Musiktherapie und Coronakrise

Wie erleben Musiktherapeuten die Covid 19-Pandemie?
Vier Antworten 2

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Autor: Volker Bernius – 

Die aktuelle Situation ist aufgrund des Umgangs mit der Corona-Pandemie für jeden herausfordernd, weil sie Leben und Arbeit verändert: Nicht nur Improvisation ist gefragt, sondern auch Geduld, Achtsamkeit und Phantasie.

Wir haben einige Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten angeschrieben und jeweils vier Fragen gestellt. Entstanden sind aktuelle Bestandsaufnahmen der letzten Monate. Sie können Anregungen und Hinweise geben für den Umgang mit den neuen Gegebenheiten und Problemen, mit denen wir alle so oder ähnlich konfrontiert sind.

Die persönlichen Einblicke dürften auch Ausblicke auf eine sich vielleicht verändernde – erneuernde? -Musiktherapie sein.

In diesem zweiten Teil der Umfrage antworten: Inga Auch-Johannes, Sandrine Doepner, Lena Eliaß und Dorothea Käding.

Vier Fragen an ... Inga Auch-Johannes, Winsen (luhe)

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Inga Auch-Johannes
01 Was hat sich in Ihrem Leben seit Corona verändert?

Mitte März habe ich mich für acht Wochen in Selbstisolation begeben. Da ich keine Langweile kenne, war das überhaupt kein Problem für mich. Ich habe mich in meiner Freizeit um die kleine Blumenzucht gekümmert, und Ausflüge z.B. in die naheliegende Elbaue waren ja auch erlaubt. Trotzdem schade, dass meine Theaterbesuche und das eigene Spielen ausfallen mussten und ich auch nicht zu den Bayreuther Festspielen fahren werden kann.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Ab Mitte März habe ich für sechs Wochen meine häusliche Praxis geschlossen und auch alle ambulanten Termine eingestellt. Dann bin ich so richtig in das Schreiben der letzten Kapitel meiner Dissertation eingetaucht und konnte sie inzwischen einreichen.

Die jetzigen Veränderungen in der digitalen Welt und unsere vermehrte Nutzung virtueller Treffen wie beim letzten Online-Doktorandenkolloquium und eine Disputation eines Kommilitonen im „gemischten Setting“  habe ich als spannend und gleichzeitig auch als anstrengend empfunden. Aber das waren doch Lösungen!

Seit Mai sehe ich meine Patient.innen wieder – auf meiner Terrasse, in Parks oder auch ambulant mit einfach genügend Abstand. Meine PatientInnen mit Demenz im stationären Bereich habe ich leider noch nicht wieder besuchen dürfen.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Ich sehe kaum Veränderungen, die KollegInnen werden vermutlich schnell den alten Zustand wiederherstellen wollen. Vielleicht werden manche jetzt praktizierte ungewöhnliche Therapieorte (s. Frage 02) in den Alltag Eingang finden. Aber bei MusiktherapeutInnen, die mit Menschen mit Demenz arbeiten, wäre das auch keine wirkliche Herausforderung oder Veränderung.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Da wiederhole ich meinen ganz alten Wunsch: die längst fällige Anerkennung von Musiktherapie als Kassenleistung!

Vier Fragen an... Sandrine Doepner, Schöngeising

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Sandrine Doepner

Ich besinne mich mehr auf mich und meine Familie, verbringe mehr Zeit in der Natur, bin wieder mehr mit ihnen zusammen, da ich weniger arbeiten muss.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Da ich vorher unter anderem in einem Seniorenheim gearbeitet habe, hat sich viel geändert. 10 Stunden pro Woche sind ersatzlos gestrichen worden.

Musikunterricht (Querflöte) findet nun online statt, Therapiestunden mit Kindern fallen aus. Ich telefoniere ab und zu mit ihnen, um mich nach ihrem Wohl zu erkundigen. Der persönliche Kontakt zu den Klienten fehlt.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Vermutlich wird es viele Kinder geben, die sehr unter der Zeit gelitten haben. Klienten gäbe es genug. Es stellt sich die Frage, wie die Stunden finanziert werden können. Viele Menschen leiden vor allem finanziell an dieser Krise. In welcher Form wird Musiktherapie stattfinden dürfen und entspricht diese Form einem klientengerechten Setting. Ich bin da grundsätzlich erstmal für alles offen, dennoch bräuchte es vermutlich mehr Unterstützung von oben, um danach bestmöglich starten zu können.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Ich wünsche mir sehr, dass Musiktherapie von den Kassen übernommen werden kann und somit eine Leistung wird, die von allen Schichten in Anspruch genommen werden kann. Musik hat viele Möglichkeiten, Menschen zu helfen, besonders in und nach solchen Krisen. Die Kinder machen es uns vor. Heute beim Einkaufen sang ein kleines Kind mit Mundschutz laut zur Musik mit. Völlig unbeschwert…

Vier Fragen an... Lena Eliass, oldenburg

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Lena Eliaß

Viel Zeit verbringe ich jetzt zu Hause, im Garten und in der Sonne. Wir wurden ja weitestgehend mit wunderbarem Wetter verwöhnt. Die meiste Zeit habe ich mehr Gelassenheit, da die meisten Dinge absolut unplanbar geworden sind. Dinge, die vor Wochen völlig absurd klangen, sind plötzlich und unerwartet eingetroffen. Und trotzdem geht das Leben weiter. Manchmal gibt es einen kleinen Rappel, aber mit ein bisschen Abwechslung gehts am nächsten Tag wieder weiter. Ich warte allerdings noch darauf, die Motivation und die Energie aufzubringen, um mich wieder mehr meinem privaten Musizieren zu widmen.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Es gibt weniger Austausch mit unterschiedlichen Berufsgruppen – was für die Reha-Patienten leider sehr von Nachteil ist. Dafür mehr Kontakt mit der eigenen Berufsgruppe und Bürokolleginnen. Für die Patienten stehen jetzt Gespräche mehr im Fokus, manchmal gemeinsame Telefonate mit Angehörigen. 

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Berufspolitisch erwarte ich keine großen Veränderungen. Die meisten Festangestellten dürfen weiterarbeiten, da sie “systemrelevant” sind. Wie es für die freiberuflich Tätigen aussieht, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist es auch sehr unterschiedlich, wie sie finanziell aufgestellt sind.

Spannender wird für mich die Frage, wie die Krankenhäuser aus der Krise herauskommen –ob die Politik ihre Versprechen hält und alle finanziellen Schäden, der den Kliniken aktuell entsteht, kompensiert. Ansonsten wird das sicher Stellen kosten. 

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Wenn ich schonmal bei Wünsch-dir-was bin, dann richtig:

Gute, großangelegte Studien, die für viele Diagnosen und Indikationen den Erfolg von Musiktherapie verdeutlich können.
Musiktherapie soll Einzug in alle relevanten S-3-Leitlinien haben.

Außerdem die Streichung von der Negativliste, Abrechenbarkeit der Musiktherapie mit allen Krankenkassen im ambulanten Setting  für viele Patientengruppen und Zugang zur Musiktherapie für alle Betroffenen von schwerwiegenden oder länger anhaltenden gesundheitlichen Einschränkungen.

vier fragen an... Dorothea Käding, Hamburg

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Dorothea Käding

Um etwas positives zu nennen: Mein Alltag ist um einiges entspannter. Ich habe weniger Termine, die Autobahn ist frei, und ich erreiche meinen Arbeitsplatz sehr viel schneller. Sehr schmerzlich für mich war allerdings, dass ich meine Mutter vor ihrem Tod im Heim nicht mehr besuchen konnte.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Ich arbeite in einer psychiatrischen Klinik. Die Atmosphäre ist recht angespannt. Wir bekommen täglich ein Update mit neuen Informationen zu Corona und neuen Dienstanweisungen. Da ich überwiegend tagesklinisch arbeite, findet die Behandlung der PatientInnen über telefonische Kontakte statt, was die meisten erstaunlich gut tolerieren. Für die verbleibenden stationären PatientInnen, ist die Situation sehr belastend, mit Besuchsverboten und strengen Ausgangsregelungen. Die Bewältigung dieses schwierigen Zustandes spiegelt sich in der Musiktherapie deutlich wieder. Die Musiktherapie findet in reduzierter Form statt, in sehr kleinen Gruppen. Das Instrumentarium ist auf ein gut desinfizierbares beschränkt worden, und auch auf das Singen muss verzichtet werden. Selbstverständlich arbeiten wir mit Nasen-Mundschutz. Die Regulierung von Nähe und Distanz, im therapeutischen Zusammenhang immer ein wichtiges Thema, bekommt jetzt noch eine ganz neue Bedeutung. Glücklicherweise werden wir mit etwas verändertem Konzept absehbar auch wieder tagesklinische Patient.innen face to face behandeln können.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Durch die Medienpräsenz der vielen Initiativen von MusikerInnen und MusiktherapeutInnen mit den tollen Musikvideos, dem Balkonsingen u.ä., wird einer breiteren Öffentlichkeit sicher einmal mehr bewusst, wie existentiell bedeutsam Musik für das emotionale Gleichgewicht ist. Ich denke, dass dies auch den Stellenwert der Musiktherapie deutlich macht und hoffentlich positiv beeinflussen wird.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Die Anerkennung von den Kassen als Psychotherapie, eine angemessene Bezahlung für qualifizierte MusiktherapeutInnen, wieder mehr feste Stellen in Einrichtungen/ Kliniken und einen sicheren Platz in der Therapielandschaft.

Wir bedanken uns bei den Autor.innen für die Antworten. Auch nach diesem zweiten Teil setzen wir die Reihe gerne weiter fort: Wenn Sie, liebe Musiktherapeut.innen, auch die Fragen beantworten möchten, schicken Sie diese bitte an blog@musiktherapie.de.

Hier geht es zum ersten Teil der Vier Antworten von Elka Aurora, Silke Kammer, Yuka Kikat und Dr. Johannes Unterberger. 

Autor.innenfotos: die Rechte liegen bei den Autor.innen.

Headerfoto: pxhere

Volker Bernius

Volker Bernius

Volker Bernius, Studium der Theologie, Musik, Psychologie. Seit 1979 Redaktionsmitglied der Musiktherapeutischen Umschau, ab 1986 Chefredakteur, Beisitzer im Vorstand der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft: Von 1981 bis 2015 Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsredakteur Hessischer Rundfunk, Mitgründer und Fachbeirat der Stiftung Zuhören, Journalist, Autor, Herausgeber, Dozent.

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