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Fremdheit und Heimat – das geht uns alle an…

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Ein Interview mit Mary Laqua von Mona Dittrich und Volker Bernius.

„Identitäten“ – darum ging es in vielen Beiträgen im Themenheft 2021 der Musiktherapeutischen Umschau (MU). Musiktherapeutin Mary Laqua berichtete in Heft 03-21 über ihre amerikanisch-deutsche musiktherapeutische Identität. Schwerpunkt des Beitrags sind die Erfahrungen ihrer bikulturellen beruflichen Identität, die sie als „Verinnerlichung mehrerer therapeutischer Kulturen und Sprachen“ beschreibt – ein kulturelles „Frame-Switching“ und ein „work in progress“. Mary Laqua wurde Ende der siebziger Jahre in den USA zur Musiktherapeutin ausgebildet und kam vor über 30 Jahren aus persönlichen Gründen nach Deutschland; seitdem arbeitet und lebt sie in Bayern. Mona Dittrich und Volker Bernius haben bei Mary Laqua nachgefragt, welche Erfahrungen in ihrer musiktherapeutischen Praxis besonders prägend für sie sind.

Mary Laqua Musiktherapeutin

Diplom-Musiktherapeutin (MM – Music Therapy Specialization), Neurologic Music Therapy Fellow, zert. DMtG. Arbeit mit Menschen mit demenziellen Veränderungen und Schwerst­pflege­bedürfigkeit, neurologische Frührehabilitation am Caritas Sankt Anna Haus Holzkirchen und an der Fachklinik Bad Heilbrunn. Von 2005 bis 2017 in der Redaktion des Jahrbuchs Musiktherapie zuständig für die Abstracts und für englischsprachige Kontakte. Seit 2018 arbeitet sie in gleicher Funktion ehrenamtlich in der Redaktion der Musiktherapeutischen Umschau, und ist seit 2021 alleinverantwortlich für die Abstracts.

 

Frau Laqua, in Ihrem Beitrag für die Musiktherapeutische Umschau reflektieren Sie, Ihre Herkunft, das „Hineinwachsen“ in die neue Landeskultur und was für Sie daraus in Deutschland beruflich entstanden ist. Lassen Sie uns zunächst nicht die Musik in den Mittelpunkt stellen: Sie weisen auf ein Zitat Karls des Großen hin: „Eine andere Sprache zu können, ist wie eine zweite Seele zu besitzen“: Sie sagen, dass Ihr amerikanischer Akzent in der Kommunikation eine große Bedeutung hat – welche Reaktionen erleben Sie in der täglichen musiktherapeutischen Arbeit?

Mein sprachlicher Akzent löst Voreingenommenheiten, Erinnerungen und Gefühle aus. Mir fallen zwei Patient.innen auf der neurologischen Frührehabilitation ein. Die zwei Frauen waren im gleichen Klinikzimmer. Ausgelöst durch das Hören meines amerikanischen Akzents, erzählten beide Frauen witzigerweise von ihren Kenntnissen und Erfahrungen über und mit Elvis Presley. Die eine hat als junge Frau in Frankfurt auf einer Fete mit ihm getanzt, davon gibt es sogar noch ein Foto. Die andere Patientin traf ihn in einem Münchner Krankenhaus, wo sie als Krankenschwester gearbeitet hat. Es folgte ein heiterer Austausch darüber, „wie er war“. Ja, tatsächlich, fanden beide Frauen, dass er im Vergleich zu seinem öffentlichen Image, ganz „normal“ war und dass seine Auftritte viel zu wild für die damalige deutsche Gesellschaft der späten 50‘er Jahre war. Wir sangen dann gemeinsam zum Schluss „Love Me Tender“. Und das Foto mit der Patientin und Elvis hängt noch heute in der Therapieverwaltung der Klinik…

… Erinnerungsspuren aufgrund von Sprache und Musik! Es scheint so zu sein, dass dieses Zusammenspiel aufgrund ihrer bikulturellen Situation ein Plus für Ihre therapeutische Arbeit ist!

Die Reaktionen von Bewohner.innen auf mein stark akzentuiertes Deutsch sind von großer Bedeutung. Früher, wenn betagten Bewohner.innen meinen Akzent hörten, erzählten sie oft ihre Kriegsgeschichten, manchmal mit einem überraschenden Maß an Intimität – und zum teils sogar vergleichbar mit dem, was durch das gemeinsame Hören oder Gestalten von Musik erreicht wird. Wenn man bedenkt, dass ich in Bayern arbeite, wo die Amerikaner einmarschierten und nach dem Zweiten Weltkrieg stationiert waren, gelingt es mir mit meinem amerikanisch-gefärbten Deutsch, diese frühen Erinnerungen auszulösen. Die damit verbundenen Emotionen – auch bei Bewohnern mit Demenz – haben schon öfter dazu geführt, dass ein Bewohner spontan dazu übergeht, mit mir Englisch zu sprechen, obwohl unsere erste Begegnung auf Deutsch stattgefunden hat. Diese Begegnungen erlebe ich überwiegend als eine Art Voreingenommenheit, die die Kommunikation und Interaktion mit meinen Klienten maßstäblich und größtenteils positiv beeinflusst.

Hat sich die Gewichtung von Musik und Sprache in der Therapie seit Ihrer Arbeit in Deutschland verändert?

Im Grunde nicht, obwohl nun seit der Corona-Pandemie und der daraus folgenden Maskenpflicht in der Arbeit, das Sprechen und überhaupt die verbale Kommunikation mit Heimbewohner.innen / neurologischen Patient.innen sehr reduziert ist! Wesentlich bei meiner musiktherapeutischen Arbeit ist die Erkenntnis, dass authentisch zu bleiben bedeutet, sowohl zu meinem akzentuierten Deutsch als auch zu meiner zögerlichen Verwendung der bayerischen Sprache zu stehen. Und diese Tatsachen sogar zu „bejahen“. Ehrlich gesagt, habe ich Jahre gebraucht, um das zu erreichen.

Ein großer Faktor kultureller Identität ist häufig auch Religiosität. Auch in Deutschland sind viele Regionen stark durch den christlichen Glauben geprägt, während unsere Gesellschaft sich gleichzeitig zunehmend multikulturell und multireligiös entwickelt. Wird interkulturelle Arbeit in unserem Einwanderungsland auch im Therapiebereich zunehmend an Relevanz gewinnen? Welche Erfahrungen haben Sie, welche potenziellen Konflikte sehen Sie?

Interkulturelle Arbeit ist bereits heute an Arbeitsplatz relevant, wie das Beispiel der Pflegeheime mit ihrer großen Vielfalt an Menschen zeigt, die unter einem Dach arbeiten. Das wird auch in der therapeutischen Arbeit neue Dimensionen gewinnen. Es ist in der Tat faszinierend, den Mikrokosmos eines deutschen Pflegeheims als Spiegel der heutigen deutschen Gesellschaft zu betrachten. Die Zahl der “Zuwanderer”, die in der Pflege, sozialen Begleitung, Hauswirtschaft und Küche arbeiten, ist genauso hoch, wenn nicht sogar höher (!), als die der Angestellten mit deutscher Herkunft. Wie ist es möglich, dass Menschen aus Kulturen und Ländern der ganzen Welt in einer Einrichtung zusammenarbeiten können? Das Lern-Potenzial von diesen Bevölkerungsgruppen ist immens. Welche Eigenschaften befähigen Einwanderer zur Assimilation? Was führt zu Resilienz angesichts der Assimilierung? Wie wird Resilienz in verschiedenen Kulturen erzeugt?

Das sind Fragen, die zu der Zeit, als Sie nach Deutschland kamen, weder gedacht noch diskutiert waren und wurden. Erst in den letzten Jahren sind sie stärker im Bewusstsein – auch auf der politischen Ebene. Die Pläne und Vorhaben im Koalitionspapier der drei Parteien zeigen, dass sich künftig in der Migrationspolitik einiges ändern soll – was sich dann auch vielleicht auf den Sektor des Gesundheitswesens auswirkt – zumindest hier müssen sie auch gründlich beantwortet werden.

Ich kann mir vorstellen, dass stärkenbasierte (strength-based) therapeutische Ansätze immer wichtiger werden. Um Resilienz zu kultivieren, sind solide klinisch-therapeutische Modelle für den Aufbau und die Stärkung positiver Eigenschaften erforderlich, die bereits in den Menschen vorhanden sind. So, zum Beispiel, Bewältigungs- und Problemlösungsfähigkeiten, Flexibilität, Sinn für Humor und Kreativität. Hier werden die moderne kognitive Verhaltenstherapie und die interkulturelle Psychologie von grundlegender Bedeutung sein.

Natürlich kommt es zu Konflikten, da die Reaktionen der Menschen auf Einwanderer (und auf das Thema Globalisierung insgesamt) sowohl vielfältig als auch polarisiert sind. Soziale Normen aus anderen Kulturen stellen unsere eigenen Normen in Frage. Schätzen wir diese Vielfalt oder bekämpfen wir sie? Zurück zum Mikrokosmos Pflegeheim: Die Einrichtung, in der ich arbeite, ist Caritas geleitet. Vor zwanzig Jahren waren in dem Heim noch kroatische Nonnen beschäftigt. Und heute?  Kürzlich tönte arabische Musik aus der Küche. Bemerkenswert!

Die amerikanische Kultur spielt zum Beispiel durch Filme und Musik in Deutschland und Europa auch heute noch eine große Rolle und ist teilweise auch durch Stereotypien geprägt. Wie kommt dies in der Therapie zum Tragen, welche Rolle spielt das für Sie persönlich?

Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, sich der komplexen Dynamik der manchmal verborgenen, manchmal unverhohlenen und oft verführerischen westlichen Sichtweise beispielsweise von Hollywood-Soundtracks bewusst zu werden. Was aber in meiner Arbeit zusätzlich eine wichtige Rolle spielt, ist die Anerkennung meiner eigenen musikkulturellen Vorurteile, die ich in das musiktherapeutische Setting einbringe. Das bedeutet, meine eigene Weltanschauung zu überprüfen, um tiefere kulturelle Einsichten zu gewinnen, was kontinuierliches Engagement und Wachsamkeit verlangt. Ich ertappe mich selbst – zum Beispiel – dabei, wie ich stereotypische Klischees über meine Herkunft aufrechterhalte. Wenn mich jemand fragt, woher ich in den USA komme, ist meine erste Antwort oft “Der Wilde Westen”, denn aus europäischer Sicht ist es das auch! Ungezähmte Wildnis, Rancher, Cowboys und Indianer (aber nicht wie in den Filmen), mangelnde Waffenkontrolle usw. gibt es immer noch im US-Südweststaat Arizona.

Ich gebe auch zu, dass ich oft in die Falle der “sicheren und ansprechenden” Musik tappe…

… was meinen Sie mit „sicherer und ansprechender Musik?

Ich beziehe mich hier auf Musik, die Vertrautheit und positive Erinnerungen hervorruft. Demgegenüber steht Musik, die konflikthafte Gefühle, Trauer, emotionale Ambivalenzen oder Befürchtungen auslöst.

Musikbeispiele, die ich als das Gegenteil von “sicher und ansprechend” erlebt habe, sind u.a. “Das Wolgalied” aus dem “Zarewitsch” von Lehár oder “Wenn die bunten Fahnen wehen”, eines der bekanntesten Lieder aus der deutschen Jugendbewegung und das während der NS-Diktatur weite Verbreitung fand. Oder sogar “Stille Nacht” (in der Vorweihnachtszeit). Wenn solche historisch-biographisch emotionsgeladene Lieder vorgeschlagen werden, bitte ich oft die ganze Gruppe abzustimmen, ob wir es gemeinsam singen wollen. Das kann zum Austausch auf diversen Ebenen (sowohl verbal als auch nonverbal) zwischen den Bewohner.innen führen. Übrigens, hat sich bei dem letzten Beispiel die Mehrzahl dafür entschieden, dass sie “Stille Nacht” erst an Heiligabend singen möchten.

… das wäre dann sicher und ansprechend…

Also, um bei den Bewohner.innen/Patient.innen u.a. die Aufmerksamkeit und die soziale Interaktion zu erhöhen und positive Erinnerungen auszulösen biete ich Musik und Musikthemen an die, durch ihren hohen Maß an Vertrautheit und Beliebtheit, sicher und ansprechbar sind. Ist es aber zeitgemäß den Orientalismus eines Franz Lehárs in “Das Land des Lächelns“ oder ein Volkslied wie „Lustig ist das Zigeunerleben“ einzubringen?  Sie propagieren in der Tat unverhohlen rassistische Stereotypen.

Das heißt in Ihrer Arbeit haben Sie immer auch mit der Veränderung der musikalischen Erfahrungen zu tun. Es wird sicher heute noch Patient.innen geben, deren musikalische Prägungen sehr weit zurückliegen, andere sind geprägt von Erfahrungen seit den 50er Jahren…, das bedeutet, dass Sie musikalisch-historisch immer auf dem „Laufenden sein“ müssen und auch reagieren müssen auf Musik, Lieder, Songs, die Ihnen nicht so vertraut sind.

Der Generationswechsel im Pflegeheim ist offensichtlich erkennbar bei der Offenheit und dem Interesse mancher Heimbewohner.innen an der amerikanischen Kultur. Manche möchten zum Beispiel „Hillbilly“ Musik, andere Jazz, andere Songs aus Musicals hören. Weil ich weiterhin im ländlichen Bayern arbeite, ist der Bezug zur amerikanischen Kultur nicht ganz so ausgeprägt, eher bin ich herausgefordert die deutschen Schlager der ‘50er –‘70er zu lernen. Hier werde ich mit meiner eigenen kulturellen Arroganz konfrontiert, da ich persönlich keine Beziehung zu diesem Genre habe.

Das stelle ich mir nicht so einfach vor, denn die deutschen Schlager dürften Ihnen ja erstmal fremd gewesen sein (unabhängig davon, ob Sie sie mögen). Für die Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, kann das heimatliche Gefühle auslösen. Wie gehen Sie in der musiktherapeutischen Arbeit mit den Themen Fremdheit und Heimat um?

Das Thema „Fremdheit und Heimat“ ist mir natürlich sehr nah.

Spontan fällt mir dazu eine Musiktherapiegruppe ein, die kürzlich in dem Pflegeheim stattfand, in dem ich arbeite. Im Foyer einer Pflegestation findet am Mittwochnachmittag die Gruppentherapie mit etwa 15 Bewohner.innen statt. Die Gruppe ist heterogen, mit Bewohner.innen im Alter von 67 bis 90+ Jahren, mit leichter bis schwerer Demenz, Parkinsons, COPD usw. In der Woche zuvor hatte eine Bewohnerin gefragt, ob Freddy Quinn noch am Leben sei. Ich wusste es nicht und sagte, ich würde es herausfinden. Ich war überrascht zu lesen, dass er aus einer kleinen Stadt in Österreich stammte, dass sein Vater Ire war, dass er als kleiner Junge in die USA zog, dass er als Zirkusartist gearbeitet hat, usw. Das passte überhaupt nicht zu dem Bild des singenden Seemanns, das er offenbar für sein Publikum entwickelt hat. Auf jeden Fall, durch das Singen von Liedern Freddy Quinns, die die Bewohner.innen vorgeschlagen hatten: “Junge, komm bald wieder” und “La Paloma“, entwickelte sich, wenn auch latent, das Thema Fernweh und Heimweh heraus. Ich bot das Lied “Möwe, du fliegst in die Heimat” mit dem folgenden Refrain an:

Möwe, du fliegst in die Heimat,
grüß sie recht herzlich von mir.
All’ meine guten Gedanken
ziehen nach Hause mit dir!
Bist du im Dunkel entschwunden,
folgt dir voll Sehnsucht mein Blick.
Einmal nach stürmischen Tagen
kehre ich wieder zurück.
Möwe, du fliegst in die Heimat,
grüß mir mein heimliches Glück.

Als wir dieses Lied sangen, gesellte sich ein junger Pflegehelfer zu uns. Tony stammt aus Sierra Leona. Auf Nachfrage erklärten ihm die Bewohner, was eine Möwe ist, und es folgte eine Diskussion über ihre symbolische Bedeutung für die Menschen auf See. Ich fragte Tony, wie weit die Möwe fliegen müsste, um sein Haus zu erreichen. Er antwortete: “In einem Flugzeug, neun Stunden.” Auf die Frage, wann er das letzte Mal zu Hause war, antwortete er: „vor 5 Jahren“. Als einziger Sohn verließ er sein Land, seine Kultur, sein Zuhause und seine Familie im Alter von 18 Jahren. Unausgesprochen blieb, dass es lebensgefährlich für ihn wäre zurückzukehren – aufgrund der Gewalt und Verfolgung in seinem Land.

Die Bewohner.innen konnten nur wenig von dem verstehen, was gesagt wurde, nicht nur wegen Tonys begrenztem Deutsch und überwiegend englischsprachige Antworten, sondern auch weil er Corona-bedingt eine medizinische Maske trug. Dennoch waren sie alle aufmerksam und engagiert. Und als Tony am Ende der Stunde fragte, ob er eine Kopie des Liedes haben könne, boten ihm eine Bewohnerin ihre Liedblatt an.

Wie sehen Sie die Verbindung zwischen Identität und Kultur in der therapeutischen Beziehung?

Therapeutische Beziehungen sind kulturell vielfältig, da jeder Mensch eine einzigartige Manifestation seiner Kultur ist. Jeder von uns als Musiktherapeut.in bringt seine/ihre persönlichen und musikkulturellen Vorurteile in den musiktherapeutischen Kontext ein. Die Themen „Fremdheit“ und „Heimat“ gehen uns alle an. Kulturelles Bewusstsein ist am Arbeitsplatz absolut notwendig, und als Musiktherapeuten haben wir die einzigartige Möglichkeit, mit unserem einmaligen Werkzeug, die Musik, beispielhaft zu agieren – ja, sogar gegenüber der Gesellschaft ein Vorbildfunktion einzunehmen. Damit meine ich die Akzeptanz, Annahme, Bestätigung und Verstärkung von dem, was in einer Musiktherapiegruppe vorkommt und was letztendlich Menschen gegenseitig unterstützen und fördern.

Zum Schluss eine Frage, Frau Laqua, die sich auf das Thema „Ausbildung“ bezieht. Das Medium Musik ermöglicht in der Musiktherapie ja Begegnung und gemeinsames Erleben über alle Kulturgrenzen hinweg. Dabei können auch kulturelle Besonderheiten der musiktherapeutischen Ausbildungsorte und -länder eine Rolle spielen. Sehen sie das große Thema der Bi- bzw. Multikulturalität in der musiktherapeutischen Ausbildung ausreichend gewürdigt?

Da meine musiktherapeutische Ausbildung (BA und MM) an einer US-Universität stattfand, finde ich es schwer, diese Frage in Bezug auf deutsche Bildungsinstitute zu beantworten. Zurückblickend war meine Ausbildung sowohl von europäischer Musikgeschichte und -Theorie als auch von westlicher Psychologie und wissenschaftlichen Modellen stark geprägt.

Auf jeden Fall wäre es wichtig, in der musiktherapeutischen Ausbildung Kurse oder Praktika anzubieten, die multikulturelles Musikverständnis und -erfahrungen fördern. Hier könnte die Ethnomusikologie eine stärkere Rolle spielen. Damit meine ich nicht nur das Vertraut-machen mit traditionellen Musikinstrumenten und Rhythmen aus verschiedenen Weltregionen. Wie wäre es mit Kursen, die Musik als Akkulturationsstrategie vermitteln und die Interaktion mit Menschen mit unterschiedlichem nationalem oder ethnischem Hintergrund enthalten? Wir müssen nicht bei null anfangen, sondern können auf existierende Modelle, wie z.B. die der Community Music Therapy, die kulturelle Sensibilität und -Integration fördern, aufbauen.

… was wäre das zum Beispiel?

Ich denke, es ist wichtig, positive gesellschaftliche Veränderungen in Bezug auf das “Anderssein” anzuerkennen, die sich im Bereich der musiktherapeutischen Ausbildung widerspiegeln. Im Jahr 2017 verlieh die AMTA (American Music Therapy Association) einen Undergraduate Student Research Award an eine Forschungsgruppe der Ohio State University zum Thema Music Therapy Students’ Preparedness and Training to Work with LGBT Clients. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Studie beschreibt, wie einige Musiktherapiestudent.innen ihre Vorbereitung auf die Arbeit mit der LGBT-Gemeinschaft wahrnehmen, was für die zukünftige klinische Aus- und Weiterbildung von Bedeutung ist. Ich erwähne dies, um darauf hinzuweisen, wie die LGBT Community als solche bezeichnet wird. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, in der diese Bevölkerungsgruppe als eine Subkultur (!) bezeichnet wurde.

Vielen Dank für das Gespräch!

Sehr gerne!

Mary Laqua. Bikulturelle berufliche Identität. Perspektive einer amerikanisch-deutschen Musiktherapeutin. Musiktherapeutische Umschau Bd. 42, 3 (2021). 251-258.

Mona Dittrich ist Musiktherapeutin (BA), zert. DMtG, MAS Mental Health, Bezirkskrankenhaus Kempten, Psychiatrie, Psychotherapie + Psychosomatik, Akutpsychiatrie, Neurologische Musiktherapie (NMT).

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Volker Bernius

Volker Bernius

Volker Bernius, Studium der Theologie, Musik, Psychologie. Seit 1979 Redaktionsmitglied der Musiktherapeutischen Umschau, ab 1986 Chefredakteur, Beisitzer im Vorstand der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft: Von 1981 bis 2015 Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsredakteur Hessischer Rundfunk, Mitgründer und Fachbeirat der Stiftung Zuhören, Journalist, Autor, Herausgeber, Dozent.

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