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Musik und Kunst bald auf Rezept? Die WHO empfiehlt es

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WHO Report on Arts and Health Arts categoriesLaut einem Bericht, den die WHO kürzlich in Helsinki vorstellte, haben kreative Tätigkeiten nachweislich eine positive Wirkung auf die menschliche Gesundheit. Die Weltgesundheitsorganisation wertete weit über 900 vorwiegend europäische Publikationen in englischer und russischer Sprache aus.

Als Pluspunkte künstlerisch-kreativer Aktivitäten in Ergänzung zu medizinischen Therapien stellt der Bericht die vergleichsweise niedrigen Kosten dieser Maßnahmen, sowie die geringe Gefahr von unerwünschten Nebenwirkungen heraus.

Der Bericht trägt den Titel „Health Evidence Synthesis report: what is the evidence for the role of the arts in improving health and well-being in the WHO European region“. Die untersuchten Kunstformen sind in fünf Kategorien eingeteilt: darstellende Künste (hierzu gehört Musik, aber auch Tanz, Singen, Theater und Film), visuelle Künste (Basteln/Handwerken, Design, Malen, Fotografie), Literatur/ Kultur (Besuch von Museen, Galerien, Konzerten, Theatervorführungen) und Online-Künste (Animationen, digitale Künste).

Welche Lebensbereiche werden erreicht?

Die Stärken von künstlerisch-kreativen Aktivitäten zeigten sich, so der Bericht, nicht nur im therapeutischen und rehabilitativen Spektrum, sondern ebenso als präventive, gesundheitsfördernde, sozial-integrative, und kommunikationsfördernde Maßnahmen. Die Anwendbarkeit erreiche alle klinischen und gesellschaftlichen Sphären, sowie alle Stationen des Lebens: von Frühgeborenen über Kinder und Jugendliche, bis zur älteren Generation sowie das medizinische Personal – sie alle zögen Nutzen aus den vielfältigen Möglichkeiten, mit Hilfe von Kunst und Kreativität aktiv zu sein.

Die Quellen

In die Auswertung einbezogen wurden verschiedenste Arten von Quellen. Neben wissenschaftlichen Studien flossen in den Bericht auch Veröffentlichungen wie Pilotstudien, Fallbeschreibungen, Kohortenstudien und Umfragen ein. Insgesamt 972 Publikationen werden gelistet, und so nimmt die Bibliographie im Umfang die Hälfte des Berichts ein. Unter den Studien befinden sich laut WHO 200 Übersichtsarbeiten, die 3000 weitere Studien analysierten. Damit bezeichnet die Organisation den Bericht als bisher umfangreichste Evidenzuntersuchung zum Thema Künste und Gesundheit.

Musik am häufigsten erwähnt

Unter den Künsten wird die Musik am häufigsten genannt, und zwar über zwanzigmal so oft wie zum Beispiel Bildende Kunst, Malen, Design, Kultur, Theater, Tanz. Der Bericht unterstreicht an der Musik insbesondere ihre gesellschaftliche Funktion auf Grund ihrer Fähigkeit, wichtige Faktoren wie Gruppenzusammenhalt und Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Die Wirkungsweise von Musik wird außerdem im Kontext der frühkindlichen Entwicklung (Mutter-Kind-Beziehung) sowie durch ihre Verwandtschaft mit der gesprochenen Sprache begründet. Die große Anzahl an Hirnregionen, die bei musikalischen Aktivitäten angeregt werden, erklärt laut WHO-Bericht, warum Musik im Kindes- und Jugendalter besonders angezeigt ist.

Musiktherapie versus Musik

Von Musiktherapie ist im Bericht bei zirka einem Fünftel der Erwähnungen von Musik die Rede, etwa als Intervention bei Personen mit RETT-Syndrom zur Verbesserung von Sprachverständnis und –ausdruck, in der Reduktion von Aggressivität bei Jugendlichen, für Mütter mit Pre-Eklampsie und ihre ungeborenen Kinder, im psychiatrischen Bereich von Depressionen bis zu schweren psychischen Störungen, oder bei Suchtproblemen. Die anderen im Bericht erwähnten Formen der Nutzung von Musik sind Musikhören, gemeinsames Musizieren, musikalische Erziehung, Singen, Musik schreiben, musikalische Untermalung und Hintergrundmusik. Inwieweit hier in den herangezogenen Studien präzise unterschieden wurde zwischen Musik und Musiktherapie, wäre zu prüfen.

Schlussfolgerungen für die Gesundheitspolitik

Der Bericht spricht in seinen Schlussfolgerungen konkrete Empfehlungen für die gesundheitspolitische Umsetzung der Ergebnisse aus. Die Evidenz für die Nutzung von Kunst im Gesundheitsbereich sei vorhanden. Die Autoren raten Entscheidungsträgern zu einem verstärkten, internationalen Wissensaustausch, sowie zur staatlichen Förderung geeigneter, groß angelegter Forschungsprojekte, um eine breit aufgestellte Entscheidungsbasis für den gezielten Einsatz künstlerischer Therapien und Gesundheitsmaßnahmen zu schaffen.

Herausforderungen für die Forschung

Die Diskrepanz zwischen der großen Anzahl verfügbarer Studien zu bestimmten Kunstformen, darunter Musik, und bisher wenig untersuchten künstlerischen Aktivitäten wie Festivalbesuche, Film oder digitale Medien, relativiere die Ergebnisse des Berichts. Es solle daraus keine geringere Wirksamkeit der weniger untersuchten Kunstformen abgeleitet werden. Auch nennt der Bericht mehrere klinische Anwendungsbereiche, zu denen es wenige oder keine Studien gibt, so Infektionskrankheiten, Autoimmunkrankheiten oder Epilepsie. Laut Bericht bedarf es eines breiteren Spektrums auch an Forschungsperspektiven, darunter beispielsweise die Effektivität künstlerischer Aktivitäten in der tertiären Prävention, die sekundären Effekte der Maßnahmen etwa auf Angehörige (Care-taker) und Klinikpersonal, oder die Rolle der Kunst in der Kommunikation zu Gesundheitsfragen.

Quellen: WHO-Bericht (Englisch); Faktenblatt (Englisch, pdf)

 

 

 

Bettina Eichmanns

Bettina Eichmanns

Musiktherapeutin (DMTG, AIM), Musik­wissen­schaft­lerin, zertifizierte Seminarleiterin für Benenzon-Musiktherapie, freie Dozentin. Klinischer und Forschungs-Schwerpunkt: Einzel- und Gruppentherapie in den Bereichen Wachkoma und Gerontopsychiatrie. Musiktherapeutin in der Abteilung für Personen im Wachkoma der Fondazione Don Gnocchi Mailand.

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