35. Forschungswerkstatt Augsburg Musiktherapie booklet Ausschnitt

35. Werkstatt für musiktherapeutische Forschung Augsburg

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Zugegeben: das wissenschaftliche Arbeiten hat unter uns Studierenden den Ruf, zäh und sehr theoretisch zu sein. Doch ein Glück für alle, die sich wie ich vom 10.-11. Februar 2023 auf den Weg nach Augsburg gemacht haben. Dort durfte ich die Forschung von einer ganz anderen Seite kennenlernen. In den Räumen des Leopold-Mozart-Zentrums der Universität Augsburg versammelten sich am Wochenende praktizierende und angehende Musiktherapeut:innen auf der „35. werkstatt für musiktherapeutische forschung augsburg“ zum Thema ROLLENDE STEINE. Musik – Resilienz – Therapie. Mir wurde eindrücklich aufgezeigt, dass das Forschen nicht nur eine theoretische, sondern auch eine aktive, praxisnahe Seite hat.

Was bedeutet eigentlich Resilienz?

Bei der Augsburger Forschungswerkstatt handelt es sich um eine zweitätige Veranstaltung, die Musiktherapeut:innen einlädt, sich im Rahmen von Vorträgen, Posterpräsentationen und Diskussionsrunden zu einem aktuellen Thema auszutauschen und Wissen zu teilen. Vor dem Hintergrund eines wachsenden Bewusstseins für das Einwirken nationaler und globaler Herausforderungen auf uns, unsere Klient:innen und unsere therapeutische Beziehung, lag der Schwerpunkt der diesjährigen Werkstatt in der Betrachtung des Begriffs „Resilienz“: Wie können wir sie definieren, neu denken und was bedeutet es eigentlich, Resilienz zu fördern?

Die Vortragenden nahmen Bezug zu Gesundheitsförderung, Kulturarbeit und Psychotherapie. So ermöglichten sie vielfältige Einblicke und Perspektiven über den musiktherapeutischen Tellerrand hinaus. Weitere Vorträge zeigten Notwendigkeiten und (fehlende) Implikationen für die Musiktherapie und ihre Methoden in Krisenzeiten auf.

Doch was ist eigentlich diese „Resilienz“? Nach der herzlichen Begrüßung und Einführung von Susanne Metzner war mir schnell klar: dieses Wort ist schwieriger zu erfassen, als es über die Lippen kommt! Verstanden wird der, früher als eher statisch beschriebene, Zustand der Resilienz heutzutage als ein dynamisches Phänomen, das uns multidimensional und lebenslang begleitet. Sie ist kein festes Persönlichkeitsmerkmal, sondern durch Prozessfaktoren – unter anderem Umweltfaktoren – beeinflussbar.

Thema Klima und Musik

Der erste Teil der Forschungswerkstatt widmete sich dem Themenbereich Klima und Musik. Bildlich und klanglich führten uns Karolin Schmitt-Weidmann und Helen Prior ein in die Betrachtung der komplexen Verzahnung dieser beiden Begriffe. In der gemeinsamen Reflexion über „sechs Variationen“, die Karolin Schmitt-Weidmann in ihrer Präsentation veranschaulichte, hat mich sehr erleichtert, zu hören, dass ich nicht allein bin in meinem eigenen Nachdenken über nachhaltigen Musikkonsum. Fast tagtäglich zwickt es mich, wenn ich das Gefühl habe, mal wieder viel zu viel Musik gestreamt zu haben und mir wurde die große Ohnmacht bewusst, die ich manchmal fühle, wenn ich darüber nachdenke, was und wie ich etwas für das Klima tun kann oder sollte. Und da bin ich noch nicht einmal im Gesellschaftskontext angekommen! Oft habe ich für mich das Gefühl, dass „Resilienz“ im Musik-Klima-Zusammenhang ganz viel damit zu tun hat, sich zu rüsten- gegen von uns Menschen verursachte Klimakatastrophe…verursacht zum Beispiel durch unnötiges Musik-Streaming oder Konzertbesuche. Als eine positive Anregung nehme ich aber aus diesem ersten Teil der Forschungswerkstatt auf jeden Fall mit, dass ich meinen Musikkonsum nicht nur aus dieser erdrückenden Sichtweise betrachten sollte, sondern Musik auch als Motivations- und  Inspirationsquelle für mich und meine Mitmenschen nutzen kann.

35. Forschungswerkstatt Musiktherapie Augsburg, Postersession Preisverleihung
35. Forschungswerkstatt Musiktherapie 2023 in Augsburg, Postersession Preisverleihung

Postersession für Nachwuchs-Wissenschaftler:innen

Besonders spannend war für mich als Studentin und vielleicht auch angehende Forscherin der nächste Punkt auf der Tagesordnung: die Postersession für Nachwuchswissenschaftler:innen. In Kleingruppen bewegten wir uns selbstständig durch das Leopold-Mozart-Zentrum. Verteilt waren hier die zehn Poster aktueller musiktherapeutischer Forschungsprojekte zu unterschiedlichsten Themen, von der Wirkung von Monochordklängen (Dr. Sandra Litz-Hochreutner) bis zur Formulierung von Anforderungen und Potentialen für die Musiktherapie im Kontext von sozialen Ungleichheitsverhältnissen (Dr. Julia Fent). Die Forschungsgruppen stellten ihre Projekte in kurzen Pitch-Präsentationen vor, anschließend gab es Zeit für Fragen. Viel zu schnell war die Session zu Ende und ich bin sicher, dass, genau wie mir, bei vielen Teilnehmenden die Lust auf vertiefende Gespräche und Diskussionen angeregt wurde.

Horst Kächele Advancement Award für das beste Poster

Verliehen wurde der Horst Kächele Advancement Award als Preis für das beste Poster an die Musiktherapeutin Esra Mutlu. Sie beschäftigt sich mit Rassismus-sensibler Gruppenmusiktherapie, ein spannendes und hochaktuelles Thema in einem so multikulturellen Land wie Deutschland. Erkenntnisse gewinnt sie unter anderem aus kritischer Beschäftigung mit persönlichen Aufzeichnungen von Therapiesituationen und eigenen Erfahrungen, angereichert durch Expert:innenwissen. Da sich Esra Mutlus Forschung vor allem aus einem therapeutischen Prozess heraus entwickelt hat, kann man ihre ersten Ergebnisse mit Spannung erwarten.

Hans-Ulrich Schmidt über Musiktherapie in Krisenzeiten

Abgeschlossen wurde der formelle Teil des ersten Tages mit einem anschaulichen Impulsvortrag von Hans-Ulrich Schmidt. Seine Einblicke in die persönliche und Überlegungen waren eine wunderbare Grundlage für die anschließende Kleingruppendiskussion. Gemeinsam blickten wir auf die Veränderungen, die es in unserer (musik-)therapeutischen Beziehung mit den Klient:innen in Anbetracht von Krisenzeiten gab, gibt und geben wird. Ich war begeistert von all den Perspektiven, die durch die verschiedenen Arbeitsfelder, in denen meine Gruppenmitglieder tätig sind, aufgezeigt wurden. Natürlich verursacht eine Krise Probleme, wie Unsicherheit und Wartezeiten für die Klient:innen. Plötzlich tauchen neue Themen und strukturelle Veränderungen auf, mit denen wir Therapeut:innen uns auseinandersetzten müssen.

Aber Krise kann auch verbinden: plötzlich „sitzen wir alle in einem Boot“. Gemeinsam erlebter Stress kann für ein gesteigertes Verständnis und Transparenz in der therapeutischen Beziehung sorgen. Ganz klar kristallisierte sich in unserer Kleingruppe der große Unterschied zwischen Musiktherapie und verbaler Psychotherapie heraus, den es, vor allen in Zeiten des Abstands, zu geben scheint. Das VOR-ORT beieinander sein ist bleibt ein ganz wichtiger Aspekt für uns alle. Das Schaffen positiver, gemeinsamer Momente im Hier und Jetzt kann uns und unsere Klient:innen im direkten Kontakt nachhaltiger stärken… und vielleicht auch „resilienter machen“.

Nach Abschluss des Freitagsprogramms plauschten wir noch bei einem gemütlichen Abendessen bis zur Schließung des Gebäudes. Als Studierendenvertretung fand ich es superschön, die Studierenden aus Augsburg und Wien persönlich und nicht nur online im OMG! Online-Musi-Getümmel kennenzulernen. Das weckte schon große Vorfreude auf das im Herbst 2023 geplante Studierendentreffen.

Resilienzbegriff in der Forschung

Frisch und motiviert ging es am Samstag weiter. Die Vorträge an diesem zweiten Tag der Augsburger Werkstatt adressierten nun konkreter den Resilienzbegriff in der musiktherapeutischen Forschung. Ähnlich wie am Vortag begann die Vortragsreihe mit einem Überblick, diesmal über Methoden der Erfassung von Resilienz. Aufgrund unseres heutigen dynamischen Verständnisses des Begriffs ist das gar nicht so einfach und die Auswahl und Auswertung von Resilienz-Fragebögen ist immer sehr individuellen und Projekt-, bzw. Klient:innenabhängig zu treffen, wie Petra Burzlaff anschaulich erläutert hat.

Den Blick weg von der Suche nach Resilienz allein im Individuum lenke im Anschluss die Australierin Elly Scrine. Sie war aus Melbourne zugeschaltet, wo sie mit traumatisierten Jugendlichen und deren Familien arbeitet. In ihrer Theorie setzt sie Resilienz und Trauma in einen systemischen Kontext und befreit so den/die Einzelne von der Last und Verantwortung für ihr eigenes Leiden. Musiktherapie kann in diesem Zusammenhang große Möglichkeiten geben, sich selbst auszudrücken und zu erforschen. Anhand des von ihr vorgestellten Songwriting- Projekts an einer Highschool zeigte sie eindrücklich, wie „ganz und gar hoffnungslose“ („utterly hopeless“) Fälle durch diesen Paradigmenshift zugänglicher wurden. „Music as a safer space“ – das klingt doch genau nach dem, was wir uns wünschen, oder? Die Teilnehmenden der Tagung – inklusive mir selbst – waren begeistert!

Laura Blauth zur HOMESIDE-Studie

Was wäre eine musiktherapeutische Forschungswerkstatt ohne Musik? Das gemeinsame Circle-Singing vor dem letzten Redebeitrag von Laura Blauth war eine wunderbare Erinnerung daran, wie wertvoll es ist, dass wir uns in diesem Jahr wieder in Augsburg treffen können. Denn Laura Blauths Forschung aus den letzten Jahren waren geprägt von Abstand und Musiktherapie am Monitor. Als Studienleiterin des deutschen Beitrags zur Studie „HOMESIDE“ (2019-2022) berichtete sie von den großen Herausforderungen, vor die nicht nur die Forscher:innen und Musiktherapeut:innen, sondern auch ihre sehr vulnerable Klientel (Menschen mit Demenz) gestellt wurden. Trotz allem zeigt sich auch in ihrer Forschung: gerade in Krisenzeiten sind es Angebote und Zuwendung aus der Ferne, die helfen können, Nerven, innere Ruhe und Resilienz zu fördern.

Laura Blauth hat außerdem zu Musiktherapie mit Autist:innen im Kindesalter geforscht. Vereint werden kann die Musiktherapie mit diesen beiden augenscheinlichen so verschiedenen Klientelen durch die entscheidende Rolle, die, ähnlich wie in Elly Scrines Ansatz, dem sozialen Umfeld zugutekommt. Resilienz wird weniger verstanden als eine erwünschte Weise in der Gesellschaft eine Funktion oder Rolle auszuüben. Sie ist eher gemeint als die adäquate Unterstützung und Einbettung in ein wertschätzendes Umfeld, die es allen erlaubt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten in Kontakt zu kommen, zu kommunizieren und miteinander zu wachsen. Musiktherapie kann helfen, das Verständnis füreinander zu fördern und Ressourcen statt Unzulänglichkeiten zu sehen.

Lena Gebhardt, Instagram Betreuung, und Susanne Gruss, Studierendenvertretung DMTG
Lena Gebhardt, Instagram Betreuung, und Susanne Gruss, Studierendenvertretung DMTG

Nach diesem letzten inspirierenden Vortrag ging es auch schon ans Verabschieden. Viel zu schnell verflog die Zeit auf der „35. werkstatt für musiktherapeutische forschung augsburg“. Zusammenfassend kann ich sagen, dass es mir aus studentischer Perspektive sehr gut gefallen hat. Die Vorträge und anschließenden kurzen Austauschmöglichkeiten haben mir einen anschaulichen Einblick in die Forschungsprojekte zum Thema „Resilienz“ ermöglicht. Es war schön, Forschung aus der praktischen Ebene erzählt zu bekommen statt nur davon zu lesen. Ich werde bestimmt noch mehr darüber nachdenken, ob und wie ich diesen Begriff in Zukunft verstehen und leben möchte.

Auf jeden Fall freue ich mich auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr!

35. Forschungswerkstatt Augsburg Musiktherapie booklet Ausschnitt

Header-Grafik: Universität Augsburg, aus dem Booklet der 35. Forschungswerkstatt Musiktherapie 2023.

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Susanne Gruss

Susanne Gruss studiert im 5. Semester Musiktherapie im Bachelor an der SRH Hochschule in Heidelberg. Sie absolvierte das erste Praktikumssemester 2021 im Neurologischen Fachkrankenhaus für Parkinson in Beelitz-Heilstätten. Seit 2022 engagiert sie sich in der Studierendenvertretung der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG).

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