40 Jahre Musiktherapeutische Umschau Wortwolken

Daten präsentieren oder einfach Geschichten erzählen?

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Ein Interview von Volker Bernius –

Im Jubiläumsheft zum 40. Jahrgang der Musiktherapeutischen Umschau geht Dr. Thomas Bergmann auf die Frage ein, wie Musiktherapeut.innen über ihre Arbeit berichten können, welche Formen dafür in welchen Situationen hilfreich sind. Im Interview mit MU-Chefredakteur Volker Bernius erzählt er darüber hinaus, warum die unterschiedlichen Adressaten besonders beachtet werden sollten, und welche Stolperfallen es bei der Vermittlung geben kann.

Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig, dass Musiktherapeut.innen sich mit ihrer Arbeit präsentieren?

Ich halte das für überlebensnotwendig. Praktisch arbeitende Musiktherapeut.innen unterliegen in der Regel der Dokumentationspflicht und nehmen an Teamsitzungen und Fallbesprechungen teil, forschende Musiktherapeut.innen präsentieren ihre Arbeit durch Publikationen, Kongressposter, Vorträge und Workshops. In der Weise, wie das gemacht wird, spiegelt sich für Außenstehende die Rolle und die Qualität der Arbeit. Klinische Musiktherapeut.innen, die nicht dokumentieren und keinen interdisziplinären Austausch pflegen, sind nicht als Teil eines multimodalen Behandlungssettings wahrnehmbar, forschende Musiktherapeutinnen, die nicht präsentieren, werden auch nicht diskutiert und zitiert. Das heißt in beiden Fällen: Land unter!

Worauf sollte ein.e Musiktherapeut.in besonders bei der Vermittlung achten?

Zentral ist, sich an den Adressaten zu orientieren, diese zu interessieren und vor allem deren Sprache zu sprechen. Beim fachlichen Austausch mit musiktherapeutischen Kolleg.innen kann man davon ausgehen, dass Kolleg.innen verstehen, wenn man davon berichtet, dass ein Patient für 5 Minuten abwechselnd die Töne Des und Es spielt. In einem schriftlichen Verlaufsbericht für das Behandlungsteam oder den Kostenträger kann man das jedoch nicht voraussetzen – ein anderer Adressat also. Hier wären z.B. Beschreibungen sinnvoller, die zeigen, was bezogen auf das Behandlungsziel psychosozial passiert. Dies könnte sein, dass der Patient das Ausdrucksspektrum des gewählten Instrumentes nicht nutzt, dass er stereotype Ausdrucksmuster zeigt, dass er sich im gemeinsamen Spiel der Gruppe isoliert…

Wo gibt es besondere Stolperfallen bei der Vermittlung eigener Daten oder Fallbeispiele? Also: was kann man falsch machen?

Das spielt auf den Titel meines Beitrags in der MU an („Daten präsentieren oder einfach Geschichten erzählen?), die Polarität zwischen objektiv/distanzierter Datenpräsentation und subjektiv/mitreißender Erzählung. Hier gilt es geschickt zu balancieren. Will man z.B. eine Selbsthilfegruppe von Eltern autistischer Kinder von den Potenzialen der Musiktherapie überzeugen, sind Videobeispiele und Berichte von Einzelverläufen primär zu empfehlen. Da die Eltern durch ihre Kinder „Spezialisten“ sind, würden sie intuitiv verstehen. Ein Cochrane Review mit dem Bericht über Effektstärken in verschieden Settings hätte kaum Überzeugungskraft und würde ohne Anschauungsmaterial die Musiktherapie blass aussehen lassen. Präsentiert man hingegen z.B. beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und  vor einem medizinisch geprägten Publikum, würde man sich durch das reine Erzählen von Geschichten aus dem Therapieraum diskreditieren. Aber – jeder Mensch hört gern Geschichten und will angeregt und berührt werden. So können kurze Videosequenzen auch eine Datenpräsentation auflockern und ein tieferes Verständnis für den Gegenstand vermitteln…

… das heißt, bei bestimmten Adressaten sollte man Fremdwörter vermeiden…

… wenn fremdsprachliche Fachausdrücke dazu genutzt werden zu zeigen, wie toll man ist, man dadurch aber schwer verständlich wird, unbedingt! Wenn Fremdwörter Teil des Sprachkodex der Adressat.innen sind und zur einfachen und präzisen Darstellung beitragen, seien sie willkommen. Ist die Zielgruppe divers, sollte man Fachausdrücke kurz erklären, um alle mit einzubeziehen.

Wie können praktische Beispiele helfen, Forschung und Praxis zu vermitteln?

Beispiele aus der Praxis können immer helfen, Musiktherapie zu vermitteln, gerade weil viele Menschen keine Vorstellung davon haben, was da passiert. Oft sind es ja musikalisch-körperlich-emotionale Abstimmungsprozesse, die diese besonderen Momente in einem musiktherapeutischen Prozess ausmachen.

Welche besonderen Tipps gibt es, wenn ich Menschen erreichen will, die von Musiktherapie keine Ahnung haben, die aber etwas von Musiktherapie erfahren sollen?

Ganz einfach: selber machen lassen. Über das eigene Erleben verstehen lassen. Warum nicht auch mal zu einer Teamsitzung in den Musiktherapieraum einladen? Da können auch fachfremde Kolleg.innen mal probieren und ausgehend davon, kann man auf Wirkmechanismen und Behandlungskonzepte eingehen.

Wenn man die amerikanische Darstellung von wissenschaftlichen Ergebnissen mit anderen zum Beispiel deutschsprachigen Vermittlungen vergleicht, dann habe ich den Eindruck, dass die Amerikaner eine verständlichere Sprache verwenden… stimmt das und woran liegt das?

Englisch ist eben die globale Wissenschaftssprache, und aus Amerika stammen die Richtlinien zur Manuskriptgestaltung und wissenschaftliche Datenpräsentation[*]. Auch ist die Orientierung der Musiktherapie im englischsprachigen Raum mehr am Best Practice-Standard und damit an der sogenannten Evidenzbasierten Medizin orientiert. Im deutschsprachigen Raum gibt es hingegen eine qualitative Forschungstradition und es dominieren Fallberichte und Einzelfallstudien. Das heißt, dass bei uns eine wortreichere geisteswissenschaftliche Präsentation vorherrscht, im Gegensatz zu einer gradlinigen naturwissenschaftlichen Sprache. Bezogen auf die Sprache selbst kann ich sagen, dass meine deutschen Gedanken und Texte bei einer Übersetzung ins Englische an Prägnanz gewinnen, was aber auch an meiner eingeschränkten englischsprachigen Beweglichkeit liegen mag. However, anderen Autoren und Autorinnen wird es auch so gehen und sie tragen zum „Body of Literature“ englischsprachiger Fachbeiträge bei.

* APA (2010). Publication manual of the American Psychological Association (6th ed.). Washington, DC: American Psychological Association.

Das Jubiläumsheft der Musiktherapeutischen Umschau kann hier im open access kostenlos heruntergeladen werden. Die Preview der jeweils aktuellen MU-Ausgabe finden Sie auf der Homepage der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft unter Veröffentlichungen.

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Thomas Bergmann

Dr. Thomas Bergmann, Musiktherapeut und therapeutische Leitung des Berliner Behandlungszentrums für psychische Gesundheit bei Entwicklungsstörungen am KEH, Supervisor und Lehrtherapeut (DMtG) in eigener Praxis, Lehrbeauftragter der Medical School Berlin, Mitglied der AWMF-Steuergruppe zur Erstellung der S3-Leitlininien Autismus-Spektrum-Störungen – Therapie. Forschungsschwerpunkte: Autismus-Spektrum-Störungen und sozio-emotionale Entwicklung, Assessments und musikbasierte Diagnostik.

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