschau, ab 1986 Chefredakteur, Beisitzer im Vorstand der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft: Von 1981 bis 2015 Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsredakteur Hessischer Rundfunk, Mitgründer und Fachbeirat der Stiftung Zuhören, Journalist, Autor, Herausgeber, Dozent.

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