Polyrhythms of Music Therapy. 16. Musiktherapie-Weltkongress online aus Südafrika

Polyrhythms: Weltkongress Musiktherapie online aus Südafrika

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Der 16. Musiktherapie-Weltkongress 2020 mit dem Titel “The Polyrhythms of Music Therapy” sollte in Pretoria, Südafrika, stattfinden. Es wäre der erste Weltkongress auf dem afrikanischen Kontinent gewesen, im 35. Jahr des Bestehens der World Federation of Music Therapy (WFMT). Auf Grund der Corona-Pandemie verkündeten die Organisator.innen am 13. März den vorhersehbaren Beschluss, die Veranstaltung vor Ort abzusagen und das Event online zu realisieren. Ein Mammut-Unterfangen, das vom Organisations­kommittee engagiert und mit einer lückenlosen Social-Media und Email-Kommunikation in den weniger als drei Monaten bis zum Kongresstermin am 7.-8. Juli 2020 umgesetzt wurde.

Der Online-Kongress war „sold out“ mit 1000 registrierten Teilnehmern aus 59 Ländern. Das Programm mit knapp 200 Video-Präsentationen, vier Spotlight-Sessions, 64 wissenschaftlichen Postern von Musiktherapeuten und Student.innen, sowie die Eröffnungs- und Abschluss-Zeremonien und ein Studentenseminar wurde über einen Zeitraum von 26 Stunden an zwei Tagen gestreamt. Während der gesamten Zeit war ein Chat aktiv, über den alle Teilnehmer.innen mit den Vortragenden und untereinander interagieren konnten.

Wer sich die Video-Seminare noch anschauen möchte, hat mit dem Post-Congress-Package dazu noch bis Ende September 2020 Gelegenheit (Einschreibung hier bis Ende August 2020).

Aus dem DACH-Raum waren 15 Musiktherapeut.­innen mit einem oder mehreren Vorträgen beteiligt. Wir haben nachgefragt, wie sie diesen Kongress erlebt haben. Nachfolgend finden Sie die Berichte von Petra Kern, Anne-Katrin Jordan, Gitta Strehlow, Bettina Eichmanns, Ariane Fève, Hannah Riedl und Anja Schäfer. Sie können auch direkt auf die verlinkten Namen im Programmauszug klicken.

Conflicting Rhythms: Mastering Barriers of Music Therapy Worldwide.

Passport to Excellence: CBMT’s International Opportunities.

Three Essentials: #ECMT and #ASD.

Monika Smetana_ 

Dialogue in music therapy piano partner-play improvisations: First results from an exploratory feasibility study.

Karin Holzwarth, Cordula Reiner-Wormit_

Music Therapy in Music Schools Survey of the Vocational Field by the German Association of Music Schools (VdM).

The art of fostering Inclusion and social activism with music therapy: perspectives in clinical practice and research.

Dealing with dissociative phenomena in music therapy.

The Benenzon Amodal Approach in a bedside setting. Individual Nonverbal Therapy with a Geronto-psychiatric Patient.

Ariane Fève, Josephine Geipel_

Music Therapy with newborns with congenital diaphragmatic hernia.

Friederike Haslbeck u.a._ 

Music Therapy with Children and Families: Conversations on Collaborations and Contexts.

Christine Gaebel, Sabine Rittner, Marco Warth u.a._

Music Therapy for Depression (The MUSED Study): A Randomized Controlled Trial to Evaluate Psychobiological Effects of Music Therapy on Depression in Adult Women.

Hannah RiedlPetra Kern,  u.a._

The Color of Us. The ABCs of Early Childhood Music Therapy Worldwide.

Psychophysiological study to research heart rate variability (HRV) and mindfulness-based sensitization in receptive music therapy of patients with depressive disorder.

Mein WCMT2020 ... Petra Kern

Dr. Petra Kern Musiktherapeutin

Der #WCMT2020 gestreamt aus Südafrika war in zweifacher Hinsicht etwas Einmaliges. Zum einen weil der Kongress von afrikanischer Musik und Inhalten geprägt war, zum anderen weil das Organisationsteam in kürzester Zeit den Weltkongress in ein 2-tägiges, virtuelles Highlight verwandelte. Etwas wehmütig und berührt von den Ritualen, Ansprachen, bunten Gesängen und Tänzen nahm ich um 2 Uhr morgens mit Hunderten Kolleg.innen weltweit an der Eröffnungsfeier digital teil. Willkommensgrüße aus aller Welt wurden gechattet und so manche SMS oder WhatsApp Message parallel zum Event privat verschickt.

Das Programm, insbesondere die Spotlight Sessions, hoben Themen hervor, die nicht nur kontext-relevant waren, sondern derzeit weltweit in den Schlagzeilen sind. Wie sich Musiktherapeut.innen mit sozialer Gerechtigkeit, kultureller Vielfalt und Entkolonialisierung sowie mit Forschungsaufträgen in Zeiten von COVID-19, ethischen Fragen und angewandten Technologien auseinandersetzen, regte zum Nachdenken und zur Reflexion der eigene Umsetzung an. Mein iCalender erinnerte mich bei Kommissionsvorträgen des Weltverbandes, ausgewählten Fachvorträgen zur Musiktherapie mit Kindern und Familien sowie meinen eigenen Vorträgen rechtzeitig einzuzeichnen. Im digitalen „speaker room“ begrüßte ich Kolleg.innen von allen Kontinenten, die mit mir auf den „count down“ warteten um die Themen „Conflicting Rhythms: Mastering Barriers of Music Therapy Worlwide“ und „Color of Us: The ABCs of Early Childhood Music Therapy Worldwide“ vorzutragen. Am zweiten Kongresstag haben nicht nur die Veranstalter, sondern auch die Teilnehmer.innen technische Herausforderungen gemeistert. Bei meinen Vorträgen „Passport to Excellence: CBMT’s International Opportunities“ und „Three Essentials: #ECMT and #ASD“ nutzten die Teilnehmer.innen den „Q & A“-Chat zunehmend für Fragen und Kommentare. Poster und weitere Vorträge, die aufgenommen wurden, werde ich mir im Monat August ansehen – vielleicht als „Watch Party“ mit befreundeten Kolleg.innen.

Was einen Weltkongress für mich ausmacht, sind neben dem wissenschaftlichen Austausch mit Expert.innen auch die soziale und kulturelle Komponente. In 2020 haben die Organisatoren afrikanische Musik, Kochrezepte und virtuelle Touren zur Verfügung gestellt. Mit etwas Kreativität und Eigeninitiative ließ sich daraus auch in COVID-19 Zeiten etwas machen. Ich habe zum Beispiel mit meinem Mann einen bezaubernden Abend unter dem Sternenhimmel mit Babotie, einem traditionellen afrikanischem Essen, Musik von Milamboni ya Venda und Christel Andersens‘ Touren durch Südafrika, Pretoria, Johannesburg und Soweto verbracht. Um den Kontakt mit internationalen Kolleg.innen zu pflegen, habe ich an den Kongresstagen ein virtuelles Bistro via Zoom angeboten und mich über Gäste aus aller Welt gefreut. Fazit: außergewöhnliche Zeiten erfordern Kreativität, Flexibilität und das beschreiten neuer Wege. Die Premiere des musiktherapeutischen Online-Weltkongress war auf jeden Fall ein Schritt in die Zukunft. Es liegt an uns, die neuen Möglichkeiten kreativ zu nutzen!

Dr. Petra Kern, zertifizierte Musiktherapeutin in Deutschland, USA und Kanada, arbeitet als Beraterin, Forscherin und Online Professorin weltweit. Seit 1996 nimmt sie regelmäßig an den Weltkongressen teil und hat als ehemalige Präsidentin des Weltverbands für Musiktherapie maßgeblich an den Weltkongressen in Argentinien, Süd-Korea, Österreich und Japan mitgewirkt.

Mein WCMT2020... Anne-Katrin Jordan

Anne-Katrin Jordan Musiktherapeutin

Eigentlich lebt ein Kongress von den Gesprächen zwischen den Vorträgen, den neuen Kontakten und natürlich von dem Eintauchen in eine andere Kultur. Wie aber ist das bei einem Online-Kongress?

Die Eröffnungsveranstaltung des Weltmusiktherapiekongresses habe ich mir allein vor meinem Laptop sitzend angeschaut. Auch wenn es nicht mit einem Live-Erlebnis zu vergleichen ist, haben mich die Eröffnung und insbesondere die musikalischen Beiträge sehr berührt.

Auch schon vor dem WCMT2020 habe ich mir oft die Frage gestellt, ob es wirklich notwendig ist (zum Beispiel im Hinblick auf den CO2-Fußabdruck) für einen Kongress so weit zu reisen. Nun habe ich den Vergleich und möchte im Folgenden Vor- und Nachteile zusammentragen.

Da bei einem Kongress dieser Größe immer einige Vorträge parallel stattfinden, war der Vorteil des WCMT2020, dass die Präsentationen und Poster noch fast zwei Monate nach dem Kongress online abgerufen werden können. Generell ist es ein Vorteil, dass Personen, für die eine persönliche Teilnahme sonst nicht möglich gewesen wäre, eine Teilnahme erleichtert wurde. Teilnahmegebühren und eine stabile Internetverbindung sind natürlich trotzdem notwendig.

Bei der Einreichung meines Roundtables mit Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten aus England, Neuseeland, Spanien und Tschechien hatte ich mich besonders auf den persönlichen Austausch sowie die anschließende Diskussion mit den Teilnehmenden gefreut. Der Austausch in der Gruppe und die Aufnahme des Videos für den Kongress fanden über Zoom statt. Für den eigentlichen Kongress gab es, wie sonst auch, einen Zeitplan. In dem vorgesehenen Zeitfenster wurde zunächst unser 40-minütiges Video gezeigt. Leider waren nur die Namen, nicht aber die Videos der Teilnehmenden sichtbar. Im Chat wurden Fragen gestellt und beantwortet. Im privaten Chat konnten wir uns als Referenten austauschen. Nach dem Einblenden des Videos waren wir als Referenten online verfügbar. Aufgrund von technischen Verzögerungen waren es letztlich zehn Minuten, in denen wir auf die Fragen die im Chat gestellt wurden, reagieren konnten. Das wurde wiederum aufgezeichnet und kann nun noch bis Ende August 2020 angesehen werden. 

Als ein Nachteil habe ich empfunden, dass es keinen Austausch nach den Vorträgen gab. Die / Der Vortragende stand nach dem Vortrag zwar noch zur Verfügung, aber reagierte eben nur auf die Fragen im Chat ohne danach ein Feedback zu bekommen.

Mein Fazit: das Reisen lohnt sich. Ein persönlicher Austausch kann durch eine Online-Konferenz nicht ersetzt werden. Vielleicht verändert es sich durch die Erweiterung technischer Möglichkeiten. Vielleicht würde es schon einen Unterschied machen, wenn die Zuhörenden per Video dabei wären. Wenn man aber bedenkt, in welch kurzer Zeit der Kongress auf ein Online-Format umgestellt wurde, war die Umsetzung sehr beeindruckend und gelungen

Dr. Anne-Katrin Jordan. Studium Musiktherapie, Musik- und Erziehungswissenschaft (M.A., UdK/ FU Berlin), Promotion Dr. phil, aktuell Post-Doc Mitarbeiterin am Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Universität Bremen, selbständige Musiktherapeutin, Vorsitzende des Bremer Instituts für Musiktherapie und seelische Gesundheit e.V. (www.musik-bim.de)

Mein WCMT2020... Gitta Strehlow

Gitta Strehlow Musiktherapeutin

Ich hatte mich schon sehr gefreut, endlich einmal die Musiktherapie Community in Afrika kennen lernen zu dürfen. Zum Glück haben die sehr gut gestalteten Opening und Closing Veranstaltungen einen kleinen Einblick geben können.

Ich bin positiv überrascht bezüglich des Online-Formats. Bis auf einige Einstiegsprobleme hat doch vieles erstaunlich gut geklappt. Die Organisatoren waren beeindruckend bemüht, alle Probleme sofort zu beheben. Mein eigener Vortrag (Thema Dissoziation) hat technisch prima funktioniert. Es gab nach dem Vortrag allerdings nur schriftliche Fragen, Feedback und Antworten. Mein Mikrophon hatte leider nur beim Text und nicht im Original funktionierte. Aber nun ja, es gab einen Austausch. Natürlich fehlt die persönliche Begegnung, gerade bei den schon seit Jahren gewachsen Beziehungen. Diese wurden dann teilweise per Chat oder über selbst organisierte Zoom-Treffen eingebaut. Vorteil war, dass viele Beiträge gehört werden konnten, bzw. das Wechseln zu einem anderen Vortrag war deutlich leichter. Trotzdem, es fehlt die direkte spürbare Begegnung und die darin enthaltenen Möglichkeiten.

Das Programm war vielseitig gestaltet. Ich hätte mir noch mehr Themen aus dem psychiatrisch/psychotherapeutischen Bereich gewünscht. Trotzdem gab es genug, was sich lohnte anzuschauen und ich bin mit vielen neuen Gedanken aus dem Kongress gegangen. 

Die vier Spotlight Sessions waren alle mit jeweils vier Sprechern überwiegend gut gestaltet. Mir hat die Spotlight Session zur Forschung am besten gefallen. Einzelne sehr gute Präsentation gab es einige und das Gute ist, dass wir die Video-Aufnahmen der Vorträge noch bis Ende September anschauen können. Das ist sehr klar ein großer Vorteil der online-Konferenz. Meine persönliche Auswahl von beeindruckenden Präsentationen:

Hearing silenced voiced: The yield of music therapy in major depressive disorder and schizophrenia-spectrum psychotic disorder (Carol Lotter)

Provocative music therapy (Albert Bermann) 

Understanding Transgenerational Trauma and Grief Through Digitally Remixing Music of the Holocaust (Brian Abrams & Michael Vienna)

Prof. Dr. Gitta Strehlow, seit 20 Jahren Musiktherapeutin in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Bethesda Krankenhaus Hamburg-Bergedorf und bei Dunkelziffer e.V. (Hilfe für sexuell missbrauchte Kinder). Institut für Musiktherapie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Diverse Veröffentlichungen zu Borderline-Persönlichkeitsstörung, Psychotraumatologie, psychodynamisches Denken und Mentalisierung.

Mein WCMT2020... Bettina Eichmanns

Bettina Eichmanns Musiktherapeutin

Es sollte mein erster Besuch – und nachdem mein abstract als paper presentation angenommen wurde, auch mein erster Vortrag – bei einem Musiktherapie-Weltkongress werden. Außerdem wäre es die Rückkehr in ein Land gewesen, das ich schon mehrmals bereisen und bestaunen durfte. Nach der Enttäuschung darüber, dass die vielen persönlichen Begegnungen mit neuen und bekannten Kollegen aus aller Welt nicht stattfinden würden, war ich nach einigen ersten Erfahrungen als Dozentin mit Online-Lektionen – die erst mal sehr gut funktioniert hatten und sich gar nicht weit weg oder unpersönlich angefühlt hatten – gespannt auf den WCMT 2020 online.

Was für mich am digitalen Format der stärkste und wichtigste Aspekt war: die Teilnahme wurde für viele möglich, die aus eigener Tasche diese Kongresse bezahlen müssen und sich eine so weite Reise plus Unterkunft nicht oder nur schwer leisten können. 1000 Teilnehmer, möglicherweise doppelt so viele wie bei vergangenen Weltkongressen? Das ist finde ich ein sehr gutes Argument dafür, etwas von diesem Format auf zukünftige Editionen zu übertragen. Der zweite absolute Pluspunkt ist das Archiv der Video-Vorträge, das über den Kongress hinaus abrufbar ist, für alle Teilnehmer oder auch im Rahmen eines Post-Congress-Package. Eindeutig zwei Ressourcen, die man meiner Meinung nach in einen Präsenz-Kongress in irgendeiner Form übernehmen sollte.

Als Referentin hatte ich vor allem technische Schwierigkeiten: ein fertiges Video aufnehmen vorab, statt auf das Publikum reagieren, evtl. noch etwas einbauen zu können – die ganze Spontanität einer live-Präsentation war verloren. Auch der Chat ist kein Ersatz für den ganz entscheidenden Austausch, den Moment der Diskussion nach den Vorträgen. Allerdings habe ich eine Umschrift des Chats zu meiner Präsentation erhalten, und das ist wiederum etwas wirklich Nachhaltiges für ein eventuelles Follow-up mit Teilnehmer.innen.

Inhaltlich habe ich den Kongress durchgehend – also 26 Bildschirm-Stunden an zwei Tagen – verfolgt. Und trotz einiger technischer Hürden und dem langen Sitzen (puh) habe ich das Gefühl: ich war dort … bei der Eröffnungszeremonie, bei den Keynote Sessions. Ich meine, das liegt daran, dass die Organisator.innen und alle Beteiligten dieser Programmpunkte mit so viel Leidenschaft präsent waren bzw. gesprochen, gesungen (der Universitätschor!), musiziert haben – ich war davon zutiefst berührt und bin sehr dankbar dafür.

Am meisten haben mich die Keynotes von Marrisol Norris (‘Access and Empowerment’ Session) und von Gary Ansdell (‘Advancing Research’) mitgerissen, obwohl mein Leibthema die Session zu den ‘Ethical challenges’ war. Bei Norris und Ansdell, und dann noch markanter in der Closing Ceremony, bekam für mich eine Frage an die Musiktherapie-Community ihren ganz eigenen, drängenden Rhythmus. Und diese Frage war im Programm auf den Punkt gebracht, der dann auch der zentrale Gedanke wurde, mit dem ich aus dem Kongress ging: ‘Decolonizing Music Therapy’ – wie weit ist diese schon vorangekommen, oder wie viel Weg ist noch zu gehen? Wie demokratisch sind unsere Ausbildungsstandards und unsere Forschungspraktiken?

Eine musikalische Stellungnahme dazu zeigten die Studenten des Master-Abschlussjahres Musiktherapie der University of Pretoria  – alle weiß – in der Abschlussveranstaltung. Sie thematisierten in einer Improvisation per Videokonferenz ihre all-whiteness als Zeichen dafür, wie viel Bedeutung die #BlackLivesMatter-Bewegung für sie hat. Wie kann die Musiktherapie-Community als Player in einer helfenden Disziplin auf Dr. Norris und die Master-Kandidat.innen reagieren?

Und wie können wir einen solchen Kongress systematisch und gebührend auswerten? Ich freue mich dazu sehr auf die Conference Proceedings, die – natürlich online – als MT Today-Ausgabe erscheinen werden.

Mein Fazit: Online-Kongress? Gerne wieder, am liebsten in einer optimalen Mischung mit einem in-person event. Das Beste aus den beiden Formaten, das wäre mein Traum.

Bettina Eichmanns ist Musiktherapeutin (A.I.M.) und Musik­wissen­schaft­lerin. Klinischer Schwerpunkt: Einzeltherapie am Krankenbett mit stark pflegebedürftigen Erwachsenen und älteren Menschen. Freie Tätigkeit als Dozentin. Zertifizierte Seminarleiterin für Nonverbale Therapie nach Benenzon (TNVB).  

Mein WCMT2020... Ariane Fève

Ariane Fève Musiktherapeutin

Nachdem im März das Organisationskomitee versicherte, dass sie weiterhin vor hätten, den Kongress im Juli in Pretoria, Südafrika, durchzuführen, kam drei Tag später die Mitteilung, dass er doch zur Online-Veranstaltung umgewandelt werden müsse. Da freute man sich plötzlich doch, dass man den Flug noch nicht gebucht hatte…

Online-Kongresse haben, wie alles andere, ihre Vor- und Nachteile. Als erstmalige Referentin freute ich mich, dass ich doch nicht vor Hunderten von Leuten auf Englisch vortragen musste, sondern bequem (wenn man von einigen technischen Schwierigkeiten absieht) zuhause, von meinem Zettel ablesend und nach Bedarf mehrmals aufnehmen durfte. Außerdem war es während des Kongresses ganz praktisch, zwischen den Vorträgen nicht vor der Toilette anstehen zu müssen und genug Schlaf zu bekommen. Wir Deutschen hatten ja auch noch den Vorteil, keine Zeitverschiebung zu Südafrika zu haben!

Der Umstand, dass die Veranstaltung auf zwei Tage reduziert wurde, bedeutete, dass viele Vorträge parallel ablaufen mussten und wenig Pausen eingeplant waren. Wenn man an so einem Weltkongress zum ersten Mal teilnimmt, möchte man so viel wie möglich anschauen und Neues lernen; irgendwann war aber meine Konzentration am Ende, und von den späteren Vorträgen bekam ich immer weniger mit… Außerdem startete nach einer coolen und motivierenden Opening Ceremony der erste Vortrag mit einer technischen Störung, was sehr schade war! Zum Glück wurde er am Tag nach dem offiziellen Ende des Kongresses nochmal abgespielt, wie auch andere Vorträge, die nicht funktioniert hatten. Ebenso freue ich mich sehr darüber, dass die aufgenommenen Vorträge jetzt noch verfügbar sind, sodass man doch noch viel mehr lernen kann!

Ich durfte mir viele Vorträge anschauen, zum Beispiel über Vokale Psychotherapie, musiktherapeutische Arbeit und Rolle in der Forensik, Elterntrainings in der Neonatologie, Provokative Musiktherapie, ethische Herausforderungen, Empathie, Marketing für Musiktherapeuten und ein richtig guter Vortrag über „trauma-informed care“. In der Musiktherapiewelt berühmten Persönlichkeiten saß man plötzlich quasi gegenüber! (Für mich als Berufsanfängerin war das auch etwas einschüchternd…) Und es gab so viele interessante Sachen, die ich mir nicht anschauen konnte! Hoffentlich kann ich das nachholen.

Da man allein vor seinem Bildschirm saß, war das „Weltkongress-Gefühl“ erst mal beschränkt; doch die freundliche und begeisterte Begrüßungen und Kommentare im Chat, die afrikanische musikalische Beiträge bei den Opening und Closing Ceremonies und die ganzen Gesichter beim abschließenden Zoom-Meeting lösten doch immer wieder ein Verbundenheitsgefühl aus und machten mir bewusst, wie viele Menschen sich mit Liebe täglich in ihrer musiktherapeutischen Arbeit einbringen und daran glauben, dass Musik anderen helfen kann! Und das ist doch ein tröstlicher Gedanke. Und inzwischen hat vielleicht auch jeder gelernt, wo bei Zoom der Mute-Button ist 😉

Ariane Fève wurde in Frankreich geboren und zog 2009 nach Deutschland. 2019 Abschluss des Musiktherapie-Studium (B.A.) an der SRH Hochschule Heidelberg. Seither als Musiktherapeutin an der Luisenklinik Bad Dürrheim im kinder- und jugendpsychiatrischen sowie psychosomatischen Bereich.

Mein WCMT2020... Hannah Riedl

Hannah Riedl Musiktherapeutin

Die Vorfreude auf den Weltkongress in Südafrika wuchs bereits im Herbst 2019, als ich einen Abstract dafür einreichte. Endlich einmal ein Musiktherapie-Kongress auf dem afrikanischen Kontinent: Wie toll, wie aufregend, was für eine Chance, in diese Ecke der Welt reisen zu dürfen, so dachte ich. Wie steht es um die Musiktherapie dort? In Afrika allgemein und in Südafrika im Speziellen? Mein Wissen darüber, so muss ich zugeben, war noch recht begrenzt damals. Tja. Dann kam alles anders als erwartet.

Jeder und jede von Ihnen weiß genau, was ich meine. In einer Harry Potter Welt lebend, würden wir nun vielleicht „vom Virus, dessen Name nicht genannt werden darf“ sprechen, aber als Musiktherapeut_innen benennen wir ja die Dinge, betrachten sie und reflektieren darüber.

Darum: Wie ging es mir persönlich mit dem 1. Online Musiktherapie-Weltkongress 2020? Kurz gesagt: sehr gemischt.

Etwas ausführlicher gesagt: Anfangs war ich beeindruckt von der schnellen und klaren Entscheidung des Organisations-Komitees, den Kongress online stattfinden zu lassen. Was für eine – wie ich mir vorstelle – undankbare Aufgabe, sämtliche Überlegungen zu ändern, neue Organisationspartner_innen zu finden, um den technischen Gegebenheiten gerecht zu werden, et cetera, et cetera. Gleichzeitig entdeckte ich eine große Enttäuschung darüber, dass der Kongress nicht z.B. um ein Jahr verschoben wurde und ich die Chance, Südafrika leibhaftig mit der Musiktherapie-Community erleben zu dürfen, begraben musste.

In Vorbereitung auf den Online-Kongress im Frühjahr 2020 ertappte ich mich dann dabei, mich nicht sehr verbunden und identifiziert mit diesem ganzen Online-Vorhaben zu fühlen, parallel dazu wurden ja unliebsame Formalitäten wie das Flüge stornieren u.a. erledigt. Einen Kongress-Beitrag musste ich zurückziehen, da die vorgezogene fristgerechte Ablieferung nicht eingehalten werden konnte. Demnach ist eine kleine Geschichte des Scheiterns auch mit diesem Kongress verbunden.

Dann kam der 7. Juli, ich befinde mich mit meiner Kollegin in Wien in unserem Besprechungszimmer und „es ist Musiktherapie-Weltkongress“. Aber wo? Hier im Büro? In Wien? Ah, da auf der Mattscheibe, da läuft etwas, ja. Aber hat das etwas mit mir zu tun, mit mir als Musiktherapeutin? Es fühlt sich mehr wie die Betrachtung einer kulturellen Festwochen-Eröffnung an, als das Hineingezogen-Werden in einen eigenen Kongress-Kosmos, in dem es vor Austausch, Resonanz, Diskussion und lebhaften Begegnungen nur so sprüht. Eigentlich halt. So, wie ich es von anderen Präsenz-Kongressen schon kenne.

Jedoch, einen Vorteil möchte ich neben den technischen Pannen, die es zweifelsohne vor allem zu Beginn gegeben hat, gleich erwähnen: Das schnelle Wechseln von einem Vortrag / Roundtable in einen anderen. Nur zwei Klicks und ich befinde mich in einem gänzlich anderen Raum mit einem gänzlich anderen Thema. Im analogen Leben würde ich an so einer Stelle erst einmal auf dem Lageplan zu suchen beginnen, wo überhaupt der nächste Raum ist. Das schnelle Herumhopsen zwischen den „Räumen“ fühlt sich futuristisch an. Als könnte ich mich beamen. Das gefällt mir.

Das für mich wichtigste Gadget des Kongresses wurde zweifelsohne die Chat-Funktion. Alte Bekannte konnten angeschrieben werden – befand man sich zufällig im selben Vortrag – und ein kurzer Austausch darüber, was sich so tut, dass man traurig ist, sich nicht live zu sehen, oder wie die Corona-Lage im jeweiligen Land gerade ist, war wirklich wohltuend und wichtig. Was sich dabei inhaltlich in der Session getan hat? Ich weiß es nicht – aber das kann ich ja dankenswerterweise nachsehen.

Einen weiteren Vorteil möchte ich herausstreichen: Die elektronisch verfügbaren Poster. In diesem Fall macht die Online-Version richtig viel Sinn und ich fände diese Form auch in Zukunft sehr wertvoll als Ergänzung eines jeden Präsenz-Kongressen. Werden wir in Zukunft womöglich Hybrid-Kongresse veranstalten – das Beste aus der analogen und digitalen Welt vereinen?

Aus der analogen Kongresswelt würde ich definitiv das natürliche Beenden eines Vortrages bevorzugen im Vergleich zum brutal-abrupten Abbrechen des Streaming-Dienstes, der nach exakt 30 Minuten den Q&A-Teil nach einem Vortrag beendete. Egal, ob ein Satz zu Ende gesprochen war oder nicht. Egal, ob Fragen noch offen waren oder nicht. „Normal“ würde man bei einem Kaffee weitersprechen. Die Form schließen. In der digitalen Welt bin ich in Sekundenschnelle zurückgeworfen in meine eigene Umgebung. Plötzlich. Ohne Vorwarnung. Und mein Gegenüber ist wieder ganz weit weg. Das Weitersprechen, den Faden wieder aufnehmen ist danach mit mehr Aktivität verbunden: E-Mail-Adresse raussuchen, E-Mail schreiben, möglichst unmissverständlich formulieren, auf Antwort warten. Das Direkte, Dialogische, Flüssige geht jedoch dabei verloren. Ich würde mir geöffnete Chatrooms nach einem Vortrag wünschen, sollte es wieder einmal einen Online-Kongress geben.

Rückblickend bemerke ich, dass ich an den Kongresstagen selbst fast ausschließlich mit den Rahmenbedingungen und den Strukturen dieses Online-Formates, mit dem Suchen nach Bekannten und Bekanntem von Präsenz-Kongressen beschäftigt war und kaum inhaltlich aufnehmend war. Das Inhaltliche werde ich noch nachholen. Alleine im Weltkongress-Büro in Wien. Meine Fragen werde ich notieren und digital per E-Mail an die betreffenden Personen senden. Vielleicht… Analog hätte ich die Vortragenden einfach gleich gefragt. Ganz bestimmt!

Mag. Hannah Riedl. Musiktherapeutin, derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wiener Zentrum für Musiktherapie-Forschung (WZMF) tätig. Forschungsinteressen: Musiktherapie und Ökonomie, Historische Forschung, Musiktherapie mit Kindern und Jugendlichen; Musiktherapeutische Praxiserfahrung: Pädiatrische Onkologie, Jugendpsychiatrie und Bereich Selbsterfahrung; Lehrtätigkeit in Wien und Graz: Praktikumssupervision und Theorie (Musiktherapie mit Kindern/Jugendlichen, Ethik).

Mein WCMT2020... Anja Schäfer

Anja Schäfer Musiktherapeutin

Die Freude war groß, als mich die Nachricht erreichte, mein derzeitig laufendes Forschungsprojekt könne in Form einer Paper Präsentation beim World Congress of Music Therapy gezeigt werden.

Das Land Afrika kannte ich bisher von einer Privatreise, welche mittlerweile 20 Jahre zurückliegt. Damals war ich fasziniert von der Lebendigkeit der Menschen, den Farben, der gelebten Spiritualität und vor allem der Musik. Ich hätte mir kein schöneres Land für diesen Anlass vorstellen können.

Anfänglich etwas traurig über die Tatsache, dass aufgrund der weltweiten Corona Pandemie dieser Kongress nicht in Präsenz, sondern in einem Online Format stattfinden sollte, wurde es den Vortragenden freigestellt, sich diesen neuen Umständen zu stellen und unter veränderten Rahmenbedingungen ihren Beitrag zum Besten zu geben. Die Vorbereitungszeit dafür, Präsentation sowie ein Proceeding Paper für den Tagungsband zu gestalten, verkürzte sich dadurch um etwa vier Wochen.

Zeit wurde mir coronabedingt durch etwas weniger Arbeit in der Klinik geschenkt. Eine „persönliche Onlinepräsentation“ zu kreieren, stellte mich vor neue Herausforderungen. Im Laufe der Vorbereitung entwickelte sich bei mir doch eine Vorfreude darauf, wie der World Congress of Music Therapy sich letztendlich zeigen und auf diesem Wege wohl ablaufen würde. 

Schon einige Wochen vor Beginn des Kongresses wurden Informationen den Ablauf betreffend, afrikanische Musik, afrikanische Rezepte sowie virtuelle Stadtführungen vom Organisationsteam ausgesendet. So entstand in mir der Eindruck, das Feeling des Landes, die Musik und ebenso die Vorbereitungen der Veranstaltung doch etwas näher mitzubekommen und irgendwie ein Teil von alldem zu sein.

Als dann das traditionelle afrikanische Xhosa Lied „Indodana“ vom Choir of University in Pretoria bei der Opening Ceremony eingespielt wurde, ergriff mich eine tiefe Verbundenheit zu diesem Ereignis. Es war ein berührender, feierlicher Moment. Dieses Lied wurde zu meinem musikalischen Begleiter während des ganzen Kongresses und bis heute darüber hinaus.

Das Programm war vollgespickt mit Präsentationen, Videos, Spotlight Sessions. Die „richtige“ Auswahl der stattfinden Präsentationen zu treffen, war nicht leicht. So musste man sich, außerhalb der Spotlight Sessions, zwischen oftmals 10 gleichzeitig laufenden Präsentationen entscheiden, welche man sich gerne anschauen wollte. Es bestand aber auch die Möglichkeit, nur einen kleinen Einblick in eine laufende Präsentation gewährt zu bekommen. Des Öfteren nahm ich so spontan an der einen oder anderen Präsentation teil, welche mir sonst wohl entgangen wäre.

In der technischen Umsetzung gab es anfänglich immer wieder Schwierigkeiten zu überwinden. Auch in meiner Präsentation blieb ich nicht ganz davon verschont; eine neue Webinarform, die Präsentation, das Livechatten u.a. Die Präsentationen selbst waren sehr bunt und jede Einzelne von ihrer Darstellung her einzigartig.

Musiktherapeutische Forschung bekam dadurch für mich eine neue Dimension.

Bei der musikalischen Closing Ceremonie sowie der abschließenden Zoom Veranstaltung war ich berührt darüber, wie es heute doch möglich ist, die Gesichter all dieser unterschiedlichen Menschen von der ganzen Welt gleichzeitig auf einem Bildschirm sehen zu können. Ein für mich sehr bewegender Moment sich auf diesem Wege zu begegnen.

Zusammenfassend gesagt: „Es lief nicht alles ganz rund, doch im Großen Ganzen war ich sehr glücklich darüber, ein Teil dieses wundervollen Ereignisses gewesen sein zu können.“

Anja Schäfer. Schauspielstudium in Berlin. Klinische Musiktherapeutin MAS (FMZ München, Masterstudiengang Zürich). Psychotherapeutisches Propädeutikum. Studium in integrativer Körper-, Atem- und Stimmarbeit. Musiktherapeutin an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Barmherzige Brüder, Graz. Promovierende an der Hochschule für Musik und Theater, Hamburg. Lehrtätigkeit seit 2010, u.a. an der Kunstuniversität in Graz. Arbeits- und Interessenschwerpunkte: Körper-, Atem- und Stimmarbeit im musiktherapeutischen Setting.

Die Blog-Redaktion bedankt sich bei den Referent.innen für ihre Texte. Wer als Teilnehmer.in den WCMT2020 verfolgt hat und gerne noch seinen/ihren Beitrag in diesen Artikel einbringen möchte, kann dies gerne tun an: blog@musiktherapie.de.

Autor.innenfotos: die Rechte liegen bei den Autor.innen.

Headerfoto: WFMT World Federation of Music Therapy

www.wfmt.info

www.up.ac.za/music-therapy-2020

 

 

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Bettina Eichmanns

Musiktherapeutin (DMTG, AIM), Musik­wissen­schaft­lerin, zertifizierte Seminarleiterin für Benenzon-Musiktherapie, freie Dozentin. Klinischer und Forschungs-Schwerpunkt: Einzel- und Gruppentherapie in den Bereichen Wachkoma und Gerontopsychiatrie. Musiktherapeutin in der Abteilung für Personen im Wachkoma der Fondazione Don Gnocchi Mailand.

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