Musiktherapie und Coronakrise

Wie erleben Musiktherapeuten die Covid 19-Pandemie?
Vier Antworten 3

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Die aktuelle Situation ist aufgrund des Umgangs mit der Corona-Pandemie für jeden herausfordernd, weil sie Leben und Arbeit verändert: Nicht nur Improvisation ist gefragt, sondern auch Geduld, Achtsamkeit und Phantasie.

Wir haben einige Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten angeschrieben und jeweils vier Fragen gestellt. Entstanden sind aktuelle Bestandsaufnahmen der letzten Monate. Sie können Anregungen und Hinweise geben für den Umgang mit den neuen Gegebenheiten und Problemen, mit denen wir alle so oder ähnlich konfrontiert sind.

Die persönlichen Einblicke dürften auch Ausblicke auf eine sich vielleicht verändernde – erneuernde? -Musiktherapie sein.

In diesem dritten Teil der Umfrage antworten: Susanne Heinze, Sandra Schneider-Homberger, Verena Lodde, Gustav von Blanckenburg und Gaby Flossmann.

Vier Fragen an ... Susanne Heinze (Dresden)

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Susanne Heinze
01 Was hat sich in Ihrem Leben seit Corona verändert?

Das Leben fühlt sich ein bisschen an wie in einem Kocon: der Kocon unter Maske und Kittel in der Klinik und der Kocon der Wohnung, welche viel stärker genutzt wird und zentraler ist als vorher. Manchmal haben diese Kocons etwas Lähmendes für mich und die Menschen in meiner Umgebung. Aber ich genieße auch mehr Zeit mit meiner Familie, intensivere Gespräche mit unseren Kindern, weniger Ablenkung von außen und mehr Konzentration auf Gemeinsames. Ich ordne manches und räume aus, wofür sonst zu wenig Zeit ist. Inzwischen habe ich auch die epischen Hörgeschichten meiner Kinder alle nachgehört, bin Fan von Audible und Itunes geworden.  Andererseits bleibt mir kaum noch Zeit für mich alleine, weil immer jemand zu Hause ist. Das Gefühl auch mal ganz allein zu sein fehlt mir zuweilen.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Meine Arbeit lief in all den Wochen weiter, mit zeitlich nur geringen Veränderungen. Durch die Reduktion der Tagesklinik-Gruppen konnte ich endlich Dinge aufarbeiten und trotzdem meine Arbeit mal in der vertraglich vereinbarten Zeit schaffen. Vor allem im Miteinander hat sich viel verändert. Ich sehe von meinen PatientInnen und KollegInnen v.a. Augenpartien. Auch sie sehen mich nur noch mit Mundschutz und weißem Kittel. Manchmal fühlt es sich an wie inkognito sein. Darum habe ich mir angewöhnt, im Erstkontakt einmal meine Maske abzunehmen, mit entsprechendem Abstand selbstverständlich. Ich bitte auch mein Gegenüber, sich einmal zu zeigen. Oft sind das ganz persönliche, warme Momente, in denen für einen kurzen Augenblick eine Nähe entsteht, die sich dann erst später im Verlauf der Therapie wieder herstellt. In den letzten Wochen ist mir deutlich geworden, wieviele Informationen ich sonst so ganz nebenbei aus der Mimik meiner  Gesprächspartner gewinne. Dafür achte ich jetzt noch stärker auf die Modulation der Stimmen und auf Körpersprache. Außerdem fällt mir immer wieder auf, was für eine besondere Sprache die Augen sprechen. In ihnen zeigt sich oft schneller das zugrunde liegende Gefühl. Mit den Teams, in denen ich arbeite, erlebe ich zweierlei: einerseits ein stärkeres Zusammenwachsen durch das Teilen von mehr Persönlichem, andererseits ein Auseinanderdriften, wo jeder stärker mit sich beschäftigt ist. Die Maske fühlt sich manchmal an wie eine Grenze. Ich fühle mich schneller müde oder etwas gedämpft und es kostet mehr Energie beim Sprechen und Zuhören. Nachdem es anfangs neben allem Stress auch oft gemeinsamen Humor gab, scheint mir, als würde unser Lachen weniger unter den Masken.  Ich kann in der Musiktherapie nicht mehr spontan jede Spielform anbieten, sondern muss mir überlegen, ob meine Idee „coronakompatibel“ ist. Darf ich ein Instrument weitergeben? Dürfen wir gemeinsam an der Oceandrum oder Bigbom spielen? Ist es ok in der Gruppe unter den Masken zu tönen und zu singen? Oder auch: Kann ich diese PatientIn noch in meine Rezeptive Gruppe nehmen oder ist der Raum dann zu voll? Die Stimme mit den PatientInnen nicht mehr ganz spontan nutzen zu können fehlt mir!  Die stationsübergreifende Gruppe „Atem und Stimme“ habe ich gleich zu Beginn der Coronazeit in eine Rezeptive Musiktherapiegruppe verwandelt. Jetzt dürfen nur noch die PatentInnen einer Station daran teilnehmen.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Ich glaube, dass vielen Menschen durch Corona noch deutlicher wird, welchen Wert das Miteinander hat, die persönliche, spontane Begegnung, die Nähe, eine Umarmung und Gesten der Zuneigung. In meiner Arbeit erlebe ich auch Dankbarkeit für die Möglichkeit diese Sehnsüchte nach Berührung und berührt sein, auf eine andere, ebenfalls sehr verbindende Weise, mit gemeinsam gespielter Musik zu erfüllen. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Musiktherapie auch nach Corona in den Einrichtungen einen wichtigen Stellenwert haben wird und der Zulauf zu den Praxen noch zunimmt. Als Musiktherapeutin in einem systemrelevanten Beruf/Bereich zu arbeiten, sollte uns Selbstvertrauen geben.  Als ich 1999 meine Stelle in der Psychosomatik der Uni-Klinik Dresden antrat, war ich nach Axel Reinhard die 2. Musiktherapeutin am gesamten Uniklinkum für viele Jahre. Heute sind wir insgesamt 10 MusiktherapeutInnen, die in verschiedenen Bereichen arbeiten. Diese Tatsache spricht wegweisend für sich!

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Ich wünsche der Musiktherapie, dass sie noch breitere gesellschaftliche Anerkennung erfährt und dass diese Wertschätzung sich auch in einem Berufsgesetz, in der Finanzierung durch die Krankenkassen und in der finanziellen Eingruppierung der MusiktherapeutInnen zeigt.

Vier Fragen an... Sandra Schneider-Homberger, Rottenburg a.N.

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Sandra Schneider-Homberger

Primär die persönliche Reduzierung von zwischenmenschlichen Kontakten und Umgangsformen, die allgemein notwendige Umsetzung von Schutzmaßnahmen, gezieltere Selbstversorgung, flexiblere und raumgebendere Zeiteinteilung, ökonomischere Lebensweise, mehr und intensivere Kontaktpflege zu anderen, wichtigen Menschen über Telefon und digitale Medien, verstärkter Austausch über gesunde Lebensführung, Genussfähigkeit und die eigene Endlichkeit.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Wegfall von Therapien für Risikogruppen (Senioren) vor Ort, Verlegung auf Videogestützte Einzel-Musiktherapie z.T. mit Assistenz vor Ort, ansonsten jetzt vorwiegend Einzeltherapien und kleinere Therapiegruppen, Reduktion des Instrumentariums auf desinfizierbares Equipment, strikte Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln und Tragen von Mundschutz während Therapie, kürzere Einheiten, vermehrt naturnahe und rezeptive Angebote, verstärkt Beratung, Entwicklung alltagsentlastender und
-unterstützender Angebote und Transfermöglichkeiten von Musik (Stichworte: Psychoedukation, Anleitungen zu akutem Krisen- und Stressmanagement, Hilfe zur Selbsthilfe, Ressourcenstärkung).

Musikunterricht (Querflöte) findet nun online statt, Therapiestunden mit Kindern fallen aus. Ich telefoniere ab und zu mit ihnen, um mich nach ihrem Wohl zu erkundigen. Der persönliche Kontakt zu den Klienten fehlt.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Corona bedeutet auch für die Musiktherapie eine Wachstums- und Entwicklungschance: Z.B. durch den verstärkten Einsatz tele- und videogestützter Angebote (unter Akzeptanz der Medium-geschuldeten, technischen und methodischen Grenzen), allgemein situative Anpassung der Inhalte (Setting, Methoden, Techniken, Equipment), verstärktes Pflegen interdisziplinärer Arbeit.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Weiteres Bewusstsein und Vertrauen in die therapeutische Wirksamkeit und die vielfältigen, praxisbezogenen Anwendungsmöglichkeiten von Musik – “trotz” Distanz und veränderten Lebensbedingungen!
Aktuell vor allem in Hinblick auf Menschen, die den Risikogruppen angehören und/oder weiter isoliert und benachteiligt sind:
Weitere, klare berufspolitische Kommunikation bezüglich des gezielten, therapeutischen Nutzens von Musik unter Hinweis auf die, aktuell allgemein erkennbare, empirisch nachweisbare Sinnhaftigkeit dieses Mediums zugunsten von Stressmanagement, Identitätsstärkung, Resilienzförderung und Erhaltung gesellschaftlicher Teilhabe.
Standardisierte (Basis-) Finanzierung durch Kostenträger.

Vier Fragen an... Verena Lodde, Nottuln

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Verena Lodde

Aktuell befinde ich mich in Elternzeit. Das Kontaktverbot schränkt uns wie alle anderen leider sehr ein. Nachteilig für unseren Nachwuchs empfinde ich ganz klar den fehlenden Austausch mit anderen Gleichaltrigen. Ansonsten versuchen wir die Zeit als kleine Familie zu nutzen. Vorteilhaft dafür ist das zunehmende mobile Arbeiten.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Meine Vertretung durfte teilweise keine Therapien in den Kliniken durchführen, sie arbeitet auf der Frühgeborenenstation. Daraus resultiert leider wie für alle anderen Honorarkräfte auch der Verdienstausfall für 6 Wochen. Einige Privatbesuche konnten unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden. Zum Glück auch für die Patienten, die auch sehr unter der aktuellen Zeit und reduzierten therapeutischen Anwendungen zu leiden haben. 

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Da ich vorzugsweise in Kliniken unterwegs bin, in meinem Bereich beinah wie bisher, allerdings ist jetzt schon klar, dass Spendengelder begrenzter für die Musiktherapie eingesetzt werden. Da wird leider an erster Stelle an unserer Berufsgruppe gespart.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Wünschenswert wäre die Anerkennung in allen Bereichen insbesondere durch die Krankenkassen.

vier fragen an... Gustav von BlanCkenburg, Münster

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Gustav von Blanckenburg

Meinem Empfinden nach waren die letzten Monate eine sehr ambivalente Zeit. Zum Einen gab es privat eine große Entschleunigung, angenehm viel Zeit für mich Zuhause und in der Natur, was ich sehr genieße. Die Veränderung der Natur im Laufe der Wochen habe ich dieses Jahr so intensiv wie noch nie wahrgenommen. Dem entgegen lief aber auch das Umwerfen vieler, auch großer Pläne, was für Unsicherheit und für mich ganz ungewohnte Bedürfnisse, wie nach mehr Sicherheit, sorgte. Eigentlich wollte ich mein Leben in Münster aufgeben und neue Perspektiven suchen, das ist nun auf das Ende des Jahres aufgeschoben. Gleichzeitig empfand ich die mit der Situation einhergehenden Veränderungen als eine spannende Herausforderung. So habe ich zum Beispiel Anfang April das geplante Release-Konzert meines Albums kurzerhand auf Youtube gestreamt und so ganz andere und viel mehr Menschen erreicht als erwartet.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

An der Universitätsklinik erlebte ich zunächst eine kurzfristige neue Identifizierung mit unserer Arbeit, die auch zu mehr Zusammenhalt unter den Kolleg*innen führte. Besonders war, dass unsere offizielle Palliativstation nach langer Vorlaufzeit mitten im Kontaktverbot ohne Feier eröffnet wurde. Die nun wieder gelassenere Arbeit dort erfüllt mich. Gleichzeitig bot ich über das Klinikfernsehen täglich ein Konzert für die vom Besuchsverbot betroffenen Patient*innen der gesamten Klinik an, bei dem die Zuschauenden sich über ein Online-Tool Lieder wünschen konnten. Dafür machte ich viele ermüdende Überstunden, hatte aber auch viel Freude.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Viele Menschen haben in der Zeit des Shutdowns gemerkt, wie wichtig Musik ihnen und vielen Anderen ist, um durch Krisenzeiten zu kommen. Dies kann hilfreich sein, um mehr Verständnis und einen höheren Stellenwert der Musiktherapie in der Gesellschaft zu erreichen. Ansonsten denke und hoffe ich, dass schnell wieder ein “normaler” Berufsalltag einkehren wird. Musiktherapie wirkt bei allen kreativen Corona-Angeboten doch am besten im direkten zwischenmenschlichen Kontakt.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Auch diese Krise hat wieder gezeigt: Es besteht in unserer Gesellschaft ein hoher Bedarf nach Musik(therapie). Diese gesellschaftliche Anerkennung geht jedoch nicht ansatzweise mit einer finanziellen und strukturellen Anerkennung einher. Ich wünsche mir von den einzelnen Kliniken, vom Gesundheitssystem allgemein und vor allem von den Kostenträgern ein klares JA! zur Musiktherapie, die feste Verankerung der Therapie in den Therapiekonzepten und die Kostenübernahme durch Krankenkassen.

vier fragen an... Gaby Flossmann, Passau

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Gaby Flossmann

Einerseits war es eine merkliche Entschleunigung, was ich sehr angenehm empfunden habe, zum Anderen bringt es finanzielle Einbußen für mich. Mit online-Konferenzen und Korrespondenz verbringe ich mehr Zeit vorm PC; sehr unangenehm, denn es ersetzt nicht den face-to-face-Kontakt und wir werden abhängiger von den technischen Geräten.

Ich habe zudem Dinge umgesetzt, für die ich mir keine oder bedeutend weniger Zeit genommen hätte. Das Musizieren und Üben hat deutlich mehr Raum bekommen.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Derzeit sind es finanzielle Einbußen und das Singen mit einer ffp2-Maske ist eine neue Erfahrung. Es lässt die Mimik nur schwer erkennen und erschwert die Kommunikation. Auch die anfängliche Unsicherheit, darf ich mich, trotz Maske, an das Bett des Patienten setzen, war zunächst da. Dies spielte spürbar mit rein.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Derzeit wird singen ja als “gefährlich” eingeschätzt. Grundsätzlich wünsche ich mir, dass in dieser Krise das Bewusstsein für die kreativen Tätigkeiten, im pädagogischen und therapeutischen Kontext, wachsen kann. Das Singen, die Kunst und die Musik an sich als Ausdrucksmöglichkeit ohne Leistungsdruck kann als selbstverständlich und als Teil unserer Kultur gesehen werden. Menschen mit Behinderung und / oder Kinder singen und drücken sich unverfälscht aus, hier haben wir tolle Vorbilder.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Aufnahme in die Positiv-Liste und in die S3-Leitlinien, Abrechnung über die Krankenkassen,evidenzbasierte Studien.

Wir bedanken uns bei den Autor.innen für die Antworten. Wir setzen die Reihe gerne fort: Wenn Sie, liebe Musiktherapeut.innen, auch die Fragen beantworten möchten, schicken Sie diese bitte an blog@musiktherapie.de.

Die vorherigen Folgen der Serie:

Vier Antworten von Elka Aurora, Silke Kammer, Yuka Kikat und Dr. Johannes Unterberger (7. Mai 2020), sowie Vier Antworten 2 von Inga Auch-Johannes, Sandrine Doepner, Lena Eliaß und Dorothea Käding (8. Juni 2020). 

Autor.innenfotos: die Rechte liegen bei den Autor.innen.

Headerfoto: pxhere

Volker Bernius

Volker Bernius

Volker Bernius, Studium der Theologie, Musik, Psychologie. Seit 1979 Redaktionsmitglied der Musiktherapeutischen Umschau, ab 1986 Chefredakteur, Beisitzer im Vorstand der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft: Von 1981 bis 2015 Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsredakteur Hessischer Rundfunk, Mitgründer und Fachbeirat der Stiftung Zuhören, Journalist, Autor, Herausgeber, Dozent.

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