Header Anna Lisa Prechtl und Susanne Heinze Dialog zum selbstwertstärkenden Feedback (SelF)

Das selbstwertstärkende Feedback (SelF) und eine neue Variante

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Lisa Prechtl & Susanne Heinze im Dialog

SH: Wie sieht das Setting deiner Arbeit aus?

LP: Ich arbeite in einer Erwachsenenpsychiatrie auf verschiedenen Stationen mit Patient:innen mit unterschiedlichen Diagnosen, wie beispielsweise Sucht, Depression, Angst oder auch Demenz. Da es offene Gruppen sind, ist nahezu kein prozesshaftes Arbeiten möglich. In diesem Setting ist es mir wichtig, dass ich die Patient:innen am Ende der Sitzung gut entlassen kann.

LP: Wie sieht das Setting bei dir aus?

SH: Ich arbeite in einer Klinik für Psychosomatik mit erwachsenen Patient:innen einer Station, einer allgemeinen Tagesklinik und der psychosomatischen Institutsambulanz. Alle Gruppen, mit denen ich arbeite, sind halboffene Gruppen, so dass sich im Therapieverlauf immer wieder Teilnehmende verabschieden und neue hinzukommen.

Je nach Struktureinheit bleiben die Teilnehmer:innen 8 bis 14 Wochen in der Musiktherapie und lernen sich innerhalb des gesamten Gruppenkonzeptes gut kennen. Teilnehmer:innen der ambulanten Gruppe sind für gewöhnlich mehrere Monate Teil der Gruppe. Sie kommen einmal wöchentlich aus ihrem häuslichen Umfeld in die Musiktherapie und werden zusätzlich ärztlich und gesprächspsychotherapeutisch begleitet.

SH: Wie ist die Methode des selbstwertstärkenden Feedbacks (SelF) entstanden?

LP: Die Feedback-Methode ist 2015 im Rahmen meiner Masterarbeit entstanden. Ich habe sie für das Projekt echt stark entwickelt. Das ist ein präventives Projekt für Mädchen und hat die Stärkung des Selbstwerts zum Ziel. Die Methode des SelF kann in den Bereichen Prävention, Therapie oder auch im pädagogischen Setting angewandt werden.

SH: Was ist SelF?

LP: Die theoretische Grundlage bildet die Neuropsychotherapie nach Klaus Grawe (2004). Er beschreibt, dass ein Lob Menschen mit negativem Selbstwert nicht erreicht, da sie dieses abwehren. Bei Menschen mit niedrigem Selbstwert ist also ein anderer Weg nötig. Hier kommt der Gedanke, über einen Stellvertreter zu agieren, ins Spiel. Laut Grawe kann über eine Stellvertreterfunktion Selbstwert-erhöhendes Verhalten eher angenommen werden.

Als ich das gelesen habe, kam mir die Idee, dass sich das doch gut in einer gemeinsam improvisierten Musik umsetzen ließe, weil ein Instrument als Stellvertreter fungieren kann. Ich beschreibe die Spielweise des/der Musizierenden an einem Instrument und benenne, welche Funktion diese Klänge für eine  gemeinsame Musik haben. So kann ich Menschen  mit negativem Selbstwert besser erreichen, da meine Rückmeldungen über das Instrument leichter angenommen werden können. Zum Beispiel:

„Die Trommel hat einen gleichmäßigen Rhythmus gespielt. Sie hat damit für eine Basis in der Musik gesorgt.“

Ich spreche über die Trommel und schaue dieses Instrument dabei an. Ich verwende also die Trommel als Stellvertreterin für die Person, beschreibe die Klänge und benenne deren Funktion für die gemeinsame Musik.

LP: Du wendest eine neue, stärker interaktive Variante des SelF an. Beschreibe das doch mal!

SH: Als ich 2023 deinen Artikel in der Musiktherapeutischen Umschau las, hatte ich natürlich meine Gruppen im Hinterkopf. Es ist mir prinzipiell wichtig, die Teilnehmer:innen (TN) darin zu bestärken, dass sie sich gegenseitig unterstützen und mutiger in das Gruppengeschehen einbringen. Deshalb habe ich das SelF in den Gruppen so eingeführt,   dass die Teilnehmenden einander das Feedback gegenseitig geben, nachdem ich ihnen einige Beispiele genannt habe. In den Gruppen arbeiten wir dann daran, die Rückmeldungen im Sinne des SelF zu präzisieren. Wenn es um die Beschreibung des Spiels der Instrumente geht, nutzen wir dabei Kategorien der Musikbeschreibung, die wir auch in der rezeptiven Musiktherapie verwenden, wie zum Beispiel laut- leise, hoch-tief, kraftvoll-sanft usw.

SH: Wann ist es hilfreich, wenn SelF von der Therapeutin formuliert wird?

LP: Bei stark fluktuierenden Gruppen, wie es bei meiner Arbeit im offenen Gruppensetting der Fall ist, bleibt keine Zeit, um eine Gruppe mit der eigenen Anwendung des SelF vertraut zu machen. Daher gebe ich im offenen Gruppensetting meinen Patient:innen ein SelF, wenn wir gemeinsam improvisiert haben.

LP: Was ist der Vorteil, wenn sich TN untereinander das SelF geben?

SH: Phantasie und die assoziative Ebene werden angeregt, zum Beispiel bei Menschen, denen es schwerfällt, die Musik zu beschreiben. Weiterhin können die Teilnehmer:innen üben, einen Perspektivwechsel einzunehmen: weg von Abwertungen, hin zu einem neutralen oder positiven Blick. Sie fühlen sich gegenseitig von anderen Gruppenmitgliedern in besonderer Weise gehört und gesehen. Das wiederum stärkt die Beziehungen untereinander in der Gruppe und dadurch das gesamte Gruppengefüge.

LP: Beschreibe doch mal einen typischen Sitzungsverlauf mit SelF.

SH: Ich beginne meine Gruppe immer mit einer Achtsamkeitsübung. Je nach Ablauf der Übung schließt sich gleich danach eine Improvisation an. Wenn es in der Achtsamkeitsübung beispielsweise darum geht, wie die Gruppe heute klingt, könnte sich ein SelF anschließen bei dem sich alle mit ihrem Spiel gehört und gesehen fühlen. Oft entwickelt sich danach ein Thema, zu welchem musikalisch gearbeitet wird. Auch nach einer Abschlussimprovisation habe ich das SelF schon eingesetzt, als Schlusspunkt für die Sitzung. Dann werden diese Worte mit auf den Heimweg genommen.

SH: Wie sieht ein typischer Sitzungsverlauf mit SelF bei dir aus?

LP: Bei mir ist die Gruppe häufig gemischt und besteht aus Teilnehmer:innen die Musiktherapie zum ersten Mal kennenlernen und daneben aus anderen, die viel Erfahrung mit Musiktherapie mitbringen. Ich erläutere kurz das Vorgehen dieser Therapieform und dann improvisieren wir, arbeiten mit dem Liedhefter oder hören Musik. Während einer Improvisation höre ich genau zu, was die einzelnen Teilnehmer:innen spielen und merke mir zu jedem Spielenden eine markante musikalische Aktion. Nach einer Improvisation frage ich die Teilnehmer:innen zunächst, wie sie das Musik-machen erlebt haben und sammle Rückmeldungen ein. Nachdem alle gesprochen haben, gebe ich im Anschluss allen ein SelF.

LP: Für welche Spielformen ist SelF im Anschluss sinnvoll oder nicht sinnvoll?

SH: Ich verwende das SelF gern nach einer freien Improvisation, also nach Musik, die den Klang der Gruppe verdeutlicht sowie nach Phantasiespielen, wie Klanglandschaften oder Wetterkarten.

Bei Spielformen, in denen es um den Ausdruck eines persönlichen Gefühls oder Themas geht, fand ich es bisher eher ungeeignet, da es um eine musikalische Offenbarung zu einem Thema geht, welche an sich wirkt und wertgeschätzt wird.

SH: Wie siehst du es?

LP: Wenn ich mit Spielideen arbeite, die einen bestimmten musikalischen Aspekt in den Fokus rücken, wende ich anschließend kein SelF an. Zum Beispiel bei einer Improvisation zu laut und leise. Dann beschränke ich mich nach der Improvisation im Austausch mit der Gruppe auf die Erlebnisse, welche die Lautstärke betreffen.

Arbeite ich ohne einen bestimmten musikalischen Fokus, wende ich in der Regel das SelF an, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass die meisten Menschen diese Form der Rückmeldung sehr gut annehmen können. Gibt es TN in Gruppen, die eine Improvisation im Nachhinein abwerten und das eigene musikalische Tun oder das Musizieren der anderen TN negativ bewerten, dann achte ich darauf, am Sitzungsende das SelF zu geben. So bleibt das Feedback am Ende stehen und kann ein Gegengewicht zu der negativen Bewertung darstellen.

SH: Wann ist direktes oder indirektes Feedback sinnvoll?

LP: Menschen mit einem positiven Selbstwert muss ich nicht über die Stellvertreterfunktion mit Hilfe des indirekt selbstwertstärkenden Feedbacks ansprechen. Diese Menschen können eine Selbstwert-erhöhende Rückmeldung auch dann integrieren, wenn ich sie direkt anspreche:

„Du hast mit deiner Trommel einen gleichmäßigen Rhythmus in die Musik eingebracht. Damit hast du für ein rhythmisches Gerüst in der Musik gesorgt.“

Patient:innen in einer psychiatrischen Klinik haben in der Regel einen eher negativen Selbstwert. Deshalb wende ich dort immer die indirekte Form des SelF an, welches mit der Funktion des Stellvertreters arbeitet, um sicherzugehen, dass ich mein Gegenüber erreiche.

Online-Kurse zum SelF

Header echt stark-Projekt von Anna Lisa Prechtl. Copyright: Anna Lisa Prechtl.

Zum Selbstwertstärkenden Feedback (SelF) gibt es Online-Kurse!

Alle Informationen dazu sind auf der Webseite des echt stark-Projekts zu finden:

echtstark-projekt.de.

Literaturangaben

Grawe, Klaus (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Prechtl, Anna Lisa (2023). Das selbstwertstärkende Feedback – SelF. Musiktherapeutische Umschau, Band 2, 114-118. doi:10.13109/muum.2023.44.2.114.

Prechtl, Anna Lisa (2019). Steckbrief Forschung. Evaluation des musiktherapeutischen echt stark-Projekts (Blogbeitrag, 12. Dezember 2019).

 

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Susanne Heinze & Anna Lisa Prechtl

Susanne Heinze arbeitet seit 1999 als Musiktherapeutin Mag. Art. (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universitätsklinik Dresden mit Erwachsenen. 2023 als Heilpraktikerin für Psychotherapie Eröffnung der Praxis „ResonanzRaum“. 2024 Zertifikat als Lehrmusiktherapeutin. www.resonanzraum-dresden.de. Anna Lisa Prechtl ist Musiktherapeutin (M.A. Universität der Künste Berlin). Im Rahmen ihrer Masterarbeit Entwicklung des Selbstwertstärkenden Feedbacks (SelF) und Durchführung des echt stark-Pilotprojekts. Seit 2016 Musiktherapeutin in einer Erwachsenenpsychiatrie der Bezirkskliniken Mittelfranken, seit 2019 Eröffnung ihrer Praxis für Musiktherapie, seit 2018 promoviert sie an der HfMT Hamburg zum Thema Evaluierung des echt stark-Projekts. Im Erstberuf Lehrerin (M. Ed., Universität Potsdam) für die Fächer Musik und LER (Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde) Klasse 1-10. https://echtstark-projekt.de.

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