Filmrezension Musikfilme aus musiktherapeutischer Sicht vonHaffa-Schmidt Back

Die zwei von der Filmstelle:
“Die Schallplatte”

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Wenn die beiden Musiktherapeutinnen Christine Back und Ulrike Haffa-Schmidt in Nürnberg ins Kino gehen, setzen sie ab und zu ihre Musiktherapeutenbrille auf. Dabei entdecken sie immer wieder interessante Berührungspunkte zu ihrem Berufsfeld.

Die Schallplatte

  • Erscheinungsjahr: 2022
  • Dauer: 9 Minuten
  • Autor und Regie: Jonathan Laskar
  • Produzent/-in: PAPIER PERFORE / PUNCHED PAPER FILMS
  • Verleiher: KURZFILM AGENTUR HAMBURG E.V.
  • Genre: Musicalfilm
  • Produktionsland: Schweiz
  • ARTE-Mediathek, verfügbar bis 23. Mai 2024 (Link zum Film)

Ein Kurzfilm, der es in sich hat

Ulli und ich freuen uns immer über Rückmeldungen und Feedback zu unseren Film- und Musiktherapie-Blogbeiträgen. Und so erreichte uns kürzlich eine E-Mail, in der wir auf den Kurzfilm „Die Schallplatte“ hingewiesen wurden, der in der ARTE-Mediathek zu sehen ist. „Naja,“ meint Ulli, „ein Kurzfilm. Passt das überhaupt in unser Konzept?“ Aber natürlich haben wir uns „Die Schallplatte“ angesehen und nach den neun Minuten, die der Kurzfilm dauert, war klar: der passt in den DMtG-Blog. Ich hatte sogar gleich die Idee, den Regisseur anzufragen, ob man den Kurzfilm nicht auf die DMtG Website stellen oder für Fortbildungen über Musiktherapie nutzen könnte. Ach herrjeh, ich und meine Begeisterung…

Jonathan Laskar, der Regisseur, sagt in dem ebenfalls auf ARTE zu sehenden Interview, dass die Idee zum Kurzfilm „Die Schallplatte“ auf der Idee beruht, „(…) es gäbe eine magische Schallplatte, die unendlich viele Stücke enthält. Der Instrumentenhändler legt die Schallplatte auf und stellt fest, dass jedes Mal, wenn er die Nadel hebt und senkt, ein neues Lied erklingt. Und die Musik erweckt in ihm ganz unerwartete Erinnerungen.“ Da sind wir schon mitten bei dem, was den Kurzfilm für uns Musiktherapeut*innen so interessant macht. Erklingt nicht auch in der Musiktherapie immer ein neues Lied, mit dem wir hoffen, dass dadurch bei den Patient*innen unerwartete Erinnerungen und Gefühle hervorgerufen werden?

Und weiter sagt Lasker: „Ich spiele vor allem mit visuellen Effekten. Die kurzen Lichtblitze auf schwarzem Hintergrund sorgen für eine sogenannte Nachbildwirkung. Das Bild besteht nach seinem Verschwinden auf der Netzhaut des Betrachters fort. So soll der Zuschauer auch körperlich etwas empfinden, das einer Erinnerung nahe kommt.“ Das ist schön gesagt aus der Sicht des Filmemachers und beschreibt eine sehr feine Wahrnehmungsebene. Wir Musiktherapeut*innen könnten sagen: „Wir spielen vor allem mit akustischen Effekten. Die Schallwellen der Musik sorgen für eine physikalische Nachkörperwirkung. Die Musik besteht nach dem Verklingen im Körper der Zuhörers fort und tut den Raum auf für auch vor-sprachliche Erinnerungsspuren.“ Das ist auch schön gesagt und verweist auf die feinen Wahrnehmungsebenen, die zu unserem Handwerkszeug gehören.

„Erinnerungsarbeit ist notwendig.“, sagt Lasker am Ende des Interviews. „Dafür haben wir Historiker, die machen das sehr gut. Meine Geschichte ist so abstrakt und elliptisch, dass man sie nur über Emotionen vermitteln kann.“ Auch unsere Patient*innen haben Erinnerungsarbeit notwendig. Gemeinsam versuchen wir die Ursachen für ihre aktuellen Beschwerden zu ergründen und zu verstehen. Oder wir sind mit ihnen auf der Suche nach verloren gegangenen Stärken. Sicher weggesperrte Verletzungen, nicht einzuordnende Erfahrungen oder nicht mehr spürbare Ressourcen lassen sich auch nicht nur über einen Anamnesebogen und einen historischen Lebenslauf hervorholen. Dazu braucht es Emotionen, die u.a. mit unserem Verfahren Musiktherapie hochgespielt werden können.

Der Kurzfilm „Die Schallplatte“ ist ein kleines Juwel, nicht nur auf filmischer Ebene. Immerhin lief er auf dem weltweit führenden Animationsfilmfestival von Annecy 2023. Er bestärkt mich in besonderer Weise in unserem Projekt, Film und Musiktherapie als sich gegenseitig inspirierende Bereiche zu sehen. Jonathan Lasker weiß das wohl schon, denn er hat mit dem Kurzfilm seinen eigenen biographischen Hintergrund verarbeitet und er hat die Musik zu seinem Kurzfilm selbst komponiert. Wenn das nicht Musiktherapie ist.

Fazit: Kurz und wirklich sehenswert.

Auch sehenswert:

Wer sich noch einen interessanten Kurzfilm „reinziehen“ will, sollte sich „Balance“ anschauen, den deutschen Puppentrickfilm von Christoph und Wolfgang Lauenstein aus dem Jahr 1989. Der Film gewann im Jahr 1990 den Oscar als bester animierter Kurzfilm. Der Film wird auch von der Bundeszentrale für politische Bildung empfohlen und ist therapeutisch für das Thema systemische Zusammenhänge toll. (Zu finden auf YouTube).

Und noch zwei wunderschöne Musikfilme:

Adios, Buenos Aires (Trailer) und Orphea in Love (Trailer). Beide aktuell nur im Kino.

Picture of Christine Back

Christine Back

Christine Back ist Musiktherapeutin, Lehrmusiktherapeutin (DMtG), Heilpraktiker für Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz (HPG). Tätigkeit in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Martha-Maria-Krankenhaus Nürnberg, div. Lehrtätigkeit, selbständige Musikerin und Komponistin.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hannah Riedl

    “Die Schallplatte” ist wirklich eine kleine, funkelnde Schatzkiste an Ästhetik und inhaltlicher Vermittlung. Gerne werde ich sie in die Lehre in Wien einmal einbauen. Danke für den Beitrag und diese Rubrik hier! Liebe Grüße!

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