Musiktherapie in der Palliativmedizin. Headerfoto: pxhere

Würdevolle Momente – auf die Bedürfnisse der Patient.innen hören

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Ein Interview von Volker Bernius –

Seit Herbst 2018 gibt es eine Sektion Künstlerische Therapien in der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Kunst-, Tanz-, Drama- und Musiktherapeuten haben sich zusammengeschlossen, um ihre Interessen sichtbarer zu machen und stärker vertreten zu können. Musiktherapeut Gustav von Blanckenburg ist einer der Sprecher der Sektion. Im Interview mit Volker Bernius informiert er über die therapeutische Arbeit mit Palliativpatient.innen und über Ziele und Aufgaben der Sektion Künstlerische Therapien in der DGP.

Herr von Blanckenburg, der Titel Ihres Flyers ist überschrieben mit: „Ein Song, Drama oder rosa“. Das macht einerseits neugierig, andererseits etwas ratlos: Erklären Sie bitte, was Sie darunter verstehen…

Naja, ehrlicherweise soll der Titel genau Ihre Reaktion provozieren. Er soll neugierig machen und dazu verleiten, den Flyer zu öffnen. Der Titel bildet auch die Vielfalt der Künstlerischen Therapien ab, und er stellt dar, dass die Patient.innen eine Entscheidungsmöglichkeit haben – das ist schließlich ein zentraler Bestandteil der Palliativmedizin, den die Künstlerischen Therapien sehr gut anbieten können.

In der Palliativmedizin wird sehr viel von Multidisziplinarität gesprochen und doch werden unsere Berufsgruppen immer wieder außen vorgelassen. Wir arbeiten also daran, innerhalb der Palliativmedizin erstmal ein Bewusstsein und Verständnis für unsere Therapieformen zu vermitteln und eine bessere Sichtbarkeit der Künstlerischen Therapien zu erreichen. Dazu gehören ganz basale Projekte wie der Flyer, aber auch Stellungnahmen und Korrekturvorschläge zum Beispiel zur erneuerten S3-Richtlinie Palliativmedizin. Letztendlich ist das Ziel, die Künstlerischen Therapien als wichtigen Bestandteil des palliativmedizinischen Angebots auch in den Abrechnungsziffern zu verankern.

Wenn sich nun jemand für Musiktherapie entscheidet, wie gehen Sie in Ihrer Arbeit vor? Könnten Sie das an einem Beispiel beschreiben?

Grundsätzlich frage ich vor jedem Besuch nach dem Einverständnis, denn oft genug sind die Patient.innen gerade mit anderen Fragen beschäftigt, haben einen Termin, fühlen sich nicht wohl genug oder möchten einfach ihre Ruhe haben. Die entstehenden Interaktionen sind individuell und zu jeder Sitzung wieder sehr unterschiedlich. Um das richtige Angebot zu finden, folge ich einerseits den explizit formulierten Bedürfnissen der Patient.innen und horche andererseits auf meine Intuition, was gerade angemessen sein könnte.

Als Beispiel für diese Vielfalt fällt mir Frau A. (80) ein, der es zu Beginn einer Sitzung nicht gut ging und die zunächst ablehnen wollte. Nachdem sie die ersten beiden Sitzungen aktiv Volkslieder mitgesungen hatte und in hohem Maße mit Erinnerungen und positiven Emotionen in Kontakt gekommen war, klagte sie diesmal in Folge ihrer Bestrahlung über große Erschöpfung und Müdigkeit. Ich schlug ihr vor, für sie an verschiedenen Instrumenten zu improvisieren, worauf sie sich gerne einließ. Mit geschlossenen Augen lauschte sie, die Atmosphäre wurde sehr vertieft und ruhig. Als sie im Anschluss wieder im Hier und Jetzt angekommen war, wirkte sie deutlich erholt und entließ sie mich lächelnd mit einem „Das war schön!“.
Nach einer weiteren Sitzung, bei der Frau A. mir anvertraut hatte, dass sie nicht mehr könne und gerne sterben möchte, ihr Sohn ihr aber Druck mache, wieder auf die Beine zu kommen, fand ich sie in unserer letzten Sitzung nicht mehr ansprechbar auf. Ich spielte für sie verschiedene Lieder, die wir gemeinsam gesungen hatten. Nach einem freien Fürspiel hielt ich, meiner Intuition folgend, ihre Hand und passte meinen Atem an ihren an, verweilte so mit ihr in der atmosphärisch geladenen Stille. In diese Atmosphäre hinein griff sie meine Hand, eine Geste des Vertrauens und der Dankbarkeit. Aus ganzem Herzen sang ich für sie das Mantra „Ich wünsch dir tiefen Frieden“ und einem Impuls folgend das Lied „Der Mond ist aufgegangen“. In dieser von mir als sehr stimmig empfundenen Atmosphäre verabschiedete ich mich und wünschte ihr, dass sie ihren Frieden finden kann. Später erfuhr ich, dass Frau A. wenige Minuten nach meinem Besuch verstorben war.

Ihr Beispiel zeigt, dass Flexibilität eine grundlegende Kompetenz bei Ihrer Arbeit ist: Was macht das besondere Berufsbild von Künstlerischen Therapeut.innen, insbesondere von Musiktherapeuten, in der Palliativmedizin aus – vor allem, wenn Sie an die Voraussetzungen und Anforderungen denken?

Ich denke, es ist vor allem die Flexibilität und Gewohnheit sich schnell auf verändernde Rahmenbedingungen einstellen und gleichzeitig immer den Bedürfnissen der Patient.innen folgen zu können. Das ist eine große Qualität der Künstlerischen Therapien in der Palliativmedizin. Der Fokus auf die Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität der Patient.innen eröffnet die Möglichkeit zu Sitzungen ohne jeglichen Erfolgsdruck bezüglich bestimmter Symptome oder Verhaltensweisen auf Patient.in und Therapeut.in. Hier empfinde ich es tatsächlich manchmal als Segen, dass Andere gar nicht so genau wissen, wie genau wir den Patient.innen eigentlich so viel Gutes tun. Im Vergleich mit anderen klinischen Berufen ist zudem natürlich der schöpferische und kreative Ansatz besonders hervorzuheben, der, gerade in Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben, einen so anderen Blickwinkel bieten kann…

…was meinen Sie damit – könnten Sie das an einem Beispiel erklären?

Ich denke, bei der Musiktherapie können die Patient.innen so wie bei wenigen anderen Angeboten einfach so sein, wie sie gerade sind. Ärzt.innen müssen eine womöglich schmerzhafte oder unangenehme Untersuchung machen, in der Physiotherapie geht es um eine Mobilisierung und so weiter. Ich empfinde es daneben als große Freiheit, mit den Patient.innen genau das zu tun, was ihnen eben im Hier und Jetzt gerade gut tut, so unkonventionell es auch manchmal erscheinen mag.

So hatte ich einmal einen älteren Herrn, an dessen Sterbebett ich mit seinen erwachsenen Töchtern weinend und lachend ‚Im Wagen vor mir‘ und ‚Die Affen rasen durch den Wald‘ sang, weil er so ein humorvoller Mensch gewesen war. Oder eine junge Patientin in der Strahlentherapie, die am Wochenende Junggesellinnenabschied gefeiert hatte und noch etwas Helium übrig hatte von den Luftballons. Auf ihre Bitte hin machten wir unser Abschlussritual, das lauthalse Singen des Liedes ‚Wonderwall‘ an diesem Tag vor den Pflegekolleg.innen mit inhaliertem Helium – ein sehr unterhaltsamer und alberner Abschluss. Und wie gesagt: So unkonventionell oder auch blöd das manchen Menschen erscheinen mag – genau diese Momente sind es oft, die besonders würdevoll und heilsam sind. Mehr braucht es dazu nicht.

… mehr braucht es dazu nicht, sagen Sie… Das ist ja schon eine ganze Menge, das „Aufeinanderhören“ und das „spontane Reagieren“. Sie verweisen auf besondere Qualifikationen für Musiktherapeut.innen, welche sind das und wie können Sie diese Qualität der Therapeut.innen sichern?

Im Flyer war uns diese Aussage zur therapeutischen Qualität sehr wichtig, weil aus der DGP immer wieder diese Frage kommt: „Wie können wir gewährleisten, dass Palliativstationen nicht einfach den nächstbesten Musikstudenten einstellen und als Musiktherapie abrechnen?“ Der Verweis auf die Zertifizierung durch die DMtG und Bachelor- und Masterabschlüsse ist da gerade in Bezug auf Abrechnungsziffern und Leitlinien hilfreich und notwendig.

Wir wollen von anderen Bereichen der Musiktherapie lernen, die bereits etwas weiter sind – gerade in Bezug auf entsprechende Formulierungen und Überzeugungsarbeit im berufspolitischen Umgang mit Entscheidungsträgern, damit Qualität und Qualifikationen der Therapeut.innen anerkannt werden.

Warum schließen sich Künstlerische Therapeut.innen in der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) zusammen und nicht (nur) die Musiktherapeut.innen?

Ganz praktisch: Je stärker die Lobby, desto größer unser Einfluss. Und die Anliegen, die die verschiedenen Therapieformen momentan haben, scheinen mir sehr ähnlich zu sein. Konkurrenzdenken ist da aus meiner Sicht zum Nachteil Aller.

Die DGP ist durch die implementierte Multidisziplinarität erfrischend offen für unsere Anliegen. Ich persönlich sehe in der Palliativmedizin eine große Chance, die Schulmedizin insgesamt zu einem ganzheitlicheren Ansatz zu bewegen. Wenn wir also für eine gute Verankerung der Künstlerischen Therapien in der Palliativmedizin sorgen, stärkt das womöglich auf lange Sicht unsere Position in der Medizin allgemein.

Welche Unterschiede in Arbeit und Wirkung prägen die Künstlerischen Therapeut.innen?

Das empfinde ich tatsächlich ganz persönlich als spannendstes Element der Zusammenarbeit in der Sektion: Irgendwie arbeiten wir alle in der Therapie methodisch erstaunlich unterschiedlich, auch innerhalb der Musiktherapie. Und doch sehen wir sehr ähnliche Ergebnisse. In der Auseinandersetzung miteinander die Parallelen und zugrundeliegenden Wirkweisen zu erforschen und in Worte zu fassen, ist eine Herausforderung und zugleich sehr bereichernd. Die Unterschiede hier in wenigen Worten zusammenzufassen, ist mir dann aber doch eine Nummer zu groß… Das erhoffe ich mir als Fernziel der Arbeit in der Sektion mal erreicht zu haben.

Konzepte und Erfahrungen von Musiktherapie mit Sterbenden gibt es international und in Deutschland seit etwa 30 Jahren – was hat sich seitdem verändert?

Da ich selbst erst seit fünf Jahren im Beruf bin, fällt mir die Einschätzung, ob sich an den Konzepten so viel verändert hat, schwer. Meinem Empfinden nach ist es vor allem die Verbesserung der Studienlage und Literatur, die das Standing und die Akzeptanz der Musiktherapie vermehrt. Diese Entwicklung ist zudem quasi parallel mit der zunehmenden Anerkennung der Palliativmedizin allgemein…

… Sie sprechen das „Standing“ an, wie schätzen Sie das ein im Zusammenhang der anderen Berufsgruppen, der Mediziner, Seelsorger, Pflegenden und anderen?

Da sehe ich noch sehr viel Luft nach oben. Das individuelle Verhältnis palliativmedizinischer Kolleg.innen der Künstlerischen Therapien hängt meist davon ab, ob sie diese aus ihrem Team kennen. Meinem Verständnis nach reihen die Künstlerischen Therapien sich dementsprechend weiter hinten ein in eine Menge anderer Berufsgruppen, die neben den Mediziner.innen nach mehr Anerkennung streben – ein herausforderndes Standing, muss ich sagen. Die Bedeutung der Künstlerischen Therapien hervorzuheben, dabei aber nicht in Konkurrenzargumentation zu den anderen, allesamt sehr wichtigen Berufsgruppen zu geraten ist eine Gratwanderung.

Wie arbeiten Künstlerische Therapeut.innen in Zeiten von Corona?

Eine nicht ganz einfache Frage, weil es auch hier wieder individuell große Unterschiede gibt. Leider sind viele, besonders auf Honorarbasis basierende Angebote ganz eingestellt worden. Wir haben dazu im Januar nach mehrfacher Revidierung im DGP-Vorstand eine Stellungnahme veröffentlichen können. Sie ist in der Hoffnung geschrieben, dass vom Besuchsverbot betroffene Therapeut*innen damit ihren Vorgesetzten gegenüber eine Unterstützung zur Hand haben, mit der sie zeigen können, dass Musiktherapie auch in diesen Zeiten möglich und nötig ist.

Was wollen Sie in Zukunft für die Künstlerischen Therapien erreichen – wenn Sie an das gesellschaftliche Bewusstsein denken?

Ich habe das Gefühl, dass ein grundsätzliches Verständnis für die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit gesellschaftlich aus dem ganz persönlichen Erleben von Musik und Kultur allgemein meist vorhanden ist und nur mit dem Terminus der Künstlerischen Therapie in Verbindung gebracht werden muss. Ich wünsche mir, dass das zu einer Anerkennung und einem Ernstnehmen der Therapieformen sowie zu ihrer finanziellen Verankerung und Absicherung führt.

Wie können Kolleg.innen die Sektionsarbeit unterstützen?

Wir freuen uns sehr über jede Person, die mitgestalten möchte! Für die Stärke der Sektion am hilfreichsten wäre es, Mitglied in der DGP zu werden und der Sektion offiziell beizutreten. Da das natürlich ein nicht für alle vertretbarer Kostenfaktor ist, haben wir einen „Interessiertenverteiler“ eingerichtet, über den wir alle Infomails ebenfalls verschicken. So ist es möglich, sich auch ohne Mitgliedschaft an einzelnen Projekten zu beteiligen. Wer unterstützen möchte oder Fragen hat, kann sich jederzeit gerne bei mir unter kontakt@gustav-music.de melden. Herzlich Willkommen!

Vielen Dank für das Gespräch!

Musiktherapie und Palliativmedizin DGPDie Sektion Künstlerische Therapien hat sich im Herbst 2018 gegründet, um als Sprachrohr für die Anliegen künstlerischer Therapeut.innen in der Palliativmedizin zu dienen und den Künstlerischen Therapien eine starke Interessenvertretung innerhalb der DGP bieten. Zusammen mit den Sprecher.innen Brigitta Gerke-Jork (Kunsttherapeutin) und Gustav von Blanckenburg (Musiktherapeut) arbeiten weitere Aktive und Interessierte an verschiedenen Projekten, wie Korrekturvorschlägen für die S3-Leitlinie, der Entwicklung eines Flyers oder dem Veröffentlichung von Artikeln in der Zeitschrift für Palliativmedizin. Weitere Impulse, Beiträge und Mitstreiter.innen sind gerne Willkommen. Weitere Informationen auf der Homepage der DGP.

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Gustav von Blanckenburg

Gustav von Blanckenburg hat das Fach Sonderpädagogik (Zweitfach Musik) mit einem Bachelor abgeschlossen und einen Master erworben in Klinischer Musiktherapie an der WWU Münster. Er arbeitet seit vier Jahren musiktherapeutisch und derzeit in der Palliativstation und -konsiliardienst an der Universitätsklinik Münster mit Menschen mit schweren, unheilbaren und fortschreitenden Erkrankungen. Berufspolitisch engagiert sich Gustav von Blanckenburg als Sprecher der Sektion Künstlerische Therapien in der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP).

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