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Interesse ja, Engage­ment nein! Zur Berufs­politik aus der Sicht von Musiktherapeut:innen

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Ein Interview mit Susan Müller von Volker Bernius

In den letzten Jahren haben sich die berufspolitischen Entwicklungen der Künstlerischen Therapeut:innen sehr erweitert. Das wird vor allem durch die Arbeit des Dachverbands deutlich, der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAGKT). Wie bewerten Künstlerische Therapeut:innen  die berufspolitischen Entwicklungen ihrer Berufsgruppe? Welches berufspolitische Wissen haben Sie?
Susan Müller hat in ihrer Abschlussarbeit an der Hochschule Fresenius eine Befragung durchgeführt. Für die aktuelle Ausgabe der Musiktherapeutischen Umschau (02-22) hat sie die Ergebnisse, die sie bei den Musiktherapeut:innen erfahren hat, in einem Originalbeitrag zusammengefasst. Volker Bernius hat die Autorin nach dem Hintergrund ihrer Arbeit und zu den wesentlichen Ergebnissen befragt – kurz zusammengefasst: Viele der befragten Therapeut:innen wissen nichts vom Ausschluss von Musik- und Tanztherapie der Heilmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA); sie interessieren sich für Berufspolitik, aber engagieren sich nicht.

Susan Müller Musiktherapeutin

Susan Müller ist Musiktherapeutin B.A. (zert. DMtG), Therapiewissenschaftlerin M.Sc., und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie arbeitet am Frühförder- und Beratungszentrum Jena des Herbert Feuchte Stiftungsverbunds. Dort arbeitet sie schwerpunktmäßig mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aus dem Autismus-Spektrum. Sie engagiert sich in der DMtG und in der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT).

 

Frau Müller, dem Beitrag in der Musiktherapeutischen Umschau liegt eine Untersuchung zugrunde, die Sie im Rahmen Ihrer Abschlussarbeit an der Hochschule Fresenius (M.Sc. Therapiewissenschaften) unternommen haben – wie viele tausend Daten haben Sie denn bearbeitet?

Aus den vier Interviews ergaben sich insgesamt 603 Textpassagen, die ich analysiert habe. Die Rohfassung des Online-Fragebogens umfasste 124 Variablen mit Antworten von 336 Personen – das waren dann etwas über 40.000 einzelne Daten…

Was war denn Ihre Motivation, das Thema Berufspolitik mit dem Fokus auf Künstlerische Therapien auszuwählen?

Die berufspolitische Situation der Heilmittelerbringer:innen – das war ein thematischer Schwerpunkt meines Masterstudiums im Fach Therapiewissenschaften. In einer Mixed-Methods-Studie haben wir die Bewertung der Arbeits- und Berufsbedingungen sowie das berufspolitische Engagement von Logopäd:innen, Podolog:innen, Ergo- und Physiotherapeut:innen untersucht.

Dieses Projekt hat mich motiviert, auch die berufspolitische Situation der Künstlerischen Therapeut:innen zu betrachten.

Konnten Sie denn an vorhandene Untersuchungen anknüpfen, vielleicht diese als Vorbild nehmen?

Es gab eine internationale Befragung von Kern und Tague aus dem Jahr 2017 zu den Arbeits- und Berufsbedingungen – von fast 2500 Musiktherapeut:innen beantwortet. Diese schätzten berufsrechtliche Regelungen als relevant ein, die bisherige Anerkennung der Musiktherapie aber als gering. Dann gab es 2014 eine Untersuchung von Oster und anderen zur Situation der Künstlerischen Therapien – auf der Website der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien ist das gut abgebildet (www.bagkt.de). Und Marianne Eberhard-Kaechele und Beatrix Evers-Grewe vermuteten in einem Beitrag in der Musiktherapeutischen Umschau 2018 bei vielen Künstlerischen Therapeut:innen in Deutschland eine Scheu vor dem berufspolitischen Ehrenamt, womöglich aufgrund mangelnder zeitlicher Ressourcen oder berufspolitischer Unerfahrenheit.

Ich wollte einen kleinen Beitrag zur weiteren Beschäftigung mit dieser Thematik leisten und habe mich für die gesamte Berufsgruppe der Künstlerischen Therapien entschieden, da ich deren Zusammenwirken in berufspolitischer Hinsicht als äußerst relevant einschätze.

Hat die Hochschule Sie bei Ihrem Projekt unterstützen können?

Prof. Dr. Alexander Wormit und Prof. Dr. Sabine Hammer, meine jeweiligen Studiengangsleiter:innen im Bachelor und Master, haben mich während der Abschlussarbeit betreut und bei der Umsetzung meiner Ideen unterstützt, wofür ich sehr dankbar bin!

Wie sind Sie allgemein vorgegangen? Können Sie die einzelnen Schritte kurz darstellen?

Die Studie wurde im Mixed-Methods-Design konzipiert…

… was heißt das?

Zunächst wurde eine qualitative Querschnittsuntersuchung mit explorativem Charakter durchgeführt. Dafür wurden durch einen Leitfaden gestützte Expert:inneninterviews geführt. Hier war die Sicht von Vertreter:innen künstlerisch-therapeutischer Berufsverbände auf die berufliche und berufspolitische Situation der Künstlerischen Therapeut:innen gefragt. Sie sollten möglichst umfangreiche Erfahrungen mit berufspolitischen Themen im Bereich der Künstlerischen Therapien mitbringen. Der Interviewleitfaden enthielt Fragen zu folgenden Themen: (1) Bewertung der Berufsbedingungen, (2) Beeinflussung der Berufsbedingungen, (3) berufspolitische Entwicklungen und (4) Engagement der Künstlerischen Therapeut:innen.

Sie haben dann die qualitative Befragung ausgewertet…

…mit der Software MAXQDA…

… und die Aussagen als Grundlage für den Online-Fragebogen genommen, vermute ich, also für die quantitative Befragung, wie gingen Sie da vor?

Bei der quantitativen Befragung handelte es sich ebenfalls um eine Querschnittserhebung mit explorativem Charakter. Mithilfe eines Online-Fragebogens wurden Künstlerische Therapeut:innen befragt, wie sie  ihre berufliche und berufspolitische Situation bewerten und wie sie  ihr eigenes berufspolitisches Engagement sehen. Die Befragung richtete sich an Berufstätige, Studierende und Auszubildende der Künstlerischen Therapien. Es wurden aber auch Personen einbezogen, die nicht (mehr) im Beruf tätig waren.

Ich nehme an, dass der Fragebogen, an den sich einige Leser:innen vielleicht noch erinnern, weil sie ihn beantwortet haben, doch etwas umfänglich war? Welche Themen haben Sie denn da aufgenommen?

Der Fragebogen gliederte sich in acht thematische Abschnitte: (1) Informationen zur Studie, (2) Angaben zur Person und Berufstätigkeit, (3) Sicht auf die Künstlerischen Therapien, (4) Bewertung beruflicher und berufspolitischer Aspekte, (5) Informationsstand hinsichtlich beruflicher und berufspolitischer Aspekte, (6) berufspolitisches Interesse, (7) berufspolitisches Verhalten und (8) Verbreitung des Fragebogens und freiwillige Ergänzungen. Die 46 Items des Online-Fragebogens wurden größtenteils auf Grundlage des Fragebogens des Projekts zur Situation der Heilmittelberufe (s.o.) sowie induktiv aus den zuvor durchgeführten qualitativen leitfadengestützten Expert:inneninterviews entwickelt. Im Beitrag in der MU 2-22 habe ich das weitere Vorgehen noch genauer beschrieben, weil doch etliche weitere statistische Untersuchungen nötig waren.

Ein wesentlicher Schritt war eine explorative Faktorenanalyse… … was kann man denn mit einer solchen Analyse erfahren?

Durch diese können miteinander korrelierende Variablen in wenigen thematisch zusammenhängenden Faktoren zusammengefasst werden. Dadurch war es möglich, das Antwortverhalten der Berufsgruppen auf verschiedene Themenbereiche statistisch zu vergleichen.

Abschließend wurden die Ergebnisse der beiden methodischen Stränge (qualitativ und quantitativ) auf ihre inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin betrachtet. Zudem wurden die Ergebnisse mit anderen Studien zu den Künstlerischen Therapien und anderen Berufsgruppen, vor allem den Heilmittelberufen, verglichen.

Das klingt nach einer ziemlichen Herausforderung gerade auch im Zusammenhang einer Masterarbeit und nötigt meinen großen Respekt ab! Sie haben vorhin schonmal die Berufsgruppenanalyse von Jörg Oster aus dem Jahr 2014 erwähnt, die auch in der Musiktherapeutischen Umschau abgebildet ist.  Was wollten Sie im Unterschied dazu besonders herausfinden?

Die Berufsgruppenanalyse Künstlerische Therapeutinnen und Therapeuten (BgA-KT) war eine wichtige Quelle für den theoretischen Hintergrund der Arbeit. Sie ist mit 2303 Teilnehmenden bislang die umfassendste Studie zur Situation der Berufsgruppe in Deutschland. Erfragt wurden neben den üblichen persönlichen Angaben folgende Themen: Rahmenbedingungen der Berufstätigkeit, Tätigkeitsbereiche, Angaben zu Patient:innen, Qualifikationen und qualitätssichernde Maßnahmen. Zudem wurden die Mitgliedschaft in Berufsverbänden und die Beteiligung an fachrelevanter Öffentlichkeitsarbeit erfragt, die als Aspekte des berufspolitischen Engagements betrachtet werden können.

Was haben Sie in Ihre Untersuchung darüber hinaus aufgenommen?

Das berufspolitische Wissen und die Bewertung entsprechender Entwicklungen waren nicht in die BgA-KT einbezogen. Diesen Themenbereich aber wollte ich schwerpunktmäßig untersuchen.

Welche Ergebnisse haben Sie erwartet und vorausgesehen?

Es war schon vorauszusehen, dass sich viele Künstlerische Therapeut:innen wenig berufspolitisch engagieren, sich nicht alle Therapeut:innen für berufspolitische Themen interessieren und darüber informieren. Das zeigte sich auch in den Ergebnissen. Das Interesse an Berufspolitik und das Engagement für Berufspolitik – das stellte sich als sehr unterschiedlich heraus, vielleicht kann man das auf den Nenner bringen: Interesse ja, Engagement nein.

Die Anerkennung der Künstlerischen Therapien wurde im mittleren Bereich eingeschätzt, am geringsten wurde die finanzielle Anerkennung angegeben. Auch das war wenig überraschend.

Was hat Sie besonders überrascht?

Negativ überrascht war ich darüber, dass es nur wenige Kenntnisse darüber gab, dass Musik- und Tanztherapie vom Ausschluss aus der Heilmittel-Richtlinie betroffen sind. Die Mehrheit der Musik- und Tanztherapeut:innen ist so gut wie nicht darüber informiert, obwohl sie ja davon betroffen sind! Da stellt sich mir auch die Frage, in welchem Umfang berufspolitische Themen in den Ausbildungen thematisiert werden. Eine Gruppe von etwa 20% war aber sehr gut darüber informiert – zumindest unter den Musik- und Tanztherapeut:innen. Die anderen Berufsgruppen wussten noch deutlich weniger darüber.

Wie wird denn der Ausschluss von Musik- und Tanztherapie aus der Heilmittel-Richtlinie begründet? Das hat ja verschiedene Folgen. Die eine ist, dass sich Krankenkassen darauf berufen, indem sie Versorgungsleistungen nicht ersetzen, eine andere ist, dass Anträge auf finanzielle Unterstützung bei Forschungen zum Beispiel nicht positiv beschieden werden.

Begründet ist dies vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem Gremium, in dem die Vertreter:innen der Ärzt:innen, der Krankenkassen und Einrichtungen des Gesundheitswesen sind und die über Zulassung oder nicht entscheiden, in der aktuellen Version mit mangelnder Evidenz über den therapeutischen Nutzen.

Das liegt ja nun schon Jahrzehnte zurück und trotzdem müssten ja Belege und Begründungen irgendwo auffindbar sein; haben Sie denn jemals eine weitere Begründung bzw. aktuelle Belege gefunden, die der G-BA außer der allgemeinen Feststellung aufführt?

Das ist eine ganz allgemeine Festlegung, die der G-BA, beziehungsweise die Vorläuferorganisation, zu Beginn der Festlegung im Jahr 1982 getroffen und sowohl 1992 als auch in den weiteren 30 Jahren danach immer wieder bestätigt hat. Die Heilmittel-Richtlinie (Heil-M RL) wird ja regelmäßig erneuert für die Heilmittelberufe (zu denen Musik- und Tanztherapie nicht gehören) und der Ausschluss wird dabei immer wieder erneuert – ohne, dass dazu irgendetwas Schriftliches vorhanden ist und damit nachvollziehbar wäre…

Lutz Neugebauer vom Vorstand der DMtG bezeichnet das ja immer als gesundheitspolitischen Skandal…

Neugebauer hat recht, denn man muss ja sehen, dass sich im Grunde alles, was Musiktherapie betrifft, in den 40 Jahren geändert hat. Wenn es aber keine Aussagen dazu vom G-BA gibt, dann ist es ja auch schwer zu argumentieren. In der Zwischenzeit gibt es viele Belege zur Wirksamkeit, die vor ein paar Jahren vom IQWiG und anderen in Gutachten sowie auch in Cochrane Reviews veröffentlicht wurden.

Diesen Sachverhalt habe ich im Editorial der MU in der ersten Ausgabe 2022 nochmal aufgegriffen und beschrieben. Ich denke, Musiktherapeut:innen müssen immer wieder auf diese Widersprüche hinweisen…

Dabei ist auch unklar, ob jede Therapie für sich oder eine Kombination beider Formen gemeint ist. Diese Festlegung ist aber absolut nicht nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass für die Musiktherapie mehr Studien bestehen als für alle anderen Bereiche zusammen. Insofern kann Musiktherapie als der Fachbereich der Künstlerischen Therapien angesehen werden, der bislang am umfassendsten wissenschaftlich untersucht wurde. Ursprünglich wurde der Ausschluss damit begründet, dass Musik- und Tanztherapie keine Heilmittel seien.

Sind denn Musik, Tanz und Kunst als Heilmittel zu bezeichnen?

Das wird ja auch immer wieder diskutiert – im Grunde nicht. Der Dachverband der Künstlerischen Therapien, die Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT), veröffentlichte im Zusammenhang der Bundestagswahl 2021 das Positionspapier „Integration Künstlerischer Therapien in das Gesundheitswesen“.  Darin wird begründet gefordert, dass es auch im ambulanten Sektor einen geregelten Zugang für Künstlerische Therapien geben muss, zum Beispiel durch eine eigene Richtlinie. Jede:r Interessent:in soll einen gesetzlich finanzierten Zugang zu den Künstlerischen Therapien haben können – genauso wie dies in Krankenhäusern seit Jahrzehnten der Fall ist.

Für den Beitrag in der Musiktherapeutischen Umschau haben Sie den Schwerpunkt Musiktherapie gewählt – entsprechend der Zielgruppe der Zeitschrift. Wenn Sie nun diese Ergebnisse mit denen der Kunst-, Tanz-, Theater- und Eurythmietherapeut:innen vergleichen, welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten haben Sie festgestellt?

Die Künstlerischen Therapeut:innen waren sich einig, dass ein Zusammenschluss zum Verfolgen berufspolitischer Ziele sinnvoller sei als wenn eine Berufsgruppe allein vorgeht, sich nur für ihren Beruf einsetzt und die Berufsgruppen unabhängig voneinander agieren. Dieses Ergebnis war statistisch hochsignifikant und das spricht dafür, wie wichtig die Arbeit der BAG KT ist.

Trotz dieser Gemeinsamkeit im berufspolitischen Vorgehen – gibt es denn auch Unterschiede im Verständnis des Berufs?

Die Befragten sahen die Künstlerischen Therapien grundsätzlich als eigenständiges therapeutisches Verfahren an. 3/5, also mehr als die Hälfte der Künstlerischen Therapeut:innen, orientieren sich dabei eher an psychotherapeutischen Verfahren, weitere 1/5 an künstlerischen Verfahren.  Auffällig war, dass vor allem die Tanz- (77.8%), Theater- (75%) und Musiktherapeut:innen (69.9%) die psychotherapeutische Orientierung angaben, jedoch kaum Eurythmietherapeut:innen (5.3%). Diese sahen die Therapien eher als künstlerische (36.8%) oder sonstige (28.9%) Verfahren an, worunter unter anderem medizinische und physiologische Ansätze zusammengefasst wurden. Von den Kunsttherapeut:innen wurden primär die psychotherapeutische (47.1%) und künstlerische (30%) Orientierung angegeben. Das zeigt, denke ich, dass doch einige methodische Unterschiede zwischen den Berufsgruppen bestehen.

Wenn Sie jetzt das Interesse und das Engagement an Berufspolitik nochmal anschauen und die Berufsgruppen miteinander vergleichen, ist eine Berufsgruppe interessierter an Berufspolitik als andere?

Hinsichtlich des berufspolitischen Interesses zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Berufsgruppen. Das berufspolitische Engagement der Theatertherapeut:innen war signifikant geringer als das der Musik- und Tanztherapeut:innen.

Die befragten Musiktherapeut.innen sprachen sich aber gegenüber den Kunst- und Theatertherapeut:innen signifikant stärker für eine berufspolitische (Mit-)Verantwortung der Therapeut:innen selbst aus.

Die Eurythmietherapeut:innen schätzten die Relevanz von Ausbildungsstandards und darin enthaltenen praktischen Inhalten sowie Selbsterfahrung signifikant geringer ein als alle anderen Berufsgruppen. Zudem sprachen sie den Berufsverbänden und der BAG KT signifikant weniger Verantwortung für berufspolitische Veränderungen zu als die Musik-, Tanz- und Theatertherapeut:innen.

Woran liegt es nach Ihrer Ansicht, dass die Eurythmietherapeut:innen so eine andere Einschätzung haben?

Das könnte daran liegen, dass einige Gesetzliche Krankenversicherungen die Kosten ambulanter Eurythmietherapie erstatten – als Heilmittel der Besonderen Therapierichtungen oder im Rahmen der Integrierten Versorgung Anthroposophischer Medizin. Eine der Voraussetzungen für die Kostenerstattung ist die Mitgliedschaft im Berufsverband Heileurythmie, der die Ausbildungsstandards des sechsjährigen Studiums der Eurythmietherapie festlegt. Eine mögliche Interpretation kann sein, dass sie die bestehenden Ausbildungsstandards als selbstverständlich wahrnehmen und deren Relevanz geringer bewerten als andere Berufsgruppen, in denen keine einheitlichen Standards bestehen. Aufgrund der bestehenden Regelungen könnten sie möglicherweise auch einen geringeren Veränderungsbedarf sehen.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus dem Ergebnis? Welche Erkenntnisse und Forderungen an die einzelnen Berufsgruppen haben Sie?

Künstlerische Therapeut:innen sehen primär berufspolitische Organisationen in der Verantwortung für berufspolitische Veränderungen und befürworten ein fächerübergreifendes Vorgehen unter dem Dach der BAG KT. Es scheint unrealistisch, die Mehrheit der Künstlerischen Therapeut:innen zum berufspolitischen Engagement motivieren zu können – eigener Angaben nach vor allem aufgrund von Zeitmangel und anderen Prioritäten wie der Arbeit mit Patient:innen. Der Aufbau von professionellen Strukturen zur Ausübung von Berufspolitik innerhalb der BAG KT könnte sich zukünftig als sinnvollere Strategie erweisen…

… das heißt konkret?

In der BAG KT sind die verschiedenen künstlerisch-therapeutischen Fachbereiche vertreten. Sie setzt sich für eine weitere Professionalisierung, Qualitätssicherung und Sichtbarkeit im Gesundheitswesen ein. So können wir – die Künstlerischen Therapeut:innen – als große gemeinsame Berufsgruppe auftreten und haben eine größere Chance, unsere berufspolitischen Ziele zu erreichen.

Dennoch empfinde ich es als notwendig und hoffe, dass sich zunehmend mehr Künstlerische Therapeut:innen berufspolitisch informieren und engagieren – vor allem, weil sie den Veränderungsbedarf sehen.

Wie könnten denn Kolleg:innen in berufspolitische Aktivitäten einsteigen, wenn sie sich dafür stark machen wollen, was würden Sie empfehlen? Berufspolitik ist ja durchaus etwas Praktisches und kein Geheimwissen…

Wer sich gerne engagieren würde, aber unsicher über die Möglichkeiten der Mitwirkung ist, kann sich bei den Berufsverbänden oder der BAG KT informieren. Ich persönlich habe mich jeweils wertgeschätzt, willkommen und gut eingearbeitet gefühlt!

Was sollte sich in den nächsten Jahren ändern und wie wäre das – aus Ihrer Sicht – zu organisieren?

Eine berufsrechtliche Regelung sollte geschaffen und der Heilmittelausschluss der Musik- und Tanztherapie aufgehoben werden – dafür setzen sich die DMtG und BAG KT bereits sehr engagiert ein.

Danke für das Gespräch!

Sehr gerne – und vielen Dank für die Möglichkeit, dass ich weitere Ergebnisse darstellen konnte!

Literaturauswahl:

Eberhard-Kaechele, M., & Evers-Grewe, B. (2018). Die Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien: Erkenntnisse, Ergebnisse, Erfordernisse – zwischen Wissenschaft, Praxis und Berufspolitik. Musiktherapeutische Umschau, 39(4), 388–399.

Kern, P., & Tague, D. B. (2017). Music therapy practice status and trends worldwide: An international survey study. Journal of Music Therapy, 54(3), 255–286. https://doi.org/10.1093/jmt/thx011

Müller, S., Hammer, S., & Wormit, A. F. (2022). Berufspolitik aus der Perspektive von Musiktherapeut.innen. Musiktherapeutische Umschau, 43(2), 113-123. https://doi.org/10.13109/muum.2022.43.2.113

Oster, J. (2014). Berufsgruppenanalyse Künstlerische Therapeutinnen und Therapeuten (BgA-KT): Ergebnisbericht. Ulm: Universität, Open Access Repositorium. http://dx.doi.org/10.18725/OPARU-3840

 

Volker Bernius

Volker Bernius

Volker Bernius, Studium der Theologie, Musik, Psychologie. Seit 1979 Redaktionsmitglied der Musiktherapeutischen Umschau, ab 1986 Chefredakteur, Beisitzer im Vorstand der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft: Von 1981 bis 2015 Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsredakteur Hessischer Rundfunk, Mitgründer und Fachbeirat der Stiftung Zuhören, Journalist, Autor, Herausgeber, Dozent.

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