Von Anja Schäfer und Birgit Geher
Forschung erlebbar machen
Am 24. Mai 2024 war es wieder so weit: Die Lange Nacht der Forschung öffnete von 17 bis 23 Uhr ihre Türen an rund 270 Ausstellungsorten in ganz Österreich. In allen neun österreichischen Bundesländern bot sich den Besuchern die einmalige Gelegenheit, bei freiem Eintritt Einblicke in faszinierende, überraschende und erstaunliche wissenschaftliche Forschung und damit verbundene Entdeckungen zu erhalten, die normalerweise im Verborgenen bleiben.
Forschung live zum Entdecken und Tüfteln
Mit über 2.800 Stationen, Führungen, Workshops, Vorträgen, Live-Präsentationen und Mitmach-Experimenten war für jeden etwas dabei. Egal, ob Wissenschaftsprofi oder neugieriger Laie, Abenteuerlustiger oder kreativer Denker – hier kamen alle auf ihre Kosten.
Die Veranstaltung richtete sich an alle Altersgruppen und Interessen: von Tüftler:innen und kleinen Entdecker:innen bis hin zu denen, die es ganz genau wissen wollen. Es war ein Fest der Wissenschaft, das dazu einlud, zu staunen, zu lernen und selbst aktiv zu werden.
Besonders spannend waren die zahlreichen interaktiven Stationen, bei denen man selbst Hand anlegen und Versuche durchführen konnte. Dies bot eine einzigartige Gelegenheit, Wissenschaft hautnah zu erleben und ein tieferes Verständnis für die Welt um uns herum zu entwickeln.
Live-Beitrag der Kunstuniversität Graz
Wir von der Kunstuniversität Graz, Institut 5 – Musikpädagogik, Fachbereich Musiktherapie entschieden uns ebenfalls, für diese Veranstaltung einen Beitrag zu leisten. Gemeinsam mit Studierenden im 4. Semester des Bachelorstudiengangs Musiktherapie sollte folgendes Thema bearbeitet werden:
„Die Synchronisation der Herzen. Können Synchronisationseffekte während eines Livetrommelspiels sichtbar gemacht werden?“
Synchronisation durch Musik
In der Musiktherapie erleben wir oft Flow-Zustände, in denen Musiker synchron agieren und eine tiefe Verbundenheit spüren. Diese Eigenschaft wurde bereits mehrfach durch Musiktherapeut*innen untersucht und beschrieben (Vickhoff et al., 2013, Silverman & Baker, 2018). Diese gemeinsam erlebte Synchronisation lässt sich auch physiologisch messen, zum Beispiel durch die HRV.
Musiktherapieforschung live erfahrbar machen
Musiktherapieforschung kennenlernen und live erfahrbar zu machen, war unsere Motivation.
Ausgangspunkt war eine Livevideosequenz der Herzratenvariabilitätsmessungen (HRV) von drei Musiktherapeut:innen, die im Rahmen eines Seminars für Musiktherapie und HRV am Freien Musikzentrum München (FMZ) aufgenommen wurden.
Die HRV-Aufnahmen zeigten während eines gemeinsamen Trommelspiels einen ähnlichen Verlauf der Herzrate von diesen drei Proband:innen. Diese Angleichung der Verläufe könnten auf eine mögliche Synchronisation der Herzraten während des Trommelns hinweisen.
Nach einer kurzen Einführung wurde das Video samt Visualisierung der sich angleichenden HRV gezeigt und erläutert. Die Erkenntnis der Synchronisation im Rahmen des Trommelspiels sollte vor Ort mit dem Publikum mit einer weiteren Forschungsmethode vertieft werden. Methodisch entschieden wir uns für ein deskriptives Forschungsdesign mit teilnehmender Beobachtung durch das Publikum.
Sechs Studierende des Bachelor-Studiengangs Musiktherapie an der Kunstuniversität Graz erklärten sich bereit, auf der Bühne gemeinsam mit Djemben zu trommeln. Das Publikum wurde eingeladen interaktiv als externe Rater:innen zuvor festgelegte Veränderungen der Trommler:innen zu quantifizieren.
Der Ablauf des Live-Experiments
Folgende Kategorien wurden beobachtet:
- Blickkontakt
- Körperliche Bezogenheit
- Gesichtsausdruck (von Anspannung zu Entspannung
- Dynamik im musikalischen Spiel
Pro Kategorie wurden fünf Freiwillige aus dem Publikum ausgewählt, die als Rater:innen mit ihrem Mobiltelefon anonym quantifizieren sollten. Die Aufgabe bestand daraus, für jede Veränderung der Qualität der zuvor genannten Beobachtungsparameter eine Stimme abzugeben. Auf diese Weise sollte die Häufigkeit des Auftretens von Veränderungen ermittelt werden. Abbildung 1 zeigt, wie für die Rater:innen die Abstimmungsoberfläche ausgesehen hat.
Während des Trommelspiels wurden Ratings abgegeben und diese für das gesamte Publikum live auf einer Leinwand projiziert sichtbar gemacht. Abbildung 2 zeigt das Endresultat nach Beendigung des gemeinsamen Spiels.
Auf diese Weise sollte für das Publikum musiktherapeutische Forschung vorstellbar und angreifbar gemacht werden und das Angebot zum Mitmachen wurde durch die anwesenden Teilnehmer:innen gut angenommen.
In der Nachbesprechung zu dem zuvor stattgefundenen Experiment wurde reflektiert, auf welche Weise die Ergebnisse der HRV-Messung mit den Beobachtungswerten in Relation gesetzt werden könnten und so ein Zusammenhang zwischen der physiologischen und emotionalen Synchronisation hergestellt werden kann.
Verschränkung von qualitativen und quantitativen Methoden
Durch diesen Beitrag im Rahmen der langen Nacht der Forschung konnte ein kleiner Einblick in die musiktherapeutische Forschung und die oftmals notwendige Verschränkung von qualitiativen und quantitiativen Erhebungsmethoden sichtbar gemacht werden. Es ist für uns von großer Bedeutung die Notwendigkeit, aber auch den Wert von Musiktherapieforschung aufzuzeigen und ein Bewusstsein für dieses Thema in der wissenschaftlich interessierten Bevölkerung zu schaffen.
Glossar
Rhythmus als Lebenselixier/
Rhythmus durchdringt alle Aspekte unseres Lebens, von Herzschlag und Atmung bis zu alltäglichen Mustern wie Tag und Nacht oder Arbeit und Erholung. Diese natürlichen Rhythmen sind essenziell für unser Wohlbefinden und spiegeln sich kulturell in Musik und Tanz wider, die soziale Bindungen stärken.
Evolutionäre Rhythmen/
Unser Leben wird von großen Rhythmen wie Jahreszeiten und Tag-Nacht-Wechsel sowie von kleinen, inneren Prozessen wie Herzschlag und Atmung geprägt. Diese inneren Rhythmen passen sich äußeren Einflüssen an und werden als circadiane Rhythmen bezeichnet.
Das vegetative Nervensystem/
Das vegetative Nervensystem, bestehend aus Sympathikus und Parasympathikus, reguliert viele Körperfunktionen. Eine gute Balance zeigt sich in der Herzratenvariabilität (HRV), einem Indikator für die Anpassungsfähigkeit des Herzens. Hohe HRV deutet auf ein gut reguliertes System hin, während Stress die HRV negativ beeinflusst.
Herzratenvariabilität/
Die Herzrate variiert ständig, wobei eine normale Frequenz bei Erwachsenen zwischen 60 und 80 Schlägen pro Minute liegt. HRV misst die Zeitabstände zwischen Herzschlägen und zeigt die Flexibilität des Herzens. Hohe Variabilität ist ein Zeichen für Gesundheit und Anpassungsfähigkeit.
Literatur
Vickhoff, B., Malmgren, H., Aström, R., Nyberg, G., Ekström, S. R., Engwall, M., Snygg, J., Nilsson, M., & Jörnsten, R. (2013). Music structure determines heart rate variability of singers. Frontiers in psychology, 4, 334. doi.org/10.3389/fpsyg.2013.00334.
Silverman, Michael & Baker, Felicity (2018). Flow as a mechanism of change in music therapy: Applications to clinical practice. Approaches: An Interdisciplinary Journal of Music Therapy. doi:10.56883/aijmt.2018.264.
Links
#LNF24 Lange Nacht der Forschung – langenachtderforschung.at/
Kunstuniversität Graz – impg.kug.ac.at/lifelong-learning/studien-lehrgaenge/musiktherapie
Anja Schäfer – www.music-therapy.at/
Freies Musikzentrum München (FMZ) – www.freies-musikzentrum.de
Birgit Geher
Univ.-Ass. Mag.a Birgit Geher, MSc. Musiktherapeutin in einem Autismus-Therapiezentrum in Wien und Universitätsassistentin an der Kunstuniversität Graz (Gramuth), Instrumentalmusikpädagogin.
Dieser Beitrag hat einen Kommentar
Sehr cool was Ihr da angeboten habt…gerade die Verknüpfung quantitativer und qualitativer Methoden erlebbar zu machen, finde ich sehr wertvoll. Und die gewählte Form erscheint mir für Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund nachvollziehbar. Danke an die beiden Autorinnen!