Ein Interview von Volker Bernius.
Neuer HTA-Bericht aus Österreich: Effectiveness of Music Therapy for Autism Spectrum Disorder, Dementia, Depression, Insomnia and Schizophrenia.
Im Juli 2019 veröffentlichte das dem deutschen Bundesgesundheitsministerium zugeordnete Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) einen ThemenCheck Medizin als HTA-Gutachten zur Frage: “Krebs: Kann eine begleitende Musiktherapie zu besseren Behandlungsergebnissen beitragen?“.
Musiktherapie – neue Profession
Das für die Musiktherapie wie für die Künstlerischen Therapien besondere Ergebnis des in der Musiktherapie viel beachteten Gutachtens (unabhängig von der überwiegend positiven Erkenntnis zu Musiktherapie bei Krebserkrankungen) lag in der Begutachtung des IQWiG zum Stand der Musiktherapie im Gesundheitswesen. Das unabhängig arbeitende IQWiG hatte Musiktherapie als eine „neue Profession“ bezeichnet, die weder dem „ärztlichen noch dem pflegerischen Bereich“ zugeordnet werden könne. Außerdem empfahl das Gutachten eine (berufs-) gesetzliche Regelung für die Musiktherapeut.innen (inklusive der Ausbildung) und die Rücknahme des Ausschlusses von der Heilmittelrichtlinie. Im Zusammenhang damit konstatierte das IQWiG, dass sozial benachteiligte Personen nicht von Musiktherapie profitieren können, weil die gesetzlichen Krankenkassen aufgrund des Ausschlusses musiktherapeutische Leistungen nur in besonderen Ausnahmefällen übernehmen.
Wirksamkeit von Musiktherapie
Nun wurde Ende letzten Jahres, im November 2020, ein unabhängiges HTA-Gutachten in Österreich zur Wirksamkeit von Musiktherapie bei Autismus-Spektrum-Störungen, Demenz, Depression, Schlaflosigkeit und Schizophrenie veröffentlicht.
Der Wissenschaftliche Beirat der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (Prof. Dr. Hans Ulrich Schmidt, Prof. Dr. Dr. Thomas Stegemann, Prof. Dr. Gitta Strehlow, Prof. Dr. Alexander Wormit) hat das österreichische Gutachten unter die Lupe genommen und für die aktuelle Ausgabe der Musiktherapeutische Umschau in einem Bericht zusammengefasst.
Volker Bernius hat beim Wissenschaftlichen Beirat nach den Hintergründen und Ergebnissen des Berichts nachgefragt.
Seit November 2020 gibt es einen HTA-Bericht aus Österreich zur Wirksamkeit von Musiktherapie, von einem unabhängigen Institut erstellt: Effectiveness of Music Therapy for Autism Spectrum Disorder, Dementia, Depression, Insomnia and Schizophrenia Zuerst möchte ich Sie um eine kurze Antwort bitten: Gab es etwas, das Sie bei diesem Gutachten besonders überrascht oder auch beeindruckt hat? Was hat Sie aufhorchen lassen?
- … die Tatsache, dass die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) solch ein Gutachten überhaupt in Auftrag gegeben hat. Das ist ein wichtiger weiterer Schritt in der „Außenkommunikation“ der Musiktherapie.
- … die einhellig positive Bewertung von Musiktherapie in dem Gutachten.
- … bezogen auf Demenz: Der Nachweis von Effektivität musiktherapeutischer Interventionen auf kognitive Domänen.
- Die methodische Forschungsidee: Der Vergleich der Ergebnisse eines Updates zu ausgewählten Indikationsgebieten mit den Ergebnissen bereits vorhandener Cochrane-Reviews.
Was ist überhaupt ein Health Technology Assessment? Für was ist es gut und wem nutzt das?
Es gibt eine Definition des österreichischen Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz aus dem Jahr 2020, zitiert im Gutachten, S. 1: „Health Technology Assessment (HTA) ist eine anerkannte Methode zur Unterstützung informierter Entscheidungen im Gesundheitswesen.“
… das heißt, dass politische Entscheidungsträger sich danach richten, bzw. dass daraufhin Folgerungen für das Gesundheitswesen entstehen?
„Die Erstellung eines HTA-Berichts (Assessment) ermöglicht eine evidenzbasierte Entscheidungsfindung, um den effizienten Ressourceneinsatz bei größtmöglichem Patientennutzen zu gewährleisten („value for money“).“ – so geht das Zitat weiter. Das bedeutet, dass die Bewertung der Datenlage von unabhängiger Seite erfolgt und Kosten und Nutzen einer therapeutischen Methode einander gegenübergestellt werden.
Wie gehen die Berichterstatter.innen, also die Mitarbeiter des unabhängigen Instituts bei einem HTA vor? Was beachten sie besonders, was nicht? Nach welchen Kriterien werden die Berichterstatter.innen ausgewählt?
Zur letzten Frage: Das müssen Sie im Grunde die Beteiligten selbst fragen. Wir als wissenschaftlicher Beirat der DMtG haben ja „nur“ die Ergebnisse begutachtet und bewertet und waren nicht an der Erstellung des Berichts beteiligt.
Wichtig zu erwähnen ist aber hier, dass es im Vorfeld ein ausführliches Interview mit musiktherapeutischen Expert.innen gab, um das Feld abzustecken, bevor dann das eigentliche Vorgehen beschlossen wurde, d.h. die Einbindung von musiktherapeutischen Expertisen erfolgte zu Beginn und am Ende des Prozesses.
Die Entscheidung, von bestehenden Cochrane-Reviews auszugehen, hatte vermutlich v.a. zeitökonomische Gründe, d.h. eine Top-up Search ist natürlich weniger aufwändig als quasi bei Null anzufangen. Solche Reviews sind international als Qualitätsstandard in der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung anerkannt. Sie befassen sich mit der Wirksamkeit von Interventionen zur Prävention, Behandlung und Rehabilitation und stellen im Prinzip allseits anerkannte Quellen dar, auf die sich alle im System Beteiligten in der Regel gut verständigen können.
Der österreichische AIHTA-Bericht (Austrian Institute for Health Technology Assessment) wurde von der österreichischen Gesundheitskasse bei einem unabhängigen Institut beauftragt. Was ist der Hintergrund für eine Krankenkasse, wie es in Deutschland heißt, eine solche umfassende Studie herstellen zu lassen? Welche Fragestellung ist für die Krankenkasse bedeutsam und was macht eine Krankenkasse mit dem Ergebnis eines HTA-Berichts?
Auch für diese Frage sind wir nicht die richtige Adresse, sondern die Gesundheitskasse Österreich…
… aber eine Motivation dafür war sicher die starke Zunahme von qualifizierten Musiktherapeut.innen (nicht nur in Österreich) und auch das österreichische Berufsgesetz, so dass in Folge die Frage entstand, ob der Zuwachs sinnvoll und unterstützenswert erscheint im Blick auf die Wirksamkeit von Musiktherapie. Mit dem positiven Ergebnis zeigt sich nach unserer Meinung ganz deutlich, dass qualifizierte Musiktherapeut.innen auch in Zukunft gesucht und gebraucht werden.
Der AIHTA-Bericht aus Österreich unterscheidet sich deutlich vom deutschen HTA-Bericht zum Thema Krebs, weil er andere und mehr Themenbereiche untersucht hat, also die Effektivität von Musiktherapie bei Autismus-Spektrum-Störungen, Demenz, Depression, Schlafmangel (Insomnia), Schizophrenie zusammengestellt hat, warum kommt es dennoch zu dieser Beschränkung auf fünf Themen?
Ursprünglich sollte wohl „global“ die Effektivität der Musiktherapie anhand von Systematischen Reviews (SR) beurteilt werden; wegen der unerwartet großen Anzahl der vorliegenden SR (n=139) wurde von der ÖGK (Österreichische Gesundheitskasse) beschlossen, den Fokus auf „hoch-volumige“ Indikationen zu legen, d.h. auf häufige Störungsbilder.
Der im letzten Jahr verstorbene Psychoanalytiker Horst Kächele, ein großer Förderer der Musiktherapie, hat vor einigen Jahren mal an die Adresse der Musiktherapeut.innen gesagt: „Fragen Sie: Wo ist Musiktherapie Spitze, was kann n u r Musiktherapie, wo sagt man: das schafft n u r Musiktherapie?“ Bei welchen der fünf untersuchten Bereiche träfe das am ehesten zu? Welcher der Bereiche ist für die Musiktherapie besonders wichtig? Womit könnten Musiktherapeut.innen am meisten „punkten“? Oder gibt es aus Ihrer Sicht noch andere Bereiche als Antwort auf die Frage von Horst Kächele?
Die Ergebnisse des HTA-Berichts in den Bereichen „Demenz, Depression, Autismus und Schizophrenie“ müssten einen hohen Empfehlungsgrad für Musiktherapie unterstützen. Sie bestätigen aber auch die professionelle musiktherapeutische Arbeit, die seit Jahren von klinisch tätigen Kolleginnen und Kollegen durchgeführt wird.
Weitere relevante Bereiche, die im AIHTA-Bericht nicht untersucht worden sind und gute Ergebnisse für die Musiktherapie bereits aufweisen, sind Musiktherapie bei Krebserkrankungen – von der Kinderonkologie bis zur Palliativmedizin, bei neurologischen Behandlungen – wie Schlaganfall, Koma und Parkinson, bei chronischen sowohl somatisch begründeten als auch funktionellen Schmerzerkrankungen, in der Neonatologie sowie im Suchtbereich. Der Fokus könnte natürlich bei weiteren HTA-Berichten dann darauf gelegt werden.
Sie haben sich ja durch den gesamten AIHTA-Projektbericht Nr. 133 und durch die 71 Seiten „gewühlt“ mit Daten, Fakten, Zahlen etc, und auch einen externen Kommentar abgegeben, was sind denn für Sie die wesentlichsten Erkenntnisse, die wesentlichen Befunde für die Musiktherapie, vielleicht auch die Schwachpunkte?
Das Wesentliche lässt sich kurz so zusammenfassen –
Evidenzbasierte Musiktherapie:
- verbessert kurzfristig die Stimmung und das Verhalten von Menschen mit demenziellen Erkrankungen sowie darüber hinaus auch kognitive Funktionen (z.B. Gedächtnis),
- trägt zur Steigerung der Stimmung bei Depression bei,
- verbessert die Beziehungsqualität und Kommunikation bei Autismus,
- steigert die Lebensqualität und verbessert die soziale Funktionsfähigkeit sowie den mentalen Zustand bei Schizophrenie und
- verbessert die Schlafqualität.
Ausbaufähig aus unserer Sicht wäre die Darstellung und die Differenzierung musiktherapeutischer Methoden. Es wird nur zwischen aktiven und rezeptiven Methoden unterschieden, keine Differenzierung in aktiv, rezeptiv, re-kreativ sowie produktiv (kompositorisch). Ebenso sind die musiktherapeutischen Interventionen unzureichend beschrieben. Das ist aber ein genereller Schwachpunkt in den meisten klinischen Studien zur Musiktherapie.
Häufig haften ja den systematischen Reviews oder cochrane reviews ein Image an, wenn sie von Musiktherapeut.innen gemacht sind, also „aus dem eigenen Stall kommen“ und möglicherweise nicht als objektiv genug angesehen werden. Das ist bei einem HTA-Bericht nun anders, wenn und weil ein unabhängiges Institut Daten, Zahlen und Fakten zusammenträgt. Welche Folgen kann denn ein unabhängiger Projektbericht haben? Vor allem, wenn es um Fragen von Berufspolitik oder Gesundheitsökonomie geht, also um die wirtschaftliche Seite einer Therapieform? Kommt das Gutachten auch zu einer Antwort auf diese Frage oder welche Antworten gibt es aus Ihrer Sicht?
Ein unabhängiger Bericht führt zu einer höheren Akzeptanz und legt damit eine Relevanz von Musiktherapie für eine öffentliche Finanzierung in Österreich und länderübergreifend nahe – also auch für Deutschland. Im Bericht wird keine Kostenevaluation vorgenommen und das Fehlen diesbezüglicher ökonomischer Erfahrungen/Aspekte als Einschränkung (Limitation) beschrieben.
Vielen Dank an den Wissenschaftlichen Beirat der DMTG für das Interview!