Musiktherapie und Coronakrise

Wie erleben Musiktherapeuten die Covid 19-Pandemie?
Vier Antworten 4

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Die aktuelle Situation ist aufgrund des Umgangs mit der Corona-Pandemie für jeden herausfordernd, weil sie Leben und Arbeit verändert: Nicht nur Improvisation ist gefragt, sondern auch Geduld, Achtsamkeit und Phantasie.

Wir haben einige Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten angeschrieben und jeweils vier Fragen gestellt. Entstanden sind aktuelle Bestandsaufnahmen der letzten Monate. Sie können Anregungen und Hinweise geben für den Umgang mit den neuen Gegebenheiten und Problemen, mit denen wir alle so oder ähnlich konfrontiert sind.

Die persönlichen Einblicke dürften auch Ausblicke auf eine sich vielleicht verändernde – erneuernde? -Musiktherapie sein.

In diesem vierten Teil der Umfrage antworten: Holger Selig, Ursula Senn, Britta Sperling, Stephanie Scaleppi, und Daniela Goebel.

Vier Fragen an ... Holger Selig (Hamburg)

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Holger Selig
01 Was hat sich in Ihrem Leben seit Corona verändert?

Mit Beginn der Pandemie war unsere Familie plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen. Wir hatten dabei das Glück, dass weder meine Frau noch ich mit Homeoffice beschäftigt waren, so dass wir tatsächlich „frei“ hatten. Außerdem ist unsere Tochter alt genug, so dass auch sie die Situation einigermaßen aushalten konnte. Ohne es verklären zu wollen – wir konnten die Zeit als Familie also durchaus miteinander genießen.

Was sich sehr veränderte, war mein Verhältnis zur Musik. Der Lockdown traf mich in einer Phase, als ich begann, mich auf zwei Soloauftritte als Sänger und Pianist vorzubereiten. Nachdem diese abgesagt werden mussten, verlegte ich mich zunächst aufs freie Improvisieren und veröffentlichte jede Woche eine „Corona-Improvisation.“ Doch mit der Zeit wurde es stiller – die Inspiration blieb aus, andere Dinge traten in den Vordergrund. So habe ich im Moment ein distanzierteres Verhältnis als sonst zur Musik. Das ist allerdings keine Veränderung, die mich beunruhigt, ich beobachte es eher mit Interesse.

Verändert hat sich auch meine Haltung zu solch philosophischen Fragen wie Vergänglichkeit, Selbstbestimmung, Tod, Krankheit. Ich war überrascht von einer gewissen Gelassenheit, mit der ich das, was da auf uns zukam, annehmen konnte. Wenn das so bliebe, wäre das ein Gewinn für mich.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Kurz gesagt: Alles!

Als Freiberufler erreichten mich im März in kurzer zeitlicher Abfolge Telefonanrufe sämtlicher Auftraggeber, die mich für unbestimmte Zeit aus ihren Häusern „ausluden.“ Ich bin ganze 128 Tage im Lockdown gewesen und erst seit Mitte Juli wieder bei meinem größten Auftraggeber im Geschäft.

Somit gehörte ich über vier Monate zu jenen Solo-Selbstständigen, die auf Grundsicherung angewiesen waren. Wenn ich auch die ersten Tage von Existenzängsten heimgesucht wurde, stellte sich dann doch rasch eine Beruhigung ein. Ich erkannte, dass ich das Schicksal Millionen anderer Selbstständiger teilte und dass ich ohne Angestellte und horrende Fixkosten  noch ziemlich gut dran war. Von der Regierung fühlte ich mich ausreichend unterstützt.

Ein soziokulturelles Projekt, das ich mit Patienten der Psychiatrie starten wollte, kann ich nun leider vorerst nicht umsetzen. Die Situation erscheint mir nicht stabil genug, ich werde mit diesem Personenkreis nichts starten, was ich nicht sicher aufrechterhalten kann! Das ist einerseits schade, denn die Planung stand Mitte März vor ihrem Abschluss. Andererseits ist es auch ein Segen, dass ich noch nicht gestartet war – die Aktivitäten in der Startphase wieder runterfahren zu müssen, wäre eine Katastrophe gewesen.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Chancen der Musiktherapie anders aussehen als vor der Pandemie. Für mich persönlich war es nach meiner Rückkehr in die Arbeit gut zu hören, wie sehr die Musiktherapie den Stationen gefehlt hat – andererseits war sie offenbar aus der Perspektive der Entscheider monatelang verzichtbar. In diesem Spannungsfeld zwischen hoher inhaltlicher Anerkennung und institutionell mangelhafter Verankerung wird sie erst einmal weiter bleiben.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Meine Wünsche sind da nicht besonders originell: ein Berufsgesetz, verbunden mit ambulanten Abrechnungsmöglichkeiten und der zwingenden Verankerung in einigen stationären Bereichen, wahrscheinlich im Verbund mit anderen Therapien aus dem künstlerischen Spektrum, wäre schön und angesichts der Kompetenzen, die wir als Berufsstand inzwischen auf uns vereinen, auch mehr als angemessen.

Vier Fragen an... Ursula Senn, Wiesbaden

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Ursula Senn

Zunächst wirkte der Lockdown wie eine „Vollbremsung”. Als Honorarkraft in mehreren Einrichtungen wurden schlagartig alle Therapien abgesagt; es gab keine Treffen mehr, keinen Zugang zu den Einrichtungen. Nur der telefonische Kontakt blieb. Angebotene Ausgleichszahlungen beruhigten meine Nerven. Ein faires Angebot meiner Auftraggeber: Wertschätzung.

Somit blieb viel Zeit für Hausmusik, kreativ zu werden und Ideen für neue Kommunikationswege zu entwickeln. Verbunden mit den täglichen Bildern über die weltweite aktuelle Corona-Situation, stellte sich bei mir dennoch ein Gefühl von Ungewissheit, Lähmung und Schwere ein. Eine gute Erfahrung war, dass das Musizieren und die intensive Beschäftigung mit meinem Lieblingsinstrument in den eigenen Räumen eine wohltuende Lebendigkeit bewirkte. Mitunter sogar „ansteckend” für Familie und Freunde.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Anstatt Musiktherapie in den Einrichtungen entwickelte ich „walk & talk” im Park und Wald, therapeutische Gespräche und Einzelangebote per Video-Konferenz. Angebote, die von den Klienten dankbar angenommen und von den Kollegen/innen erfreulicherweise sehr unterstützt wurden. Abgerundet wurden diese Angebote beispielsweise durch Video-Gesprächs-Konzerte.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Klienten/innen und Kollegen/innen vermissen die „richtige” Musiktherapie. „Jetzt mit Ihnen gemeinsam zu trommeln, das wär’s…!”, so eine Klientin während des walk & talks im Wald.

Eine Chance bietet sicherlich das weitere Einbeziehen dieser neu-entwickelten Angebotsformate in die bisherige Form von Musiktherapie.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Mehr Miteinander, mehr berufspolitische Anerkennung.

Vier Fragen an... Britta Sperling, Dülmen

Britta Sperling Musiktherapeutin Vier Fragen

In meinem ganz persönlichen Lebensgefühl hat sich recht wenig verändert, da ich bereits vor der Coronasituation einen eher introvertierten und familienbezogenen Lebensstil gepflegt habe. Großveranstaltungen, größere Feierlichkeiten oder Menschenansammlungen fehlen mir so gesehen gar nicht. Viel Zeit zu Hause und / oder in der Natur, das Pflegen sehr inniger und tiefgründiger Freundschaften in Einzelkontakten – all‘ das hat mich eher in den für mich sowieso schon zentralen Wertvorstellungen bestätigt und diese sogar noch verstärkt. Zu Beginn des Lock Downs war sogar das Gefühl von jeglicher (äußerer) Verpflichtung befreit zu sein eine bemerkenswerte Erfahrung.

In der Zeit der Schul- und Kitaschließungen sind wir in unserer Familie – ungewollt aber nicht anders möglich – in die „klassische Rollenverteilung“ gerutscht. Da ich zunächst sowieso nicht mehr arbeiten konnte, habe ich den vierjährigen Sohn zu Hause betreut. Das hat mich streckenweise sehr angestrengt und auch unzufrieden gemacht und mir gleichzeitig aufgezeigt, wie sehr das Familiensystem von heute (mit 2 berufstätigen Elternteilen) auf eine funktionierende Kinderbetreuung angewiesen ist.

Insgesamt würde ich sagen, dass ich den fundamentalen Lebensthemen ein Stückchen näher gerückt bin…

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Ich hatte mir bereits im vergangenen Jahr neben meiner freiberuflichen Tätigkeit als Musiktherapeutin begonnen ein zusätzliches Standbein mit einem eigenen Onlinebusiness bzw. privaten Praxisräumen für Psychologische Beratung aufzubauen. Da war ich der Krise sozusagen ein halbes Jahr voraus. Ich verdiente mein Haupteinkommen zu Beginn der Corona Krise zwar nach wie vor in der aufsuchenden musiktherapeutischen Arbeit in Wohn- und Pflegeheimen, hatte aber bereits begonnen Klienten Online zu beraten, einen Instagram Account zu pflegen und einen Podcast zu produzieren.

Dass die ambulante Arbeit mit einem Schlag weggebrochen ist, war sehr bitter und wäre als Einzelverdiener eine Katastrophe gewesen. Da ich durch die staatliche Soforthilfe und meinen Mann aber existenziell abgesichert war, konnte ich die Zeit weiter in den Aufbau der Onlinearbeit investieren. Für die Einrichtungen, zu denen ich den Kontakt auf jeden Fall halten wollte, bin ich in die Gärten gefahren und habe (teils ehrenamtliche) Gartenkonzerte gegeben.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Es ist für mich schwer vorstellbar, die musiktherapeutische Arbeit, so wie sie bisher im institutionellen Rahmen vielfach angeboten wurde, unter Einhaltung der gängigen Abstands- und Hygienemaßnahmen konsequent aufrechtzuerhalten.

Die wenigen Erfahrungen, die ich bislang in stationären Isolationsbereichen auf bspw. der Palliativstation gemacht habe, haben mir gezeigt, wie eingeschränkt der Einsatz von Instrumenten, die Stimmarbeit bzw. (unter Tragen einer Maske) die gesamte nonverbale Kommunikation verläuft. Beziehungsarbeit ohne Nähe…? Schwer vorstellbar! Meine ganz persönliche „Befürchtung“ ist, dass es noch stärker in Richtung „musikalische Beschäftigungsangebote“ (dann zum Beispiel auch via Internet) gehen wird…. Da kann ich (nur für mich ganz persönlich) sagen: das ist nicht die Arbeit, die ich machen möchte und auch nicht die, für die ich ausgebildet bin.

Ob ich auch Online Musiktherapie anbieten könne, wurde ich nun schon ein einige Male gefragt. Meine Antwort darauf: nein! Beratung, also sprachlich-kommunikative Methoden – ja. Das finde ich innovativ, sinnvoll und extrem nützlich – aber das, was die Musiktherapie so einzigartig macht, dass kann man unmöglich durch ein Kabel bzw. W-Lan Signal transportieren.

Etwas anders sieht das in puncto Öffentlichkeitsarbeit für unser Fach aus…

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Während des Lock Downs haben ErzieherInnen die Kitas entrümpelt, LehrerInnen haben Klassenzimmer aufgeräumt und neue Methoden entwickelt…

Ich wünsche mir, dass unser Berufsstand die digitalen Medien und sonstige öffentlichkeitswirksame Ressourcen nutzt, um die Präsenz unseres einzigartigen Fachbereichs zu stärken! Wenn wir also momentan nicht so viel praktisch arbeiten können, setzen wir uns hin: schreiben Fallberichte, Zeitschriftenartikel oder Fachbücher, geben Interviews, planen Projekte oder sprechen einfach über Musiktherapie. Die Zeit in der Krise kann genutzt werden, um das Fach lebendig zu halten, für Nachwuchs zu sorgen und nach Corona mit geballtem und selbstbewusstem Berufsverständnis an die Orte und zu den Menschen zurück zu kehren, wo wir „jenseits der Sprache“ gebraucht werden!

vier fragen an... Stephanie Scaleppi, Berlin

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Stephanie Scaleppi

Es fehlen mir die persönlichen Kontakte mit Freunden und Kollegen. Fortbildungen, die nun über Zoom stattfinden mussten, da ist der persönliche Austausch reduzierter oder eingeschränkter. Das Zwischenmenschliche und Spontane fehlt oder ist reduziert durch die nötigen Schutzmaßnahmen. Andererseits verbringe ich viel mehr Zeit mit der Familie, und da so viel Schulzeit digital wurde, kochen und backen wir vermehrt gemeinsam. 🙂

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Ich durfte 6 Wochen lang nicht auf der Neonatologie arbeiten, was als Honorarkraft und den dadurch entstandenen Verdienstausfall sehr stressig war. Ein paar Male konnte ich Eltern per Telefon begleiten, bin jedoch nun sehr froh, wieder vor Ort sein zu dürfen! Wir arbeiten jetzt alle dauerhaft mit Mundschutz und Kittel, und tendenziell nutze ich ein Summen eher als ein Singen, bzw. ermutige die Eltern noch mehr, die eigene Stimme für ihr Kind einzusetzen.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Ich denke, dass gerade in dieser Zeit, wo menschliche Nähe und Kontakte eingeschränkt sind, Musiktherapie eine wichtige Rolle spielen kann. Wie sehr Musik verbinden kann, und wieviel Halt Musik in schwierigen Zeiten bieten kann. Ich hoffe, dass das Potenzial der Musiktherapie erkannt wird, nicht nur für die Patienten, sondern auch als Entlastung und/oder Unterstützung für die Teams.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass Musiktherapie von den Krankenkassen anerkannt wird und abgerechnet werden kann, um ein fester Bestandteil von Behandlungs- und Therapiekonzepten zu sein.

vier fragen an... Daniela Goebel, LudwigshAFEN

Musiktherapie Blog Vier Fragen an Daniela Goebel

Nicht viel. Krankheit und Krisen sind mir vertraut, sie bedeuten für mich Lösung und Veränderung. So fokussiere ich auf die positiven Aspekte einer Krankheit und setzte mögliche Veränderungen konsequent um.

02 Was hat sich in Ihrer beruflichen Situation verändert?

Als Musiktherapeutin in einer Musikschule, in der ich gerade dabei bin, diesen Fachbereich neu zu etablieren, durfte mit einem Schlag nichts mehr stattfinden, auch meine Gruppen-Musiktherapien. Eine einzige online-Musiktherapie mit einem behinderten Mädchen erlebe ich aktuell als bereichernd, doch kann das nicht die Zukunft sein, da die gelebte Beziehung für den therapeutischen Prozess entscheidend ist.

03 Wie sehen Sie die Chancen für Musiktherapie nach Corona?

Es wird meiner Ansicht nach noch für längere Zeit kein „nach Corona“ geben, sondern nur ein „mit“. Die Musiktherapie wird – so hoffe ich – weiterhin ein wichtiges Medium bleiben. Es werden sich neue Formate – wie zum Bespiel online-Musiktherapien – etablieren.

04 Was wünschen Sie sich für die Musiktherapie in Deutschland für die Zukunft?

Ich bin immer wieder auf das Neue erschüttert, wie wenig bekannt Musiktherapie noch ist. Daher wünsche ich mir, dass viel mehr Werbung für Musiktherapie gemacht wird, damit sie mehr Menschen kennen und wertschätzen lernen. Und ganz besonders wünsche ich mir, dass vor allem das Klinikpersonal – voran Ärzte, Psychologen und Therapeuten – verstehen und wertschätzen, was Musiktherapie ist und welch wunderbares Medium sie für erkrankte Menschen ist.

Wir bedanken uns bei den Autor.innen für die Antworten. Wir setzen die Reihe gerne fort: Wenn Sie, liebe Musiktherapeut.innen, auch die Fragen beantworten möchten, schicken Sie diese bitte an blog@musiktherapie.de.

Die vorherigen Folgen der Serie:

Vier Antworten von Elka Aurora, Silke Kammer, Yuka Kikat und Dr. Johannes Unterberger (7. Mai 2020), Vier Antworten 2 von Inga Auch-Johannes, Sandrine Doepner, Lena Eliaß und Dorothea Käding (8. Juni 2020), sowie Vier Antworten 3 von Susanne Heinze, Sandra Schneider-Homberger, Verena Lodde, Gustav von Blanckenburg und Gaby Flossmann (6. Juli 2020).

Autor.innenfotos: die Rechte liegen bei den Autor.innen.

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Volker Bernius

Volker Bernius, Studium der Theologie, Musik, Psychologie. Seit 1979 Redaktionsmitglied der Musiktherapeutischen Umschau, ab 1986 Chefredakteur, Beisitzer im Vorstand der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft: Von 1981 bis 2015 Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftsredakteur Hessischer Rundfunk, Mitgründer und Fachbeirat der Stiftung Zuhören, Journalist, Autor, Herausgeber, Dozent.

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