Musiktherapie Auswertung Stellenanzeigen Interview mit Volker Bernius von Bettina Eichmanns. Grafik: pxhere

Was erzählen die Stellenanzeigen über den Beruf Musiktherapeut:in?

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Ein Interview mit Volker Bernius

Volker Bernius, bis vor kurzem Chefredakteur der Musiktherapeutischen Umschau, hat vor vier Jahren systematisch nach Stellenanzeigen für Musiktherapeut:innen gesucht und darüber im Editorial der Musiktherapeutischen Umschau (Heft 01/2019) berichtet. In der aktuellen Ausgabe (03/2023) hat er erneut Stellenangebote ausgewertet. Bettina Eichmanns sprach mit Herrn Bernius über seine Erkenntnisse.

Volker Bernius ehem. Chefredakteur Musiktherapeutische Umschau

Volker Bernius, Studium der Theologie, Musik, Psychologie. Seit 1979 Redaktionsmitglied der Musiktherapeutischen Umschau, ab 1986 Chefredakteur, Beisitzer im Vorstand der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft: Von 1981 bis 2015 Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsredakteur Hessischer Rundfunk, Mitgründer und Fachbeirat der Stiftung Zuhören, Journalist, Autor, Herausgeber, Dozent.

 

Herr Bernius, Sie haben vor vier Jahren systematisch nach Stellenanzeigen für Musiktherapeut:innen gesucht und darüber berichtet. Was war der Anlass dafür, das Thema nun noch einmal in die Hand zu nehmen?

Ich wollte wissen, ob sich etwas verändert hat, und jetzt habe ich das systematischer untersucht als damals. Vor vier Jahren waren es 30 Stellenanzeigen über vier Monate (von November 2018 bis Februar 2019) und jetzt 80 Stellenanzeigen über acht Monate (Dezember 2022 bis Juli 2023), aber auch das nur von der Jobbörse Indeed. Da bin ich seit langer Zeit als Interessent eingetragen. Ich wollte wissen, welche Anforderungen es gibt an künftige Musiktherapeut:innen. Es gab sicher mehr Stellenanzeigen in dieser Zeit, weil es ja auch andere Jobbörsen gibt und auch Stellen, die unter der Hand weitergegeben werden… Musiktherapie-Stellenanzeigen stehen ja normalerweise nicht so im berufspolitischen Interesse, das schauen sich nur diejenigen an, die danach suchen… Stellenanzeigen können aber etwas darüber aussagen, was Teile der Gesellschaft für einen Begriff von Musiktherapie im Kopf haben.

Welche Unterschiede können Sie zwischen der Situation von 2019 und der aktuellen Lage erkennen?

Zunächst mal gibt es mehr Stellenanzeigen. Es werden Musiktherapeut:innen gesucht, vor allem in Kliniken. Ich vermute, dass das auch mit der Pandemie zu tun hat und dem Bedarf, der entstanden ist. Kennzeichen von Stellenanzeigen sind zum Beispiel die Kompetenzen, die Bewerber:innen für die betreffende Stelle mitbringen sollen. Auffällig war vor vier Jahren, dass diejenigen, die Stellen ausschreiben – das sind ja vorwiegend Krankenhäuser – also Ärzte und Personalverantwortliche, häufiger eine „Ausbildung in Musiktherapie“ voraussetzten. Das kann aber alles sein, eine dreijährige Bachelor-Ausbildung oder ein Kurs an drei Wochenenden. Und weil „Ausbildung in Musiktherapie“ auch 2023 noch vorkommt, zeigt es, dass manche Arbeitgeber:innen das nicht unterscheiden können oder wollen. Wollen also Arbeitgeber:innen die am besten qualifizierten Musiktherapeut:innen haben oder nicht? Das wäre zu hinterfragen. Ich denke, dass es hier ein großes Informationsdefizit gibt über diesen qualifizierten Beruf. Die Frage ist also, wie das Informationsdefizit verringert werden kann.

Sie sprechen davon, dass die Zahl der Stellenanzeigen zugenommen hat, und dass die Benefits unter „Wir bieten“ geradezu den Eindruck erwecken, die Arbeitgeber „buhlten um Fachkräfte“. Spielt Ihrer Meinung nach dabei auch der wachsende Einsatz Imagefördernder Marketingstrategien eine Rolle, neben dem echten Wunsch, gute Arbeitskräfte zu gewinnen?

Man müsste nochmal diejenigen genauer befragen, die Stellen ausschreiben. Möglicherweise ist das ein aktueller Trend, der auch mit dem Begriff „work life balance“ bezeichnet werden kann. Also, dass junge Leute stark auf ein Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Privatleben achten, darüber wird häufig berichtet derzeit. Da machen Benefits natürlich etwas aus. Mich hat das gewundert, was heutzutage alles angeboten wird, womit Bewerber:innen gelockt werden…, zum Beispiel mit einem täglichen Apfelkorb, aber es gibt noch verrücktere Lockangebote… das habe ich im MU-Artikel auch beschrieben, die Kliniken stehen ja in einem Wettbewerb, so ist das zu erklären und es gibt zur Zeit mehr Stellen als Bewerber:innen.

Viele Angebote setzen bei Bewerber:innen eine abgeschlossene Ausbildung voraus, die Hälfte ein Studium (BA, MA oder Diplom), und teilweise werden die Standards der DMtG erwähnt. Wäre es hilfreich für die DMTG, diesen Aspekt kontinuierlich auszuwerten, um die Bedeutung der Zertifizierung „Musiktherapeut:in DMtG“ genauer zu kennen?

Wichtig ist, dass die Arbeitgeber:innen darauf achten, dass sie zertifizierte Musiktherapeut:innen ansprechen. Das hilft dem Image des Berufs auf einem akademischen Niveau. Und das hat tatsächlich zugenommen. Ich vermute, dass das Berufsbild der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT), wie auch das Berufsbild der Bundesarbeitsgemeinschaft Musiktherapie (BAG MT), eine Informationsquelle von Arbeitgeber:innen sind, beziehungsweise sollten und müssten sie es sein! Die Voraussetzung für eine Zertifizierung sollte man übrigens zwischen Ausbildungen und Verbänden der Künstlerischen Therapien noch genauer aufeinander abstimmen. Das kann auch etwas darüber vermitteln, wie ein Beruf von außen gesehen werden will. Eine Aufgabe der BAG KT, finde ich.

Man muss sich den inzwischen weitgehend bekannten Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) aus dem Jahr 2019 in Erinnerung rufen. Dort wird ausdrücklich anerkannt, dass zum Beispiel die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft – bevor es gesetzliche Regelungen irgendwann gibt (wofür auch das IQWiG plädiert) – die Qualifikation ihrer Mitglieder durch Zertifizierungsmaßnahmen regelt. Und das diene jetzt schon der Patientensicherheit. Zu den Voraussetzungen für eine Zertifizierung gehören der Abschluss einer anerkannten Ausbildung, drei Jahre Praxis, Anerkennung der ethischen Richtlinien und im Laufe der Zeit Nachweise für eine kontinuierliche Fortbildung.

Wie erklären Sie sich die mehrfach entdeckte Verwischung oder gar Austauschbarkeit zwischen den Qualifikationen Ergotherapeut und Musiktherapeut, obwohl es sich leicht herausfinden lässt, dass es sich um zwei eigenständige Berufe handelt. Allein von der Ausstattung der Arbeitsplätze her benötigen diese Berufe doch ganz unterschiedliche Voraussetzungen!

Es ist die Sicht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, wenn die keinen Unterschied machen zwischen den beiden Therapierichtungen, dann fehlen Informationen über den Beruf Musiktherapie. Es ist die Sicht der Gesundheitspolitik, wenn sich zum Beispiel im Öffentlichen Dienst die Tarifregelungen von Künstlerischen Therapeut:innen an dem Bereich der Ergotherapie orientieren, obwohl beide sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen und unterschiedliche Kompetenzen erwerben. Aber vielleicht ist es manchen Arbeitgeber:innen auch egal, was sie an Therapie anbieten wollen?

Der wachsenden Zahl an Stellenanzeigen steht Ihre Vermutung gegenüber, dass der Bedarf an qualifizierten Musiktherapeut:innen zur Zeit nicht gedeckt werden kann, trotz zahlreicher – so meint man – akademischer und privater Ausbildungsangebote. Sie schließen daraus, dass Musiktherapeut:innen nach ihrem Abschluss in anderen Bereichen arbeiten, da diese lukrativer sind. Gilt dies möglicherweise für alle Künstlerischen Therapien – hohe Anforderungen an die Fachkräfte in Ausbildung und in der Praxis, aber vergleichsweise wenig Verdienst?

Das ist zu vermuten, dass dies für alle Künstlerischen Therapien zutrifft. Wichtig ist aber auch zu wissen, dass viele Stellenanzeigen nur Teilzeitstellen sind, und einige keine Festanstellungen anbieten. Etwa die Hälfte der von mir angeschauten Anzeigen betrifft das. Kann man damit ein ausreichend gut finanziertes Leben führen? Ich denke nicht.

Welche lukrativeren Berufe sind Ihrer Meinung nach die, in die qualifizierte Musiktherapeut:innen sozusagen abwandern?

Das sind zum Beispiel pädagogische Berufe, da verdient man oft mehr. Ich weiß auch von Kolleg:innen, dass sie in den IT-Bereich abgewandert sind. Das wäre jedenfalls eine genaue Untersuchung wert. Wenn jemand trotz erworbener therapeutischer Qualifikation etwas anderes macht, wird das den Beruf leider nicht stützen. Der Hintergrund ist ja aber auch, dass der Beruf gesetzlich nicht geregelt ist, dass also vom Gesetzgeber keine Anerkennung erfolgt. Und es kommt noch etwas dazu: In diesen Jahren gehen diejenigen, die seit den achtziger Jahren ausgebildet sind, in den Ruhestand. Das heißt, da wird sich eine weitere Lücke auftun….es wird also Stellen geben, bei denen Arbeitgeber:innen sich fragen könnten: Wenn ich keine:n Musiktherapeut:in bekomme, nehme ich halt ein anderes Medium…

Und wo sollte die DMtG als Berufsverband ansetzen, um an dieser Schieflage zu arbeiten?

Da sind mehr Organisationen gefragt. Ich denke, dass es in die Verantwortung von allen gehört, sich um die Berufssituation zu kümmern – von Ausbildungsträgern, und von Fach- und Berufsverbänden, auch von denjenigen, die eine Stelle verlassen. Da gilt es ganz persönlich anzufangen: Wenn jemand eine Stelle aufgibt oder erfährt, dass eine neue Stelle eingerichtet werden soll, dann sollte sie/er die Arbeitgeber:innen darauf aufmerksam machen, dass bestimmte Anforderungen an die Qualifikation beachtet werden sollten. Es bringt ja der Gesellschaft und dem Gesundheitswesen nichts, wenn jemand eine qualifizierte und interessante Ausbildung gemacht hat und dann nicht in den Beruf einsteigt…

Herr Bernius, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

Volker Bernius. Wohin führt der Beruf?  Eine Einlassung mit dem Blick auf aktuelle Stellenangebote. Musiktherapeutische Umschau, Band 45, Heft 3, 274-278.

Weitere Informationen über den Beruf Musiktherapeut:in

Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft www.musiktherapie.de.

Bundesarbeitsgemeinschaft Musiktherapie www.bag-musiktherapie.de.

Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien www.bagkt.de.

Eine tabellarische Übersicht der von der DMTG anerkannten Ausbildungen hier im Blog.

Informationen über Zertifizierung zum/zur “Musiktherapeut:in DMTG”

Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft – Qualitätssicherung www.musiktherapie.de/musiktherapie/qualitaetssicherung

 

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Bettina Eichmanns

Musiktherapeutin (DMTG, AIM), Musik­wissen­schaft­lerin, zertifizierte Seminarleiterin für Benenzon-Musiktherapie, freie Dozentin. Klinischer und Forschungs-Schwerpunkt: Einzel- und Gruppentherapie in den Bereichen Wachkoma und Gerontopsychiatrie. Musiktherapeutin in der Abteilung für Personen im Wachkoma der Fondazione Don Gnocchi Mailand.

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