Autor: Volker Bernius –
Leben und Arbeit sind seit Monaten verändert und verändern sich weiter.
Die Corona-Pandemie beschäftigt uns alle immer wieder neu. In der Musiktherapie sind die Erfahrungen sehr weit gespannt: von Weiterarbeit und Akzeptanz in Kliniken bis zu Reduktion und Abbruch von ambulanter Arbeit oder Honorartätigkeiten in Einrichtungen. Nicht nur Improvisation ist gefragt, sondern auch Geduld, Achtsamkeit, Mut, Durchhaltevermögen und Phantasie.
Wir haben seit Mai 2020 Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten jeweils die gleichen vier Fragen gestellt. Entstanden sind aktuelle Bestandsaufnahmen der letzten Monate. Sie können Anregungen und Hinweise geben für den Umgang mit den neuen Gegebenheiten und Problemen, mit denen wir alle so oder ähnlich konfrontiert sind. Die persönlichen Einblicke dürften auch Ausblicke auf eine sich vielleicht verändernde – erneuernde? – Musiktherapie sein. Jede.r ist eingeladen, sich zu beteiligen…
In diesem siebten Teil der Umfrage antworten: Dr. Boris Becker, Sarah Bonnen, Eva-Maria Holzinger und Sophie Kitschke (aus Santiago de Chile).
Vier Fragen an ... Boris Becker, Düsseldorf
01 Was hat sich in Ihrem Leben seit Corona verändert?
Der Alltag hat sich verändert. Als Schlagzeuger und Percussionist bin ich in unterschiedlichen Gruppen aktiv und an Projekten beteiligt. Da (fast) alle Konzerte ausfallen, wurden Projekte mit viel Vorbereitungen und Proben eingefroren, Ziele brachen weg! Neben den Zielen vermisse ich die Begegnungen im gemeinsamen musikalischen Miteinander.
Eine mögliche Entschleunigung blieb seltsamerweise aus, stattdessen nahm das Organisatorische zu. Die Lebendigkeit und Spontaneität im Miteinander nahm ab, die sorgsame Achtsamkeit zu. Ich vermisse zunehmend die Leichtigkeit und Unbeschwertheit.
02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?
Seit vielen Jahren arbeite ich in einer psychiatrischen Klinik. Seit Corona haben sich die Rahmenbedingungen deutlich verändert. Während ich vorher mit 6 PatientInnen im Raum 45 Minuten arbeitete, kann ich aufgrund des coronabedingten Mindestabstandes aktuell nur mit 2 Personen arbeiten. Eine Therapieeinheit dauert nun 20 Minuten.
Das bisherige Setting mit dem eingespielten Anfangsritual wurde dadurch verändert und die Themen individueller gestaltet. Gruppendynamische Prozesse bekamen eine andere Gewichtung, was eine besondere Zentrierung ermöglicht. Diese Veränderung erlebe ich als äußerst spannend!
Weniger spannend finde ich die Desinfektion der Schlägel, das ständige Lüften und den damit verbundenen Zeitaufwand.
03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?
Verstehen wir es als besondere Chance das eigene Konzept den aktuellen Bedingungen anzupassen! Mit unseren Erfahrungen können wir Gruppengröße, Länge der Therapieeinheit und Zusammensetzung der Therapien kreativ mitgestalten. Diese Chance sollten wir nutzen!
04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?
Berufspolitische Anerkennung und die Weiterentwicklung wissenschaftlicher Ansätze.
Vier Fragen an... Sarah Bonnen, Köln
Eigentlich war 2020 dafür vorgesehen, mich mit kurz zuvor entstandenen Veränderungen (Wohn- und Arbeitsplatzwechsel) vertraut zu machen, mich einzugewöhnen und mein Masterstudium in Hamburg abzuschließen. Die Pandemie hat dann die Abschiedsprozesse und Neuanfänge sehr beeinflusst und komplizierter gemacht. Sowohl Planungen bezüglich der Arbeitsabläufe in der Klinik als auch private Planungen sowie Studienabläufe mussten angepasst oder zum Teil leider auch verworfen werden. Neben meiner Tätigkeit in einer Akutpsychiatrie im Rheinland verbrachte ich die erste Hälfte dieses Jahres für meine Masterarbeit häufig am Schreibtisch. Das war einerseits natürlich anstrengend, auf der anderen Seite half mir diese Aufgabe jedoch, eine neue Tagesroutine zu finden. Kraft gaben mir in den letzten Monaten der vertraute Austausch mit lieben Menschen und mein neues Zuhause, in dem ich mich sehr wohl fühle. Ich erlebte Chorproben sowohl online als auch im Schrebergarten oder am Rhein und versuchte auch sonst viel draußen zu sein. Im Juli wagte ich dann auch den lange ersehnten verlängerten Sommerurlaub im coronakonformen Campingbus.
Trotzdem habe ich das Gefühl, als ob Corona im Hintergrund ein wenig so wie ein – leider reales – „Spukgespenst“ sein Unwesen treibt. Obwohl nun eine neue Unbeständigkeit zur Routine geworden ist und ich mich als sehr flexiblen Menschen betrachte, wächst in mir eine Sehnsucht nach Alltag, Beständigkeit, Nähe und vor allem Unbeschwertheit. Die Diskussionen mit Bekannten und Freund.innen darüber, wie sinnvoll welche Maßnahmen sind, werden zum Teil kontroverser und ich beobachte teils erstaunt und oft erschreckt, welche gesellschaftlichen Dynamiken momentan entstehen bzw. sichtbarer und spürbarer werden.
02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?
Etwa zeitgleich mit meinem letzten Semester des Masterstudiums Musiktherapie an der HfMT in Hamburg kam der erste Lockdown. Das bedeutete für mich also zunächst keine monatlichen Reisen mehr nach Hamburg zum Studium, unterbrochene Gruppenprozesse und erschwerte Bedingungen beim Schreiben der Masterarbeit, Vor- und Nachteile von Webseminaren kennen lernen usw. Dann die Gewöhnung an die „neue Normalität“ an der Hochschule. Vertraut machen mit der Arbeit in Teilgruppen, Abschlussprüfungen unter Hygienevorschriften und schließlich dann aber doch Ende September eine schön gestaltete Abschiedsfeier unter dem etwas beengten Mantel der nötigen Vorsichtsmaßnamen. Ausatmen mit Maske.
Während all der Zeit habe ich „ganz normal“ in der Klinik weitergearbeitet. Zunächst nur in Einzelkontakten, mittlerweile wieder in Kleingruppen. Tageskliniken und ambulante Hilfesysteme wurden geschlossen oder eingeschränkt weitergeführt. Das stellte eine große Belastung für die Patient.innen dar. Ansonsten hatte ich zumindest in den ersten Monaten das Gefühl, dass das Thema „Umgang mit Corona“ für die Patient.innen nicht oberste Priorität hatte. Nun scheint es allerdings so, als nehme dies auch bei den Patient.innen mehr Raum ein. Ich habe den Eindruck, dass Anstrengungen, Frustrationen und Sorgen auf Seiten der Patient.innen und Mitarbeitenden zunehmen und die Atmosphäre insgesamt angespannt ist. In der Klinik „anzukommen“ und vor allem in einen interdisziplinären Austausch zu kommen, erfahre ich dabei an vielen Stellen als der sehr mühsam. Zu Beginn hatte ich auch Schwierigkeiten, die vielen neuen Kolleg.innen mit Maske überhaupt wieder zu erkennen. Im Therapieraum bin ich darauf bedacht, den Patient.innen weiterhin viel Sicherheit und Ruhe zu ermöglichen. Ich möchte gewissenhaft mit dem Virus umgehen und trotzdem den Raum für Themen öffnen, die neben der Pandemie auch und oftmals viel stärker bewegen.
Durch die regelmäßige Begleitung und den intensiven Austausch durch das Studium gab es viele Möglichkeiten die Geschehnisse und Entwicklungen zu verarbeiten. Das betraf z.B. ethische Fragestellungen, aber auch den persönlichen Umgang mit Unsicherheiten und Einschränkungen. Diesen Austausch habe ich als sehr unterstützend und bereichernd empfunden, bleibt hierfür doch am Arbeitsplatz selbst oft zu wenig Zeit.
03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?
Vielleicht wächst in einer Zeit, in der Kulturangebote wie z.B. Konzertbesuche wegfallen und in der das gemeinsame Singen und Musizieren nur eingeschränkt möglich ist, generell ein größeres gesellschaftliches Bewusstsein dafür, wie wichtig Kunst für das Wohlbefinden der Menschen ist?
Ich halte es für möglich, dass mit Rücknahme aller jetzigen Beschränkungen wieder neue Energien spürbar werden, mit denen sich in den einzelnen Arbeitsfeldern neue Ideen umsetzen lassen. Vielleicht öffnen sich so auch berufspolitisch einige neuen Türen.
Ich fände es darüber hinaus schön, wenn es auch weiterhin mehr Möglichkeiten gäbe, z.B. online an Fortbildungen und Vorträgen teilzunehmen. Vielleicht dann, wenn vor allem theoretische Inhalte vermittelt werden.
04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?
Wie meine Vorgänger.innen in dieser Rubrik wünsche auch ich mir eine stärkere Anerkennung der Musiktherapie im Gesundheitswesen. Dass unsere Berufsbezeichnung endlich geschützt und von den Krankenkassen unterstützt wird. Des Weiteren wünsche ich mir, dass auch im präventiven Bereichen Musiktherapie mehr zum Einsatz kommen kann und wir Musiktherapeut.innen nicht müde werden, uns in den einzelnen Einsatzgebieten weiter zu positionieren.
Für den Bereich Psychiatrie wünsche ich mir viel mehr Austausch und Verständnis zwischen den einzelnen beteiligten Berufsgruppen, vielleicht auch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Haltung, mit der wir Patient.innen begegnen.
In den Kliniken, in denen ich bisher gearbeitet habe, war es außerdem leider nicht immer selbstverständlich, dass Musiktherapie als Psychotherapieverfahren anerkannt und verstanden wird. Da wünsche ich mir noch viel Begegnung, Offenheit und Entwicklung.
Ansonsten würde ich mir mehr Studiengänge wünschen sowie – natürlich – überall Arbeitsbedingungen, mit und von denen Musiktherapeut.innen gut leben und arbeiten können.
Vier Fragen an... Eva-Maria Holzinger, Eppelheim bei Heidelberg
Die Pandemie hat mir erheblich viel Lebensfreude und -qualität genommen. Das war während des ersten Lockdowns am deutlichsten zu spüren, aber auch seitdem er aufgehoben wurde, fühle ich mich weder frei noch selbstbestimmt und meine Freizeitaktivitäten übe ich nur noch eingeschränkt aus bzw. gar nicht mehr. Insbesondere beim Musizieren/Singen befremdet mich die Digitalisierung und mir fehlen die sozialen Kontakte. Die erneuten „milderen“ Einschränkungen im November verschärfen dieses Erleben und ich habe unweigerlich das Gefühl, Spielball und „Versuchskaninchen“ der Politiker zu sein, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Macht missbrauchen.
02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?
Seit Corona unseren Alltag beherrscht, lebe mit der ständigen Ungewissheit, wie lange ich meine Tätigkeit noch ausüben darf. Ich muss in meinen Therapiesitzungen überwiegend auf Abstand gehen, was die Wirksamkeit und den Effekt extrem beeinflusst. Menschen mit Demenz zum Beispiel sowie viele andere Klienten sind auf Zuwendung und engen körperlichen Kontakt angewiesen und begreifen nicht, was um sie herum passiert und was dieses störende „etwas“ vor dem Gesicht zu suchen hat, welches unter anderem einen Großteil an Mimik verschleiert und sich negativ auf meine Stimme auswirkt! Diese Situation ist oftmals so tragisch für mich, dass ich verzweifeln könnte. Aber ich habe mich den Herausforderungen gestellt und neue Wege gefunden, wie etwa „Balkonsingen“ anzubieten, wofür ich mich mit dem erforderlichen technischen Equipment ausgestattet habe.
Andere Bedingungen, unter denen ich therapeutisch tätig bin (wie etwa in Alteneinrichtungen), sind in vieler Hinsicht sehr anstrengend und ich könnte ein Buch schreiben, wenn ich alle Einzelheiten und Kuriositäten beschreiben wollte. Aber das geht meinen Kolleg.innen nicht anders und es liegt mir fern, mich an dieser Stelle darüber zu beklagen. Meine Haltung und Denkweise sind von Grund auf positiv und ich sehe meinen Beruf gleichermaßen als Berufung, was einen gewissen Idealismus mit sich bringt. Es ist sinnlos, den „Kopf in den Sand zu stecken“, sondern vielmehr investiere ich meine Energie in Lösungen und versuche so flexibel und diplomatisch zu agieren und zu reagieren.
03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?
Manchmal bzw. immer öfter frage ich mich, ob es überhaupt jemals wieder ein „normales Leben“ nach Corona geben wird…
In mir breitet sich zunehmend das Gefühl aus, dass wir mit dieser Situation auf Dauer umgehen und begreifen müssen und dass nichts mehr so wird, wie es vorher war.
04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?
Diese Frage kann ich ohne langes Nachdenken und absolut klar beantworten. Ich bin sehr intensiv in berufspolitische Aktivitäten involviert, sodass ich weiß, wo wir aktuell stehen und was wir erreichen wollen:
· Es ist mein größtes Bestreben, dass wir uns als akademischer Gesundheitsberuf neben den übrigen anerkannten Disziplinen gleichwertig auf eine Ebene stellen.
Meine Wünsche und Anliegen sind Folgende:
- Wir benötigen transparente Ausbildungsstrukturen und – inhalte, um uns als professioneller Therapieberuf im Gesundheitssystem zu behaupten! Nur so haben wir eine Chance, in der Politik ernst genommen zu werden und den Heilmittelausschluss endlich ad acta zu legen!
- Die MT muss ein staatlich geschützter Beruf werden, der es den Praktizierenden erlaubt, kassenärztlich finanziert zu werden! Sie darf kein Privileg für besser Verdienende bleiben und es darf nicht sein, dass Betroffene/Patienten, denen die Therapie nachweislich hilft, diese Leistung aus eigener Tasche zu bezahlen (was sich viele mühsam ersparen müssen!)
- Wir müssen uns in unseren verschiedenen Einsatzfeldern, insbesondere aber im stationären Setting immer mehr als systemrelevant etablieren und unseren Arbeitgebern (Einrichtungsleitung/Chefarzt, etc.) „beweisen“, dass wir unersetzlich sind – mit anderen Worten: Wir müssen unsere Alleinstellungsmerkmale transparent machen, was uns in Form des kürzlich erschienenen Flyers der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zu den Künstlerischen Therapien (an dem ich mitgearbeitet habe) m. E. gut gelungen ist.
- · Ein letzter Aspekt betrifft die Forschung: Es ist mehr als wichtig und notwendig, dass wir anhand von evidenzbasierten Studien (die bestenfalls als RCT´s konzipiert sind) unsere Wirksamkeit nachweisen. Leider ist bislang die Quantität das, was zählt und nicht unbedingt die Qualität…
Vier Fragen an... Sophie Kitschke, Santiago de Chile
Hier in Chile waren und sind die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 besonders streng und haben direkten Einfluss auf mein alltägliches Leben. Wir hatten hier in meinem Wohnviertel von April bis Juli eine komplette Ausgangssperre, d.h. man durfte theoretisch nur zwei Mal die Woche für jeweils 3 Stunden zum Einkaufen seine Wohnung verlassen. Dazu musste man jedes Mal einen Erlaubnisschein bei der Polizei (online) beantragen. Ein Glück haben mein Mann und ich Anfang des Jahres 2 Katzen adoptiert, die uns doch sehr über diesen besonders trüben Winter hinweggeholfen haben. Er arbeitet im Home-office und ich kümmere mich ums leibliche Wohl.
Zurzeit dürfen wir uns wieder frei bewegen. Die seit Ende März bestehende nächtliche Ausgangssperre ist allerdings noch immer nicht aufgehoben. Das Nutzen von Masken ist überall obligatorisch, also sobald man seine vier Wände verlässt. Es gibt ein 5-Phasen-System mit ganz genau festgelegten Regelungen, was man darf und was nicht. Meiner Beobachtung nach werden die Regelungen allgemein als sinnvoll anerkannt und auch umgesetzt.
Was mich besonders belastet ist die ständige „Risiko-Nutzen-Abwägung“ bezüglich Besuche von Familie und Freunden. Wen kann man wo unter welchen Umständen treffen? Der Kontakt zu meiner Familie und Freunden aus Deutschland lief eh schon digital. Nun wohne ich seit 2 Jahren in Chile und eigentlich war es meine Bedingung ein Mal im Jahr zu fliegen und sie zu besuchen… Obwohl das Ein- und Ausreiseverbot mittlerweile wieder aufgehoben ist, habe ich noch keine Reise geplant. Wann das geht ist eine etwas komplexere Entscheidung als sonst.
02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?
Die Schulen und Kindergärten, meine potentiellen Kooperationspartner, sind seit Ende März geschlossen bzw. laufen nur über online-Betrieb. Erste Kindergärten machen erst jetzt so langsam und unter vielen Auflagen und Einschränkungen wieder auf.
Ich habe im März erstmal alle meine kleinen Jobs als Selbständige verloren. Das waren Musikgruppen im Kindergarten, Mutter-Kind-Gruppen in der Art von musikalischer Früherziehung auf Spanisch, Englisch und Deutsch und einzelne private Musiktherapien. (Kinder-)Gruppen in geschlossenen Räumen sind nach wie vor eine heikle Angelegenheit. Als Selbständige ohne Arbeitsverträge habe ich einfach ganz schlechte Karten. Fuß zu fassen war für mich schon vor Corona schwierig, jetzt ist es noch schwieriger.
Um Kontakt zu halten, etwas Neues auszuprobieren und letztendlich auch um mich mit etwas Sinnvollem zu beschäftigen habe ich in der Zeit des „richtigen Lockdowns“ dann Kinderlieder mit einfachen Bewegungen im Home-Studio aufgenommen und produziert. Es sind 16 Musik-Videos entstanden, die ich zwar auf YouTube hochgeladen habe, die aber nur mit zugeschicktem Link zugänglich sind. Die meisten sind auf Deutsch, ein paar auch auf Spanisch und Englisch. Ich habe mich dann aber entschlossen, besser doch nicht zum YouTuber zu werden (lacht). Die Videos habe ich an Freunde, Familie und (ehemalige) Klienten geschickt. Zurzeit dienen sie mir als Werbematerial für aktuelle und zukünftige Angebote. Und ich habe einfach sehr viel über Aufnahmetechnik gelernt.
Auch habe ich in der Lockdown-Zeit Beiträge für den neuen Ergänzungsband von „Durch Musik zur Sprache“ von meiner ehemaligen Dozentin/Professorin Rosemarie Tüpker (Hrsg.) geschrieben. Sie hatte mich und andere ehemalige Teilnehmer.innen der gleichnamigen Fortbildung gefragt, ob ich etwas beisteuern möchte. Das war für mich natürlich eine willkommene Ablenkung und ich habe das Schreiben auch gut zu meiner eigenen Reflexion nutzen können.
Seit August bieten meine Kollegin Stefanie Fleddermann und ich die Musikgruppen für Kleinkinder online an. Auch hatte ich musiktherapeutische Anfragen online und als Hausbesuch gestaltet. Beruflich fühlt es sich auf jeden Fall so an, als ob ich wieder ganz von vorne anfangen muss und es jederzeit wieder vorbei sein kann mit meinen Angeboten im direkten Kontakt.
Für die Sommermonate in Chile, Oktober bis März, ist die Arbeit im Freien möglich. So habe ich eine neue Musik-Gruppe mit deutschen Müttern in einem privat zu Verfügung gestellten Garten öffnen können. Eine zweite Gruppe ist in Arbeit und es kommen auch wieder musiktherapeutische Anfragen an. Ich hoffe einfach, dass die strengen Maßnahmen und das Sommerwetter einen nächsten Lockdown weit von sich schieben.
Aktuell versuche ich mich in soziale Medien wie Instagram (@musicasophie) einzuarbeiten, um für meine Angebote zu werben und sie einfach vorzustellen. Es liegt mir zwar nach wie vor nicht, aber hier hat einfach jeder ein Instagram-Account und Facebook ist schon lange abgelöst.
03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?
Der Bedarf ist groß und wird auch hinterher, wann auch immer das sein mag, groß sein. Aber das Image und was Musiktherapie alles kann, ist einfach vielen unbekannt oder nicht klar. Daran müssen wir weiterarbeiten.
Wir waren hier schon vor Corona im Krisenmodus und Ausnahmezustand erprobt. Vielleicht hat man auch in den deutschen Medien von den Protesten in Chile seit Oktober 2019 gehört? Es wurden jedenfalls im Zuge dessen sämtliche Veranstaltungen aus Sicherheitsgründen abgesagt. Musiker, Künstler und Kulturschaffende haben es seitdem ganz schwer und müssen jetzt einen zweiten Schlag verkraften. Die ganze Kulturbranche ist quasi seit über einem Jahr lahmgelegt. Ich hoffe einfach ganz fest, dass dieser Bereich überlebt und bald wieder aufblühen darf. Dann kann ich auch mit meiner Band hier wieder auftreten.
04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?
Mehr Bekanntheit und Anerkennung in allen Bereichen und das auf der ganzen Welt. Berufsschutzgesetz und Möglichkeit zur Abrechnung über Krankenkassen. Die Themen und Probleme unserer Berufsgruppe sind in allen Ländern die gleichen (außer in denen, die schon eine höhere Anerkennung erhalten). In Chile gibt es ca. 150 ausgebildete Musiktherapeuten. Der Zusammenhalt, Austausch und die Vernetzung werden mir immer wichtiger. Denn unsere Berufsgruppe ist vergleichsweise klein und deshalb müssen wir zusammenhalten.
Wir bedanken uns bei den Autor.innen für die Antworten. Auch nach diesem siebten Teil setzen wir die Reihe gerne weiter fort: Wenn Sie, liebe Musiktherapeut.innen, auch die Fragen beantworten möchten, schicken Sie diese bitte an blog@musiktherapie.de.
Die vorherigen Folgen der Serie:
Vier Antworten von Elka Aurora, Silke Kammer, Yuka Kikat und Dr. Johannes Unterberger (7. Mai 2020), Vier Antworten 2 von Inga Auch-Johannes, Sandrine Doepner, Lena Eliaß und Dorothea Käding (8. Juni 2020), Vier Antworten 3 von Susanne Heinze, Sandra Schneider-Homberger, Verena Lodde, Gustav von Blanckenburg und Gaby Flossmann (6. Juli 2020), Vier Antworten 4 von Holger Selig, Ursula Senn, Britta Sperling, Stephanie Scaleppi, und Daniela Goebel (11. August 2020), Vier Antworten 5 von Agnes Brazsil, Dani Koppe, Dirk Kreuzer und Julia Tostmann (10. September 2020), und Vier Antworten 6 von Maria Grohmann, Flora Kadar und Sandra Wallmeier (19. Oktober 2020).
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