Übersetzung aus dem Englischen: Helga Reihl
Mit der zunehmenden Anzahl an Forschungsarbeiten, die die positive Wirkung des Trommelns belegen, steigt die Aufmerksamkeit für diese Methode in der psychotherapeutischen Praxis.
Mehr als 20 im Peer-Review-Verfahren begutachtete Studien belegen inzwischen das große Vermögen dieses Mediums, die Lebensqualität von Menschen positiv zu beeinflussen. [1] Die gegenwärtige Verwendung rhythmischer Musik, insbesondere des Trommelns in therapeutischer Praxis steht in einer ununterbrochenen (“ununterbrochen” bezieht sich hier auf den angloamerikanischen Sprachraum. Der Autor selbst lebt in Australien. Im deutschsprachigen Bereich kann sicherlich nicht von einer “ununterbrochenen” Tradition gesprochen werden. Anm. d Übers.) Tradition des Wissens, die bis in unsere frühesten menschlichen Gemeinschaften zurückreicht.
Gleichzeitig wächst das Interesse an somatischen oder körperorientierten Therapien, insbesondere im Zusammenhang mit der Behandlung von Traumafolgen. Dies geht einher mit einem wachsenden Bewusstsein für die Grenzen kognitiver oder “gesprächsbasierter” Ansätze. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse haben gezeigt, dass die sprachverarbeitenden Regionen des Gehirns, das Broca-Areal, als Reaktion auf ein schweres Trauma abgeschaltet werden, wodurch diese traditionellen therapeutischen Ansätze oft an ihre Grenzen stoßen [2]. Darüber hinaus besteht eine erhebliche Gefahr der Re-Traumatisierung, wenn Menschen zu früh dazu gedrängt werden, über Umstände und Emotionen des traumatischen Ereignisses zu sprechen [3].
Die Forschung hat einen deutlichen Zusammenhang zwischen Traumata und einer Vielzahl von körperlichen Symptomen aufgezeigt.
Es gibt eine Reihe verschiedener Ansätze für die Körperarbeit, darunter Körperpsychotherapie, integrale somatische Psychologie, sensumotorisch orientierte Psychotherapie (Pat Ogden) und Somatic Experiencing (Peter Levine), sowie Tanz- und Massagetherapien. Allen gemeinsam ist das Verständnis, dass sich unsere emotionalen Reaktionen auf Traumata und andere Erfahrungen, wie z.B. Angst und Furcht, sowohl auf den Körper als auch auf die Psyche auswirken und dass es eine Verbindung zwischen beiden gibt, die sich von selbst aufrechterhält [4]. Die Sprache ist voller Redewendungen, die auf diese Verbindung hinweisen -‘herzzerreißend’, ‘etwas schlägt mir auf den Magen’, ‘etwas verdauen müssen’ etc. Die Forschung hat einen deutlichen Zusammenhang zwischen Traumata und einer Vielzahl von körperlichen Symptomen aufgezeigt, wozu unter anderem Darmbeschwerden wie das Reizdarmsyndrom und andere Probleme wie chronisches Erschöpfungssyndrom und Fibromyalgie gehören [5].
Körperlich verharren wir in der Erinnerung an vergangene Traumata, die sich in Körpersprache, -haltung und -ausdruck widerspiegeln. Indem wir unseren Körper anspannen, versuchen wir uns, uns für eine Bedrohung zu wappnen und signalisieren damit dem Gehirn, dass weiterhin Gefahr besteht. Diese unangenehmen, viszeralen Gefühle werden über den Vagus-Nerv an das Gehirn weitergeleitet und sind Teil einer Reaktionskette, die dazu führt, dass beide Regionen überreagieren und sich in einem Zustand ständiger Erregung befinden.
Diese Form der Verdrängung hindert uns daran zu heilen.
Als Bewältigungsstrategie schalten viele Menschen jene Hirnregionen ab, die diese Körpergefühle weiterleiten, unterdrücken sie und sorgen so dafür, dass sie noch lange nach dem Ereignis im Gehirn gespeichert bleiben. [6]. Diese Form der Verdrängung hindert uns daran zu heilen. Diese wechselseitige Kommunikation zwischen dem Gehirn und dem Verdauungstrakt, der sogenannten “Darm-Hirn-Achse”, basiert auf einem komplexen System in dessen Zentrum der Vagus-Nerv steht.
Viele psychischen Erkrankungen sind durch entzündliche Immunreaktionen gekennzeichnet.
Der Vagus-Nerv überträgt eine große Bandbreite von Signalen vom Verdauungssystem und den Organen zum Gehirn und umgekehrt. Er ist für die Regulierung interner Organfunktionen wie Verdauung, Herz- und Atemfrequenz verantwortlich. Auch die Überwachung der physiologischen Homöostase und die Verbindung der emotionalen und kognitiven Bereiche des Gehirns mit peripheren Funktionen wie der Immunaktivierung werden von ihm gesteuert [7]. Viele psychischen Erkrankungen sind durch entzündliche Immunreaktionen gekennzeichnet und jüngste Studien über Trommeltherapien mit Menschen, die an Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen leiden, haben eine signifikante Verringerung dieser Aktivierungsmarker der Immunreaktion gezeigt [8].
Das Spielen auf einer Trommel bietet einen weit größeren Spielraum als die eingeschränkten sprachlichen Möglichkeiten.
Somatische Therapien erleichtern die Bewältigung von Traumafolgen und die Auflösung der damit verbundenen physischen und psychischen Marker, indem sie unser Bewusstsein und die Akzeptanz für unsere körperlichen Reaktionen erhöhen und helfen Wege zu finden, um Spannungen zu abzubauen. Der Einsatz von Trommeln kann auf vielfältige Weise dazu dienen, diese Elemente mit dem/der Klient:in durchzuarbeiten. Insbesondere kann die Trommel ein Mittel sein, um unterdrückte Gefühle auszudrücken.
Ein kognitiver Therapeut würde vielleicht fragen “Was war das für ein Gefühl?” und darauf möglicherweise keine Antwort erhalten oder eine, die für Interpretationen offen bleibt. Im Rahmen einer erlebnisorientierten Therapie kann die Trommel genutzt werden – “Möchten Sie spielen, wie sich das angefühlt hat?” Das Spielen auf einer Trommel bietet einen weit größeren Spielraum und stellt eine wesentlich sicherere Alternative für den Ausdruck dieser komplexen Empfindungen dar als die eingeschränkten sprachlichen Möglichkeiten.
Die Trommel ist ein Instrument, um sich zu erden, indem die Resonanz, die beim Spielen erzeugt wird, von der Trommel durch den Körper strömt und ihn mit den Rhythmen der Natur verbindet. Die Wirkung sowohl von Achtsamkeits-, als auch von Übungen zur Erdung können durch das Spielen auf Trommeln verstärkt werden, in der Regel in einem Tempo, das den Herzschlag der Mutter in Ruhe nachahmt; 60 – 80 Schläge pro Minute. Dieses Tempo wird mit der Ruhe und Geborgenheit im Mutterleib in Verbindung gebracht und es wird angenommen, dass es der erste Impuls für die Bildung jener Bereiche des Gehirns ist, die für unsere Stressreaktion verantwortlich sind.
Der Traumaforscher Dr. Bruce Perry stellt fest:
‘Eine der mächtigsten Verknüpfungen, die im Uterus gebildet werden, ist die Verknüpfung zwischen dem sich wiederholenden rhythmischen Muster des mütterlichen Herzschlages mit all den neuronalen Aktivitätsmustern, die damit in Verbindung gebracht werden, nicht hungrig oder durstig zu sein und sich (im Mutterleib) sicher zu fühlen. (…) ‘Sich in Mustern wiederholende rhythmische somatosensorische Aktivität … ruft ein Gefühl der Sicherheit hervor. Rhythmus ist ausgleichend. Alle Kulturen haben irgendeine Form sich in Mustern wiederholender rhythmischer Aktivität als ein Teil ihrer Heilungs- und Trauerrituale – Tanzen, Trommeln und Wiegen. [9]
Wie Dr. Perry feststellt, sind diese Techniken nicht neu, sondern stammen aus unseren frühesten Heilkünsten und sind in allen Kulturen zu finden. Die Gesangstraditionen in buddhistischen und christlichen Religionen verwenden ein ähnliches Prinzip. Niederfrequente Schwingungen vibrieren im Körper, besonders in der unteren Magen- und Zwerchfellregion. Es wurde festgestellt, dass sie einen direkten Einfluss auf das parasympathische Nervensystem haben; sie verlangsamen die Atmung und aktivieren den Vagus-Nerv [10]. Es ist bekannt, dass niederfrequente Rhythmen, die auf dem Bass-Ton einer Trommel gespielt werden, mit der körpereigenen Physiologie in Verbindung stehen und sich positiv auf Primärfunktionen wie Herzfrequenz, Atemfrequenz und Blutdruck auswirken. Eine kürzlich durchgeführte Studie mit ängstlichen Kindern zeigte, dass der Einsatz von Rhythmus im Tempo von 60 Schlägen pro Minute die körpereigene Regulation anregen, wiederholte Angstzustände verringern und Konzentration und Ruhe fördern kann [11].
Diese Therapien helfen uns dabei die Starrheit der Fehlanpassungen zu lockern.
Somatische Therapien und das Spielen auf Trommeln stehen als evidenzbasierte Ansätze Seite an Seite. Sie unterstützen Menschen bei der Freisetzung von körperlich manifestierten Traumafolgen. Im Besonderen bieten sie Alternativen zu manchen riskanteren Behandlungsverfahren. Unsere biologischen Reaktionen müssen flexibel bleiben und diese Therapien helfen uns dabei die Starrheit der Fehlanpassungen zu lockern, die weiterhin zulassen, dass Traumafolgen und der damit verbundene Schmerz das Leben von Menschen beherrschen.
Übersetzerin Helga Reihl ist Dipl.-Soz.päd. (FH), systemische Beraterin (SG), Drum Circle Facilitatorin (VMC) und systemischer Gesundheitscoach (SIA). Sie arbeitet als Beraterin, Coach, Trainerin und Musikpädagogin in Lübeck und bundesweit. Herzstück ihrer Arbeit sind rhythmusbasierte Angebote und Fortbildungen im Kontext von Inklusion, Resilienzförderung, Gruppenleitung und Kommunikation.
Copyright Headerfoto: Simon Faulkner
Literatur
[1] Rhythm Research & Resources. www.rhythmresearchresources.net.
[2] Van der Kolk, B. (2015). The body keeps the score: Brain, Mind & Body in the healing of trauma. Penguin.
[3] Kezelman, C., & Stravropolous, P. (2019). Practice guidelines for clinical treatment of complex trauma, Blue Knot Foundation.
[4] Levine, P. (1997). Waking the tiger: Healing trauma. North Atlantic Books.
[5] Stam, R., Akkermans, L. M., & Wiegant, V. M. (1997). Trauma and the gut: interactions between stressful experience and intestinal function. Gut, 40(6), 704–709. https://doi.org/10.1136/gut.40.6.704
[6] Van der Kolk, B. (2015). The body keeps the score: Brain, Mind & Body in the healing of trauma. Penguin.
[7] Carabotti M, Scirocco A, Maselli MA, Severi C. (2015). The gut-brain axis: interactions between enteric microbiota, central and enteric nervous systems. Annals of Gastroenterol 28, 203–9.
[8] Fancourt, D., Perkins, R., Ascenso, S., Carvahlo, L.A., Steptoe, A., and Williamon, A. (2016). Effects of Group Drumming Interventions on Anxiety, Depression, Social Resilience and Inflammatory Immune Response among Mental Health Service Users. PLoS ONE 11(3): e0151136. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0151136
[9] Perry, B.D. and Hambrick, E. (2008). The Neurosequential Model of Therapeutics (NMT). Reclaiming Children and Youth, 17 (3), 38-43
[10] Perry, G., Polito, V., & Thompson, W. (2016). Chanting Meditation Improves Mood and Social Cohesion. Proceedings of the 14th International Conference on Music Perception and Cognition.
[11] Berger, D.S. (2011). Pilot study investigating the efficacy of tempo-specific rhythm interventions in music-based treatment addressing hyper-arousal, anxiety, system pacing and redirection from fight or flight Fear behaviours in children with ASD. Journal of Biomusical Engineering, 2. doi:10.4303/jbe/M110902
Dieser Beitrag hat 3 Kommentare
Vielen Dank für diesen wertvollen Artikel!!!!
Herzliche Grüße aus Passau, Gaby Flossmann
https://www.linkedin.com/pulse/drumming-somatic-approach-simon-faulkner
Hallo!
Wirklich interessanter Ansatz!
Liebe Grüße
Alexander