Musik wirkt. Wir alle kennen das. Sie begeistert und berührt. Sie fasziniert und lässt uns mitwippen und –klatschen und weckt Erinnerungen. Musik bedeutet Ausdruck, Kommunikation, Freude und lässt viele Dinge manchmal einfacher erscheinen. Es ist möglich, auf unterschiedlichen Entwicklungsebenen schon im frühesten Alter mit musikalischen Elementen zu improvisieren, sie gezielt in die Förderung einzusetzen, ohne Kindern ein Gefühl des Übens vermitteln zu müssen. Vielmehr entwickelt sich durch das gemeinsame Musizieren, Singen oder durch elementar-rhythmische Angebote ein freudvoller Umgang mit neuen Lerninhalten. Besonders im Bereich der Sprachförderung und -therapie ist es lohnenswert, mit vielfältigen musikalischen Inhalten Wortschatz, Artikulation, Grammatik sowie Kommunikationsverhalten spielerisch zu fördern.
Griff in die Schatzkiste
Manchmal fühlt sich Musik an wie eine große Schatzkiste. Wenn ich ein Kind in einer logopädischen Therapiestunde mit Klanggeschichten, Bewegungsliedern, Instrumenten und lustigen Rhythmikspielen begeistern kann, dann weiß ich, dass der Griff in die Schatzkiste richtig war. Es gibt viel zu entdecken in dieser Kiste – selbst gebastelte Instrumente, bunte Glockenspiele, Rasseln und Trommeln, quietschend-quakende Tiere, Liederbücher und Noten, Ukulele und Kazoo, Tücher zum Toben und Instrumente, die alle Sinne anregen. Musikalische Elemente sind für mich in der Therapie von Sprachentwicklungsverzögerungen und -störungen, als auch von Redeflussstörungen (Stottern, Poltern) nicht mehr wegzudenken.
Unsere Sprache verfügt über alle musikalischen Elemente und ist somit der Musik näher, als uns wohl zu mancher Zeit bewusst ist. Atembewegungen haben einen bestimmten Rhythmus, Atemgeräusche sind manchmal laut, manchmal leis (Dynamik). Wir sprechen schnell und auch langsam (Tempo) und haben unsere ganz eigene Melodieführung. Sehen wir einen Zusammenhang zwischen diesen musikalischen Elementen und verbalen Fertigkeiten, so lässt sich daraus schlussfolgern, dass bei Störungen der altersgerechten Sprachentwicklung auch Defizite in einem dieser der Musik zugeordneten Bereiche vorliegen, auch wenn man dies nicht konkret in diesem Zusammenhang benennt.
Musiktherapie im logopädischen Setting
Im logopädischen Setting von Patient.innen mit Sprachentwicklungsverzögerungen und -störungen lohnt es sich, musikalische Elemente in die verschiedenen Übungsbereiche (je nach Störungsbild) einzubeziehen. Ich betone, dass Musiktherapie keine Sprachtherapie ersetzen kann und umgekehrt. Doch die vielfältigen Wirkungen von Musik auf Kinder zeigen, dass sich Instrumente, Lieder und Co. positiv auf den Sprachentwicklungsprozess auswirken können. Wichtig hierbei ist, dass für den zu beübenden Bereich eine Methode ausgewählt wird, die anschließend mit musiktherapeutischen Impulsen bereichert werden kann. Folgende Bereiche werden innerhalb der Logopädie bei Sprachentwicklungsstörungen und -verzögerungen behandelt:
Phonologische Bewusstheit & Sprachverständnis
Der Bereich rund um die phonologische Bewusstheit beschäftigt sich mit der Hörwahrnehmung und -verarbeitung. Es geht um auditive Aufmerksamkeit, als auch Differenzierung unterschiedlicher Geräusche, Klänge, Tonhöhen und Sprachlaute. Nur dann, wenn der/die Patient:in in der Lage ist, verschiedene Sprachlaute voneinander zu unterscheiden, kann ein Artikulationstraining Erfolge zeigen. Hier lässt sich ganz klar sagen, dass die Arbeit mit unterschiedlichen Instrumenten, Klanggeschichten und Hörübungen eine großartige Bereicherung ist. Fertigkeiten in diesem Bereich stellen das Grundgerüst für ein einwandfreies Sprachverständnis dar.
Basisfähigkeiten
Zu diesem Bereich zählen u.a. Konzentration, Aufmerksamkeit, Tonusregulation, Wachheit, Grob- und Feinmotorik, Raum-Lage-Wahrnehmung oder auch die Hörfähigkeit. Die genannten Basisfähigkeiten sind Voraussetzung für einen altersgerechten Spracherwerb, denn Sprachentwicklung passiert nicht, indem lediglich die Zunge verschiedene Bewegungen ausführt. Sprechenlernen ist ein ganzheitlicher Prozess auf allen Ebenen der bio-psycho-sozialen Einheit des Menschen. Um die Basisfähigkeiten zu trainieren, lassen sich Bewegungslieder, Klatschspiele, Spiegelbildtänze, Kreistänze oder auch rezeptive Musiktherapiemethoden einbinden.
Mundmotorik
Logopäd.innen trainieren in vielen Fällen mundmotorische Bewegungsmuster, um eine Basis für artikulatorische Bewegungen zu schaffen. Hier bieten verschiedene Instrumente Hilfe – von Blasinstrumenten (Flöten, Kazoo) über Beatboxen bis hin zum Singen lustiger Lieder an, in denen verschiedene Modulationen der Lippen- und Zungenbewegungen vorgenommen werden.
Artikulation
Das Aussprechen verschiedener Vokale, Konsonanten und Konsonantenverbindungen wird in der Logopädie geübt. Wir Logopäd.innen gehen da ganz klassisch vor und haben vielseitige Methoden an der Hand. Doch um auch hier über den Tellerrand hinauszublicken ist es möglich, diesen Bereich mit musikalischen Mitteln anzureichern. Ein neu erlernter Laut angebahnt, so kann man zum Beispiel den Text eines bekannten Kinderliedes durch eine Pseudosilbe (Quatschsilbe) ersetzen. Das Lied „Alle meine Entchen …“ würde dann also nur auf den Silben mit dem neu erlernten Laut gesungen (z.B. „Ta Ta Ta Ta Ta ….“ oder „So So So So So …“). Wie wäre es denn außerdem mit „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“?
Rhythmus
Sprachrhythmus ist hier das zentrale Wort! Statt Silben zu klatschen nutze ich sehr gern Instrumente zum Silbensegmentieren. Anschließend kann ich gleich eine Übung zur Imitation von verschiedenen Rhythmen einbauen, um die Hör-Merk-Spanne zu fördern und die Imitationsfähigkeit anzuregen. Es gibt tatsächlich viele Kinder, die neben und gerade aufgrund ihrer sprachlichen Einschränkungen auch rhythmische Schwierigkeiten aufzeigen.
Wortschatz
(Kinder)Lieder dienen der Einführung eines bestimmten Themas. Wird zum Beispiel ein neues semantisches Feld in die Wortschatzarbeit eingeführt, so lassen sich Themenlieder hierbei qualitätsvoll einsetzen. Themenlieder umfassen z.B. Farben, Berufe, Jahreszeiten, Tätigkeiten, Körperteile usw. Auch hier dienen musikalische Elemente der Stabilisierung, Erweiterung und Anreicherung dieses Übungsbereiches mit neuen Inhalten.
Die ganze Bandbreite an Übungen, Informationen und Hintergrundwissen findet sich übrigens in meinem Onlinekurs mit dem Kurstitel Musiktherapeutische Elemente in der logopädischen Kindersprachtherapie in der Online-Akademie memole®.
Fazit
Logopädie und Musiktherapie – viele gemeinsame Schnittpunkte und doch verschieden. Es lohnt sich, zur Behandlung von Sprech-, Sprach-, Stimm- und Hörstörungen Elemente aus der aktiven und rezeptiven Musiktherapie einfließen zu lassen und sich seine ganz eigene „Therapieschatzkiste“ mit neuen „Schmuckstücken“ zu erweitern. Doch auch hierbei steht wieder im Vordergrund, dass es nicht darum geht, ein bisschen zu klimpern (ich schreibe es etwas plump), sondern Angebote mit Musik gezielt einzusetzen, um daraus für unsere jungen und erwachsenen Patient.innen einen Nutzen ziehen zu können und ihnen auf dem Weg zur Stärkung ihrer Gesundheit und zum Entdecken eigener Ressourcen bieten zu können. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass sich Musik & Klang nicht nur als positive Wirkfaktoren in der Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen zeigen, sondern auch weit darüber hinaus im Feld der neurologischen, dementiellen und stimmtherapeutischen Therapiefelder.
Header-Foto: memole Akademie.
Dieser Beitrag hat 4 Kommentare
Hallo Frau Grohmann,
als Musiktherapeutin in einer Rehaklinik habe ich mit Interesse Ihren Beitrag gelesen.
Seit Mitte diesen Jahres werden bei uns Kinder im logopädischen Setting behandelt.
Darf ich einige Textbausteine und die tolle Grafik aus ihrem Blog für konzeptionelle Arbeit in unserer Klinik verwenden?
Viele Grüße
Mechthild Wrede
Liebe Frau Wrede,
entschuldigen Sie die verzögerte Antwort! Ich freue mich über Ihr Interesse. Sehr gern können Sie einige Textbausteine nutzen. Die Grafik sende ich Ihnen direkt per e-Mail zu, sodass Sie sie in hoher Auflösung haben. Bitte schauen Sie in Ihr Postfach. Herzliche Grüße, Maria Grohmann
Hallo Frau Grohmann. Ich bin in der Ausbildung zur Erzieherin und habe mit großem Interesse Ihren Eintrag gelesen.
In meiner Facharbeit möchte ich mich mit dem Thema ” Musik als Förderung bei Kinder mit der Sprachbeeinträchtigung Stottern”. Hätten Sie einen guten Tip für ein Fachbuch zu meinen Recherchen?
Viele Grüße
I. Heide
Liebe Frau Heide, ich freue mich über Ihr Interesse. Das Thema, das Sie sich gewählt haben, klingt spannend und ist sehr wichtig. Schauen Sie doch gern einmal in das Buch “Musiktherapie bei Sprach- und Kommunikationsstörungen” von Stephan Sallat. Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen.
Herzliche Grüße,
Maria Grohmann