Filmrezension Musikfilme aus musiktherapeutischer Sicht vonHaffa-Schmidt Back

Die zwei von der Filmstelle:
“Annette”

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Wenn die beiden Musiktherapeutinnen Christine Back und Ulrike Haffa-Schmidt in Nürnberg ins Kino gehen, setzen sie ab und zu ihre Musiktherapeutenbrille auf. Dabei entdecken sie immer wieder interessante Berührungspunkte zu ihrem Berufsfeld.

Annette

  • Erscheinungsjahr: 2021
  • Dauer: 140 Minuten
  • Regie: Leos Carax
  • Darsteller: Adam Driver, Marion Cotillard, Simon Helberg, Devyn McDowell
  • Genre: Musicalfilm
  • Produktionsland: Frankreich, USA, Mexiko, Deutschland, Belgien

Film und Musik als Projektionsfläche

In den Ankündigungen als „Publikumsspalter, wie er im Buche steht“ bezeichnet, waren Ulli und ich natürlich besonders neugierig auf den Film – und ja, der neue Musicalfilm des französischen Regieprovokanten Leos Carax ist nicht ohne.

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Doch zunächst zum Inhalt: Der erfolgreiche Comedian Henry McHenry, überzeugend gespielt von Adam Driver, schlägt auf den Bühnen von Los Angeles mit seinem Programm mächtig über die Stränge. Seine Frau Ann, ebenfalls überzeugend in Szene gesetzt von Marion Cotillard, steht als umjubelte Opernsängerin im Rampenlicht. Mit der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Annette beginnt für das glamouröse Künstlerpaar ein neuer Abschnitt und die romantische Liebesgeschichte kippt in eine düstere amour fou. Bald rasen die beiden auf einen Abgrund aus Liebe, Tod, Selbstzweifel und Wahnsinn zu, und der Zuschauer wird Zeuge von so ziemlich allem, was uns Menschen ausmacht, mit dem was wir an uns mögen, aber auch mit dem, was wir so gar nicht an uns haben wollen.

Der Film ist ein Musicalfilm und fast alle Dialoge und Texte werden gesungen. Die erste Szene spielt in einem Tonstudio. Leos Carax sitzt selbst am Mischpult und fragt in den Aufnahmeraum: „So may we start?“ Im Aufnahmeraum sitzen u.a. Ron und Russell Mael, die beiden Brüder des Art-Rock-Duo Sparks, die für die Texte und die Musik des Musicals verantwortlich zeichnen. Sie übernehmen musikalisch die Frage, stehen von ihren Instrumenten auf und laufen in die Kulisse des Films, die sich immer mehr mit den wichtigen Protagonisten füllt. Der Film entwickelt sich also aus der Musik heraus. Und sie begleitet und transportiert die gesamte Geschichte, teils mit voller Wucht und teils zart wie ein Hauch, mal klischeehaft bis hin zum Kitsch und mal nur als Geräusch. Mal nimmt sie so viel Fahrt auf, dass die Bilder Mühe haben, hinterherzukommen und dann bleibt sie in reduzierten trivialen Motiven stecken, die sich anhören, als wenn eine Platte hängen bleibt. Und mit den Bildern ist es nicht anders. Der Film strotzt vor Bildsymbolen, mal demonstrativ dem Zuschauer vor die Augen geknallt, mal naiv trivial und dann wieder tiefsinnig, nur in einem Augenschlag zu erspüren. Die Texte dagegen halten den Kinogänger an Gedankenkonzentraten fest. Wortphrasen werden von Henrys Publikum wie von einem Chor in der altgriechischen Antike skandiert. Sätze werden zigmal wiederholt, werden von anderen Personen oder zu anderen Bildern gesungen oder werden durch die Musik kontrastiert. So müssen die Texte vom Kinobesucher mit immer wieder neuen Inhalten gefüllt werden. Und dass die Tochter von Henry und Ann den Namen Annette trägt hat natürlich auch seinen Sinn…

Leos Carax’s Film Annette ist eine einzige Projektionsfläche für das, was jeder Einzelne darin finden oder eben auch dort im Film loswerden will. Und dies hat Leos Carax wahrscheinlich auch selbst getan, denn der Film weist auf etliche autobiographische Parallelen hin. Und damit wird der Film für Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten zu einer 140 Minuten Fortbildung zum Thema Symbolik.

Fazit: Sehr sehenswert.

Für euch noch entdeckt:

  • Sing me a song vom Dokumentarfilmer Thomas Balmès, über die Auswirkungen der modernen Technologie auf einen jungen buddhistischen Mönch.
  • Neu-Verfilmung der Westside Story vom Regisseur Steven Spielberg,
  • Animationsfilm Sing 2 – Die Show deines Lebens.
Christine Back

Christine Back

Christine Back ist Musiktherapeutin, Lehrmusiktherapeutin (DMtG), Heilpraktiker für Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz (HPG). Tätigkeit in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Martha-Maria-Krankenhaus Nürnberg, div. Lehrtätigkeit, selbständige Musikerin und Komponistin.

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