Musiktherapie und Coronakrise

Wie erleben Musiktherapeuten die Covid 19-Pandemie?
Vier Antworten 6

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Leben und Arbeit sind seit Monaten verändert und verändern sich weiter.
Die Corona-Pandemie beschäftigt uns alle immer wieder neu. In der Musiktherapie sind die Erfahrungen sehr weit gespannt: von Weiterarbeit und Akzeptanz in Kliniken bis zu Reduktion und Abbruch von ambulanter Arbeit oder Honorartätigkeiten in Einrichtungen. Nicht nur Improvisation ist gefragt, sondern auch Geduld, Achtsamkeit, Mut, Durchhaltevermögen und Phantasie.

Wir haben seit Mai 2020 Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten jeweils die gleichen vier Fragen gestellt. Entstanden sind aktuelle Bestandsaufnahmen der letzten Monate. Sie können Anregungen und Hinweise geben für den Umgang mit den neuen Gegebenheiten und Problemen, mit denen wir alle so oder ähnlich konfrontiert sind. Die persönlichen Einblicke dürften auch Ausblicke auf eine sich vielleicht verändernde – erneuernde? – Musiktherapie sein. Jede.r ist eingeladen, sich zu beteiligen…

In diesem sechsten Teil der Umfrage antworten: Maria Grohmann, Flora Kadar und Sandra Wallmeier.

Vier Fragen an ... Maria Grohmann, Rudolstadt

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Maria Grohmann
01 Was hat sich in Ihrem Leben seit Corona verändert?

Etwas zwischen Fassungslosigkeit und großer Dankbarkeit – vielleicht lässt es sich so am besten beschreiben. Zwischen all den Dingen, die sich in unseren alltäglichen Abläufen wohl etwas kontrovers verhielten, habe ich viel entdeckt, das mich erneut sehr dankbar werden ließ. Während der gesamten herausfordernden Zeit war ich gesund, familiär gut eingebunden und konnte über Smartphone, Tablet und Co. Kontakt zu all jenen halten, die mir wichtig sind. Ich habe meine Heimat mit wöchentlichen Wanderungen erkundet, habe viel mehr Zeit für mich selbst gefunden und plötzlich einen leeren Terminkalender vor mir liegen gehabt. Das war für mich ziemlich herausfordernd und neu, denn ich bin ein Energiebündel und habe Freude daran, ständig auf Achse zu sein. Währenddessen merkte ich jedoch, dass ich mir für „die Zeit nach Corona“ eine gute Balance zwischen einer überfüllten To-Do-Liste und zu viel Ruhe wünschte. Innerhalb der vergangenen Monate habe ich übrigens auch bemerkt, wie positiv denkende und hinterfragende Menschen mein Leben bereichern und dass ich dadurch vielen Energieräubern weniger Platz freiräume.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Als freiberufliche Musiktherapeutin arbeite ich auf Honorarbasis an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung und bin einmal in der Woche (neben meiner Festanstellung als Logopädin in einer Praxis) in dieser Einrichtung tätig. Von heute auf morgen fielen diese Stunden in der Schule plötzlich weg, ebenso ein Kindermusikkurs, als auch die Chorarbeit. Alles, was mit Musiktherapie zu tun hatte, fand keinen Platz mehr – samt aller finanzieller Einnahmen. Ich bin nach wie vor dankbar darüber, dass die Arbeit als angestellte Logopädin während des gesamten Zeitraumes fortgeführt werden konnte. Als Alternative bot ich für die Eltern und Kinder meines Musikkurses digitale Möglichkeiten an, wovon leider nur die Hälfte Gebrauch machen wollte bzw. konnte. Es scheiterte einerseits an guten Internetverbindungen, ausreichendem technischen Know-How und aber auch an bereits zu vielem digitalen Input. Ich habe mich beruflich mit dem Thema Digitalisierung auseinandergesetzt, dadurch sehr kompetente und sympathische Musiktherapiekollegen kennengelernt und meine Fertigkeiten in diesem Feld erweitern können – toller Nebeneffekt!

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Ich sehe eine Chance in digitalen Medien und neuer Technologie, wenn wir nur bereit sind, uns damit auseinanderzusetzen. Ganz klar ist jedoch, dass auch die wirksamste Videotherapie keine „reale“ Musiktherapiesitzung ablösen kann. Eine Mischung aus neuen Medien und altbewährten Therapiemethoden könnte ich mir gut vorstellen und wäre wünschenswert. Ich glaube, dass sich einige Menschen während der Krisenzeit festhalten konnten an Liedern, Klängen und an Erinnerungen an gemeinsames Musizieren. Abgesehen davon sehe ich als Musiktherapeutin natürlich immer große Chancen in musiktherapeutischen Angeboten!

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass der Wert und damit die Anerkennung musiktherapeutischen Wirkens eine höhere Stellung einnimmt. Ich wünsche mir aber auch, dass mehr darüber gesprochen wird, was überhaupt in der Musiktherapie geschieht, um mehr Aufklärungsarbeit zu leisten. Nur wenn wir als Musiktherapeut.innen darüber berichten und einen gemeinsamen Qualitätsstandard verfolgen, erreichen wir eine größere Anerkennung. Außerdem wünsche ich mir, dass auch für Musiktherapeut.innen Onlineweiterbildungen angeboten werden – das vermisse ich wirklich auf dem Weg in Richtung Zukunft.

Vier Fragen an... Flora Kadar, München

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Flora Kandar

Zeitgleich mit dem Lockdown im Frühjahr war ich im Wochenbett mit meiner zweiten Tochter, mein Ehemann in seiner Elternzeit, unsere ältere Tochter nicht betreut mit uns zu Hause. Wir hatten somit viel Zeit gemeinsam – unser neues Familienmitglied willkommen zu heißen und uns zu viert „ein zu grooven“. Das war ein Geschenk, so merkwürdig es klingt. Je länger die Zeit des Lockdowns wurde, desto sehnlicher wurde der Wunsch, unseren Neuankömmling unserer weiteren Familie vorzustellen. Meine Familie so lange nicht sehen zu können war schwer für mich und die Umarmungen mit Freunden fehlen mir immer noch sehr.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Ich habe erst vor Kurzem wieder zu arbeiten begonnen und das noch sehr reduziert, da ich unsere zweite Tochter noch nicht in Fremdbetreuung geben möchte. Für den Arbeitgeber einen Corona-Abstrich machen zu müssen, war ungewohnt, jedoch zwingend notwendig, zumal mein Klientel Senioren und Menschen am Ende ihres Lebensweges, auf einer Palliativstation, sind. Die Patienten und Kolleginnen und Kollegen der jeweiligen Stationen ausschließlich mit ihrer Maske zu sehen ist sehr gewöhnungsbedürftig und mir fehlt die Mimik und der Ausdruck der Gesichter. Was das für meine zukünftige Tätigkeit bedeutet, da ich selbst gerne und oft mit überdeutlichem Gesichtsausdruck spreche und singe, kann ich noch gar nicht richtig abschätzen.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

 Durch die Corona-Pandemie ist der Gesundheitssektor ja stark in den Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Meine Hoffnung ist, dass davon auch die Musiktherapie in all ihren Wirkungsbereichen gestärkter hervorgeht, angefangen u. a. vom jeweiligen Setting bis hin zur alltäglichen und finanziellen Wertschätzung.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

An meine vorherige Antwort anschließend wünsche ich mir vor allen Dingen mehr Wertschätzung für unsere Tätigkeit. Eine höhere Wertschätzung würde meines Erachtens zu einer höheren Arbeitsqualität der Musiktherapeuten und damit einhergehend auch zu einer höheren Behandlungsqualität für unsere Klienten führen.

Vier Fragen an... Sandra Wallmeier, Teningen/ freiburg

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Sandra Wallmeier

Der Umgang mit Unsicherheiten und dem Unverfügbaren hat sich verändert. Die Kunst des Improvisierens sowie Spontanität haben an Wert gewonnen.  Genau im Hier und Jetzt zu schauen, was ist jetzt wichtig? Worauf kommt es jetzt an?

Es gab in meinem Leben nun mehr Momente der Reflexion, Selbstreflexion. Wie ist mein Leben jetzt? Was könnte da als nächstes kommen?

Ich war froh um viel Zeit mit meiner Familie in unserem kleinen Dorf. Das war ein großer Gewinn für uns – kaum Termine im Kalender, jede Menge Projekte im Garten und der Natur um uns herum und weniger Zeit auf der Straße. Jedes Kind hat begonnen ein Musikinstrument zu spielen, die ganze Familie hat sehr viel musiziert. Merkwürdig war, dass ich durch das Homeschooling plötzlich auch die Lehrerin meiner eigenen Kinder war. Das erforderte viel Kraft, Geduld, Kreativität und nicht zuletzt Vertrauen – und: es hat uns stark gemacht.

Außerdem bin ich stolze Hühnerhalterin geworden!

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

In der Klinik (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg) haben wir Musiktherapeut.innen unser Angebot schnell an die neue Situation angepasst (kleinere Gruppen, keine stationsübergreifenden Angebote mehr) und dort ging das Leben einigermaßen „normal“ weiter. Manchmal war ich regelrecht froh auf dem sicheren und vertrauten Klinikgelände angekommen zu sein während der Weg dahin hin und wieder von mir als gruselig empfunden wurde durch das veränderte Verhalten der Mitmenschen oder dadurch, dass ich kaum jemandem begegnet bin.

In meiner kleinen Praxis habe ich meine Patienten mehrere Monate nicht gesehen. Mit den Eltern der Kinder, die ich behandle, habe ich regelmäßig telefoniert, zu den erwachsenen Patient.innen habe ich auch über das Telefon und über eine online-Sprechstunde Kontakt gehalten. An einer Stelle konnte das Angebot tatsächlich eine Krise auffangen, hauptsächlich diente es aber lediglich dazu, den Kontakt nicht zu verlieren. Seit dem Sommer finden wieder regelmäßig auch Gruppensitzungen statt und die Freude vor allem über die gemeinsam gespielte Musik ist riesengroß! Nach einer langen Pause ist der Wert der Musik deutlich gestiegen! Dass sich erst mal niemand so richtig auskannte, niemand wusste, wie es weitergehen kann, auch die Therapeutin nicht, hatte auch etwas Verbindendes.

Ohne dass ich es erwartet hätte konnte ich sehr gute Erfahrungen sammeln mit der Online-Lehre. In der Vorbereitung war dies mit großer Unlust verbunden und da ich vor allem die gemeinsame Improvisation im Kurs so schätze, auch mit schmerzlichem Verzicht. Umso überraschter war ich über die hochkonzentrierte Gruppe, über die tollen Abschluss-Präsentationen und die Freude, die wir beim virtuellen Erntedank am Ende des Kurses hatten.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona? 

Ich denke, dass die Chancen sich durch die Pandemie weder verschlechtert noch wirklich verbessert haben. Toll fand ich, dass sich die Kolleg.innen die Online-Angebote erobert haben. In der Praxis und der Lehre sowie im Austausch untereinander. Bei mir selbst entstand aus Unlust und einer gewissen Scheu davor Freude am neuen Kontakt. Nach wie vor denke ich, dass die Chancen sehr von den Personen und der Qualität der Arbeit abhängen.

Mein liebstes Werkzeug in der Therapie, die freie Improvisation, das Spielen, hat in der Übertragbarkeit auf den Alltag noch mehr an Wichtigkeit gewonnen. Nach der zwangsläufigen Pause in der Praxis konnten die Patient.innen meine Arbeit nochmal neu wertschätzen.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Noch mehr Selbstverständlichkeit und Wertschätzung dieser besonderen Arbeit. Dass wir weiterhin so mutig, sensibel, fragend, gemeinsam unseren Weg gehen.

Wir bedanken uns bei den Autor.innen für die Antworten. Auch nach diesem sechsten Teil setzen wir die Reihe gerne weiter fort: Wenn Sie, liebe Musiktherapeut.innen, auch die Fragen beantworten möchten, schicken Sie diese bitte an blog@musiktherapie.de.

Die vorherigen Folgen der Serie:

Vier Antworten von Elka Aurora, Silke Kammer, Yuka Kikat und Dr. Johannes Unterberger (7. Mai 2020), Vier Antworten 2 von Inga Auch-Johannes, Sandrine Doepner, Lena Eliaß und Dorothea Käding (8. Juni 2020), Vier Antworten 3 von Susanne Heinze, Sandra Schneider-Homberger, Verena Lodde, Gustav von Blanckenburg und Gaby Flossmann (6. Juli 2020), Vier Antworten 4 von Holger Selig, Ursula Senn, Britta Sperling, Stephanie Scaleppi, und Daniela Goebel (11. August 2020), und Vier Antworten 5 von Agnes Brazsil, Dani Koppe, Dirk Kreuzer und Julia Tostmann (10. September 2020).

Autor.innenfotos: die Rechte liegen bei den Autor.innen.

Headerfoto: pxhere

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Volker Bernius

Volker Bernius, Studium der Theologie, Musik, Psychologie. Seit 1979 Redaktionsmitglied der Musiktherapeutischen Umschau, ab 1986 Chefredakteur, Beisitzer im Vorstand der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft: Von 1981 bis 2015 Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsredakteur Hessischer Rundfunk, Mitgründer und Fachbeirat der Stiftung Zuhören, Journalist, Autor, Herausgeber, Dozent.

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