Klangwerkstatt Deutz in Berlin Prenzlauer Berg. Foto: Volker Bernius

37 Jahre Klang­Werk­statt. Ein Gespräch mit Instru­men­ten­bauer Bernhard Deutz

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Im Februar 2025 hat Bernhard Deutz seine Instrumentenwerkstatt, die KlangWerkstatt Deutz in Berlin Prenzlauer Berg, nach 37 Jahren an einen seinen Nachfolger Jürgen Boß weitergegeben. Davor hat ihn Volker Bernius zu einem Gespräch getroffen – ein Rückblick auf die Anfänge, auf Entwicklungen und auf das Lebenswerk des mit mehreren Preisen ausgezeichneten Instrumentenbauers.

Klangwerkstatt Deutz in Berlin Prenzlauer Berg. Übergabe nach 37 Jahren an Jürgen Boß
Bernhard Deutz und sein Nachfolger Jürgen Boß bei der Übergabe der KlangWerkstatt. Foto. KlangWerkstatt

Herr Deutz, Sie sind der beste Instrumentenbauer, stimmt’s?

[zögert und lacht] Danke schön für das Kompliment.

… aber Sie sagen nicht nein…

Ich habe mir in unserem Feld der therapeutischen Saiteninstrumente zu Beginn auf die Fahnen geschrieben: Ich möchte einfache und spielbare Instrumente auf einem höchsten Niveau bauen. Das war ein äußerst ungewöhnliches Anliegen zu dieser Zeit. Und es ist, glaube ich, heute immer noch ziemlich einzigartig von der Verwendung der Materialien, von der Art und Weise, vom Aufwand des Baus und auch der Materialität. Mir ist wichtig, dass ich nur besonderes Klang-Holz verwende. Und die Instrumente müssen gut aussehen und sich gut anfühlen…

Ausstellungsraum der KlangWerkstatt bei der Übergabe an Nachfolger Jürgen Boß. Foto: KlangWerkstatt
Wir sind im Klangraum der KlangWerkstatt, in dem die Instrumente von Bernhard Deutz ausgestellt sind. Mir gegenüber sitzt kein Instrumentenbauer, der sein Metier in einer klassisch-handwerklichen Ausbildung gelernt hat. Nach einem Sozialpädagogik-Studium und sieben Jahren sozialpädagogischer Arbeit mit Jugendlichen will er sich mit Anfang 30 beruflich verändern – Mitte der achtziger Jahre. Ein Chrottabaukurs beim Musikinstrumentenbauer Helmut Bleffert weckt sein Interesse, dort lernt er eine Zeitlang informell;  bei Jan Dosch, dem Mitbegründer des Freien Musikzentrums München, baut er ein eigenes Monochord. Hier ist er „mit Feuer und Flamme“ dabei, das Ergebnis begeistert ihn und seine damalige Lebensgefährtin, eine Musiktherapeutin. Deutz erkennt seine Liebe zum Metier der therapeutischen Saiteninstrumente – und die ist auch nach über 35 Jahren im Gespräch noch hörbar.

…und ansonsten habe ich meine Kenntnisse aus Lehrbüchern über den Geigenbau, Gitarrenbau, Klavierbau zusammengesucht und mich da reingefummelt…

Was zunächst wie ein „Startup der 80er Jahre“ beginnt, findet auf der Seite der Musiktherapie eine Entsprechung. Die Musiktherapeut:innen der ersten Stunde arbeiten zunächst mit Klavier, Gitarren oder den Orffschen Instrumenten. Nur die Anthroposophen verwenden eine Chrotta oder eine Leier. Dann kommen weitere Schlaginstrumente dazu und Instrumente aus aller Welt. Die musiktherapeutische Landschaft ändert sich.

Mich hat von Anfang an die Idee fasziniert, Saiteninstrumente für die Therapie zu entwerfen, die auf einfache Weise spielbar und zu bauen sind. Dabei sollte es um die einfache Wirkung des Klanges gehen und nicht um Virtuosität und musikalische Fertigkeiten.

DER BEGINN… „eine gute Entscheidung“

Bernhard Deutz erkennt den wachsenden Bedarf nach neuen Instrumenten für die Musiktherapie – dieser Weg wird zu einer richtigen und guten Entscheidung für ihn, so sein Resümee heute. In Bremen beginnt er zunächst mit einer Instrumentenwerkstatt, er fängt mit kleinen Leiern an, entwirft ein eigenes Modell. Eine seiner ersten Kundinnen für die selbstgebauten Instrumente ist Marie-Luise Zimmer. Vom Arbeitsamt unterstützt kann er seine Ideen „in Ruhe entwickeln“. Nach dem Fall der Mauer sieht er neue Chancen in Berlin auch aufgrund der größeren Musiktherapie-Szene.  Seine erste Werkstatt kann er in der Auguststraße in der alten Mitte Berlins ansiedeln – eine dort damals beginnende kreative Szene.

Hatten Sie auch mal Existenzängste?

Das gab es immer mal wieder, ein gewisser Druck war latent immer da. Ich habe damals noch alleine gearbeitet, keine Familie oder Kinder; ich war mir sehr bewusst, dass ich das nur machen kann, weil ich nur für mich allein verantwortlich war. In der Werkstatt habe ich heute Mitarbeiter, die bereits über acht Jahre mit dabei sind. Als Gitarrenbaumeister und Geigenbauer ausgebildet in Markneukirchen an der Hochschule für Holzdesign und Instrumentenbau – fitte Leute, die dort gelernt haben. Ich habe sie angelernt für den besonderen Bereich der Therapieinstrumente – eine schöne Zusammenarbeit.

Klangwerkstatt Deutz in Berlin Prenzlauer Berg. Foto: Volker Bernius
Klangliege. Foto: Volker Bernius

 

 Deutz und seine Instrumente der KlangWerkstatt sind ja jetzt zu einer Marke geworden. Was meinen Sie warum?

Über die vielen Jahre hat sich Qualität durchgesetzt, in klanglicher Hinsicht, durch die aufwändige und liebevolle Verarbeitung, im Hinblick auf die spielpraktischen Aspekte, die total wichtig sind für Musiktherapeut:innen, weil die Instrumente eine gute Stimmhaltung haben.

Darunter versteht Bernhard Deutz, dass die Instrumente nicht permanent gestimmt werden müssen, weil zum Beispiel „die Saiten unvorteilhaft berechnet sind oder die Statik des Instruments nicht stimmt“. Saiteninstrumente brauchten immer eine richtige Balance zwischen Statik und Klang, das erfordere viel massives Material, das aber leider den Klang dämpfe.  Je leichter aber etwas gebaut sei, desto besser schwinge es. Es kommt auf den richtigen Mittelweg an, der man finden muss, erklärt der Fachmann:

Zu mir kommen manchmal Kunden mit Interesse an der Klangliege, die sagen: ‚Ich habe auch schon auf anderen Klangliegen gelegen, da hieß es, die müssen gestimmt werden, wenn der Mensch drauf liegt, weil sie sich nämlich verstimmen in dem Augenblick, wo jemand Platz nimmt‘ – das darf wirklich nicht sein…

… das ist ja kontraproduktiv und das ist bei Ihnen nicht so…

…genau. Für das, was die Instrumente halten müssen, kann ich sagen, die Instrumente, die wir bauen, sind sehr ausgereift, das Verhältnis von Tonhöhe, Saitenlänge, Material und Saitenstärke ist durchdacht und sorgt für eine sehr gute Stimmhaltung.

FEHLER FÜHREN ZU GUTEN LÖSUNGEN

Das Prinzip „trial and error“, aus Fehlern lernen – trotz der Kenntnis der Basics, das wird für Deutz bei der Herstellung des gewölbten Resonanzbodens des Klangstuhls zunächst ein Experiment und Abenteuer: Das Holz mit Wasser und Hitze zu biegen q u e r zum Faserverlauf, was sonst bei europäischen Saiteninstrumenten nicht vorkommt und dann auf einen normalen Zargenkranz aufzuleimen…  Es passierte, was passieren musste, so Deutz im Nachhinein. Der ganze Korpus verbeulte sich und die Kräfte verteilten sich so, „dass das Holz einfach dahin abhaut, wo es abhauen kann.“ So kann es also nicht funktionieren und Deutz muss sich überlegen, wie der Rahmen während des Vorgangs so stabilisiert werden kann, dass er in der Form bleibt.

… und wie war die Lösung?

Die Lösung war dann so, dass ich eine Innenform gebaut habe für diesen Korpus und mit dem Rahmen so fixiert habe, dass die Decke während dieses Verleimvorgangs eben stehen geblieben ist. Ziemlich tricky wurde das dann sehr viel später, als ich das erste Monochord mit zwei gewölbten Decken gebaut habe und wusste, da kann ich keine Form einsetzen für die zweite Decke, weil die Form dann verloren ist und das Instrument nicht klingen wird. Das geht jetzt schon sehr ins Detail…

HOLZ MUSS KLINGEN… „lieber aufwendiger arbeiten“

Ein weiteres Qualitätsmerkmal der Arbeit von Bernhard Deutz betrifft die Auswahl des Holzes. In der KlangWerkstatt Deutz wird nur sogenanntes Tonholz verwendet – ein Oberbegriff für Instrumentenhölzer, die eine gute Resonanz aufweisen, geeignet für den Geigen-, Gitarren- oder  Klavierbau mit besten Schwingungseigenschaften. Vor allem, betont Deutz, „ist das Bergfichte aus hohen Berglagen mit kargen Böden, langsam in einem kalten Umfeld gewachsen und sehr feinjährig“. Ein Instrument sei anfangs ein unbeschriebenes Blatt, aber das Holz speichere die Schwingungen, die im Laufe der Zeit entstehen, es werde lebendiger und entwickele zunehmend sein Klangpotenzial.
Und nochmal geht Deutz ins Detail, indem er den Unterschied zum Sperrholz benennt, das manche Firmen verwendeten. „Ein lebloses Material – einfach zu verarbeiten“ – ein Holzwerkstoff, bei dem dünne Furnierschichten quer zueinander verleimt sind. Die Besonderheit des natürlich gewachsenen Holzes sei, dass es längs zur Faser anders schwinge als quer zur Faser. So klinge jedes Holz von unterschiedlichen Stämmen anders. Sperrholz egalisiere alles, es sei nur einfach produzierbar. Von Anfang an verwendet er Tonhölzer, seine Devise: Lieber aufwendiger arbeiten als leichter zu produzieren.
Klangwerkstatt Deutz in Berlin Prenzlauer Berg. Foto: Volker Bernius
Lagerung des Holzes. Foto: Volker Bernius
Dazu kommt die Lagerung des Holzes in fast vier Metern hohen Räumen – mindestens drei Jahre mit einem bestimmten Trockengehalt, bevor sie verwendet werden. Auf den Punkt Nachhaltigkeit angesprochen, ist Deutz nicht sicher, was die Zukunft bringen wird. Bei der Bergfichte für das Resonanzholz in den alpinen Höhenlagen kommen der Borkenkäfer und der Klimawandel auch langsam an. Bei den statischen und Rahmenverbindungen werden europäische Hölzer verwendet. Ansonsten wird auf tropische Hölzer verzichtet und stattdessen z.B. Pflaume genommen, eine der härtesten heimischen Hölzer, das sehe dekorativ aus.

… das ist für Sie auch ein Qualitätsmerkmal, warum?

Mir war von Anfang an wichtig, Instrumente zu bauen, die einfach gut aussehen, die sich gut anfühlen. Und das auch zu tun für eine Klientel, wo man vielleicht erstmal denken könnte, die haben ja gar kein Auge dafür. Ich bin immer der Überzeugung gewesen, dass das ankommt bei Menschen mit Beeinträchtigungen, dass sie den Unterschied spüren, ob sie etwas Kostbares, Lebendiges in den Händen halten oder ob es nur eine einfach gefertigte „Kiste“ ist. Und wenn ich mir anschaue, wie relativ selten wir Reparaturen hier haben von Instrumenten, die kaputt gegangen sind in der therapeutischen Arbeit, dann ist das eigentlich auch noch mal eine indirekte Bestätigung dafür, dass diese Idee die Menschen erreicht.

Was sind denn schlechte Instrumente für Sie?

[Pause. Denkt nach]. Ich finde es schwierig zu sagen, welches Instrument schlecht ist. Da komme ich zu leicht in das Feld, dass ich anfange abzuwerten, was andere Firmen herstellen.

Irgendwann muss es sein, Sie müssen ja die Unterschiede benennen…

… nein, mir ist es lieber so, wie es vorhin getan habe, zu benennen, was aus meiner Sicht qualitativ hochwertig ist – also was ein gutes Instrument auszeichnet; das andere kann man im Umkehrschluss daraus ziehen.

Es gab produktive Veränderungen der Arbeitsweise im Laufe der drei Jahrzehnte. Nach den Chrottas wurde das Monochord, das rezeptive Instrument, zu einer zweiten Säule.  1996 sei der Klangstuhl dazugekommen, sein aufwendigstes Instrument. Ein langer Prozess in der Entwicklung sei vor allem wegen der Kostendeckung nötig gewesen. Einige hätten prophezeit, dass man damit kein Geld verdienen könne, nicht verkaufbar… Ganz schnell seien auch Nachahmungen auf den Markt gekommen – viel einfacher angefertigt, wahrscheinlich mit guten Umsätzen, vermutet Deutz. In seiner Werkstatt sind bisher über 50 Klangstühle entstanden, etwa zwei pro Jahr. Der Bau dauert mehrere Monate.
Klangwerkstatt Deutz in Berlin Prenzlauer Berg. Foto: Volker Bernius
Klangstuhl. Foto: Volker Bernius

DIE KOOPERATION MIT THERAPEUTEN… „ein Erfolgserlebnis“

Viele der Neuentwicklungen von Instrumenten sind in der Zusammenarbeit mit Musiktherapeut:innen entstanden. Beim Klangstuhl waren es Musiktherapeut:innen, die mit mehrfach schwerstbehinderten Menschen arbeiteten. Sie wollten die Menschen nicht auf eine Klangliege legen, weil sie ohnehin den ganzen Tag liegen und schlaff und unterspannt seien. Wie könne aber eine innere Aufrichtung mit dem Klang unterstützt werden? Sie wollten ihren Patient:innen ein Monochord im Sitzen an den Rücken anlegen…

… und ich dachte, das klingt aber unbequem, die Musiktherapeutin muss das Instrument spielen, sie muss den Menschen halten, der sich da anlehnt und dann vielleicht auch noch halten, was ausgelöst wird an Gefühl…  Und dann gingen neun Monate ins Land und dann entstand der Klangkörper als Sitzgelegenheit: Der Klangstuhl.

Bernhard Deutz sagt heute, dass er die Freiheit genossen hat, auf Anfragen von Außen mit kreativen Ideen zu antworten. Der Chefarzt einer Neonatologie in Berlin zum Beispiel hatte als Cellist ein Gespür dafür, dass die Frühchen noch etwas anderes brauchten als Schläuche und Kabel. Den Rest habe er ihm überlassen.
Deutz überlegt sich, was die Säuglinge für Schwingungen brauchen, was zu tief, zu stark, zu hoch, zu fein ist… und wie so ein Instrument aussehen könnte. Durch eine Fortbildung über die Wirkung monochromer Klänge ahnt er, was den Frühgeborenen fehlt: Verschmelzung, Symbiose, Geborgenheit.  So entsteht eine Klangliege mit einer gewölbten Oberfläche in Monochordstimmung für den Einsatz im Inkubator auf einer Frühgeborenen-Intensivstation – die Körpertambura. Und im Anschluss daran eine Diplomarbeit im Studiengang Musiktherapie der UdK – und immer wieder Anfragen von Eltern von Schreibabies und Frühgeborenen.

Oder es kam eine Musiktherapeutin aus Köln auf mich zu, die suchte ein Instrument für einen Wachkoma-Patienten und sagte: ich kann den Patienten nicht auf einen Stuhl setzen oder auf eine Klangliege legen. Aber ich möchte den Versuch machen Menschen, die auf nichts reagieren darüber zu erreichen, dass man den Klang nicht nur hörbar, sondern auch fühlbar macht. Meine Idee dazu war ein Instrument, das man mit dem gewölbten Boden auf den Körper auflegen kann.

Für Deutz wird der Austausch mit den praktizierenden Musiktherapeut:innen zum work in progress und zum Erfolgserlebnis. Er ermuntert die Musiktherapeut:innen nicht bei dem Instrumentarium stehenzubleiben, was es schon gibt, sondern sich vorzustellen, was es noch geben könnte und mit Fragen und Ideen auf ihn zuzukommen – im Rückblick der spannendste Teil seiner instrumentalen Entwicklungsarbeit.
Klangwerkstatt Deutz in Berlin Prenzlauer Berg. Foto: KlangWerkstatt
Körpertambura (bei der Übergabe der KlangWerkstatt an Jürgen Boß). Foto: KlangWerkstatt
Ab 2003 wird die Körpertambura zu einem großen Erfolg, der bis heute anhält. Deutz bezeichnet es jetzt als sein wichtigstes Instrument, das in fast allen therapeutischen Bereichen eingesetzt werden kann. Mit diesem Instrument habe sich der Kundenkreis auch schlagartig erweitert über das therapeutische Feld hinaus – in den Heim- und Pflegebereich, zu ehrenamtlichen Sterbebegleitern, zu Ergo- oder Physiotherapeut:innen, Atemlehrern – eine große Bandbreite von Feldern, in denen die Körpertambura ganz unterschiedlich eingesetzt wird zum Beispiel  als Einstiegsmethode oder zur Entspannung.
Dank der großen Nachfrage können Deutz und seine Mitarbeiter die Tambura immer weiterentwickeln, immer auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten… ein Instrument und seine Variationen – ein vielfältiges Modulinstrument in unterschiedlicher Gestalt:  als Mini-Klangstuhl für Kinder, mit Bogenfüßen für hochschwangere Frauen oder für Spastiker oder für Kinder, die darunter kriechen… Insgesamt ein experimentelles Vorgehen, eine Mischung aus Bedarf und Selbstkreation.

ROLLE DES INSTRUMENTENBAUS UNTERBEWERTET

Instrumentenbauer für Musiktherapie sind ja nicht von vornherein musiktherapeutisch ausgebildet, manche schon… aber Sie und die Kolleg:innen haben ja einen neuen Beruf erfunden, wie schätzen Sie denn die Beziehung Instrumentenbauer – Musiktherapeut ein?

Ich bin kein Musiktherapeut, aber ich habe mich mehrjährig weitergebildet und intensiv mit Musiktherapie auseinandergesetzt. Ich schätze den Austausch sehr, die Anregungen und Ideen, die von dort kommen und die ich dann materialisieren kann.  Insgesamt aber erlebe ich die Rolle des Instrumentenbauers in der Musiktherapie als unterbewertet. Instrumentenbauer sollten als Teil der Musiktherapie gesehen und einbezogen werden; zum Beispiel auf Tagungen brauchte es mehr Raum für Dialoge, um als Instrumentenentwickler die eigene Arbeit vorstellen zu können. Als Pausenclown im Flur zwischen Bücher- und Kaffeetisch ist es nicht der richtige Ort…

… da fühlten Sie sich nicht wohl, Sie wollten mehr…, mehr als ein Instrument verkaufen…

… genau, mein Anliegen war es immer zu sagen: Ich leiste hier einen Beitrag zur Musiktherapie, indem ich neues Werkzeug entwickele für die Musiktherapie, und ich habe meine Aufgabe immer so verstanden, auch zu vernetzen und die verschiedenen Aspekte miteinander zu verknüpfen. Wenn ich ein Instrument neu in die Welt gesetzt habe, dann haben andere Interessierte gleich gefragt: ‚Was gibt es denn für therapeutische Erfahrung damit?‘ Das zu sammeln und zu bündeln, das war mir immer ein großes Anliegen.

Auf seiner Webseite hat Deutz zusammengetragen, was ihm bekannt wurde an Berichten und Studien zu seinen Instrumenten, und es ist eine eigene Studie unter Federführung des Instituts für Sozialmedizin der Charité mit der Körpertambura im Lazarushospiz Berlin entstanden. Für Deutz ist die Frage der Wirkung der Klänge und der therapeutische Einsatz immer wichtig – weit über das Handwerkliche und Geschäftliche hinaus. Er bekennt sich dazu, dass die  Herstellung hochwertiger Instrumente nicht „billig“ sein kann. Das Angebot sei deshalb auch zunehmend gefragt gewesen, weil Kund:innen ein Qualitätsbewusstsein entwickelt hätten. Deutz wünscht sich von den im klinischen Bereich arbeitenden Musiktherapeut:innen „mehr Mut und Forschheit, die Anerkennung und Wertschätzung ihrer Arbeit auch über entsprechende Anschaffungsbudgets einzufordern“.
Klangwerkstatt Deutz in Berlin Prenzlauer Berg. Foto: Volker Bernius
MoTaKa – das Klangrad. Foto: Volker Bernius
Die Klangwerkstatt Deutz hat mittlerweile Kontakte und Kund:innen europa- und weltweit. Deutz hat an den beiden bisher einzigen Wettbewerben für Therapieinstrumente teilgenommen, 1996 beim Weltkongress in Hamburg – mit einem 2. Preis für den Klangstuhl – und 2019 beim Instrumentenwettbewerb der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (siehe dazu unser Blogbeitrag vom 28. August 2019) zusammen mit der Musikmesse Frankfurt – mit dem 1. Preis: wieder für ein neues Instrument dem Klangrad MoTaKa, eine Verbindung von Monochord, Tambura und Kantele…

Wie wichtig sind denn Wettbewerbe für Therapieinstrumente für die Szene und für Sie persönlich?

1996 war für mich sehr wichtig, es gab viel Raum zur Verfügung für die Präsentation.  Der Wettbewerb in Frankfurt vor ein paar Jahren war für mich selbst eher eine Spielerei, zunächst wollte ich nicht teilnehmen, aber ich hatte gemerkt, ich verbringe viel Zeit am Schreibtisch und ich entferne mich so sehr vom kreativen Kern meiner Arbeit, dass ich einfach Lust habe, wieder etwas Neues in die Welt zu setzen. Die Idee, ein Instrument für mehrere Spieler zu bauen, war schon länger im Kopf.

Wettbewerbe sind natürlich für alle kreativen Berufe sehr wichtig. Ich habe es in früheren Jahren sehr bedauert, dass ich so ein Einzelkämpfer bin in meinem Feld, dass es so wenig Foren gibt, wo man sich messen kann. Hoffentlich gibt es in ein paar Jahren einen dritten Instrumentenbauwettbewerb für musiktherapeutische Instrumente.

Inzwischen gibt es 16 Motakas. Das Klangrad ist ein Kontaktinstrument, man spielt an einem Instrument miteinander, ein Kommunikationsaustausch. Leider war der Frankfurter Wettbewerb kurz vor Corona – keine günstige Zeit für Kontaktanbahnungen in Präsenz. Corona hat deshalb die Verbreitung behindert. Ein kleines Geschwisterinstrument, das leichter im Aufbau und besser mobil einsetzbar ist zum Beispiel in Heimen oder bei Hausbesuchen, ist vor zwei Jahren entstanden. Das mittlerweile auf 2 Modelle erweiterte Ensemble KlangRad wurde soeben auch auf einem Kunsthandwerk-Wettbewerb der Handwerkskammer Berlin prämiert und wird seit 3. April 25 im Kunstgewerbemuseum Berlin im Rahmen einer Ausstellung präsentiert. In diesem Video auf Youtube kann man sich das MoTaKa mit drei Spielern anhören, in einem weiteren Video finden wir ein Klangbeispiel mit zwei Spieler:innen.

Sie haben ja viel mit Musiktherapeut:innen zu tun, die ganz unterschiedlich  ausgebildet sind, zum Beispiel welche, die einen Dreiwochenkurs machen und dann ein Zertifikat haben aber auch welche, die ein dreijähriges Vollzeitstudium gemacht haben…, warum bilden Sie nicht nur die akademisch qualifizierten Musiktherapeut:innen aus?

Wenn für zwei Stunden eine Gruppe von Menschen im Rahmen eines Weiterbildungskurses zu mir kommt, um Instrumente kennenzulernen, dann ist das natürlich keine grundständige Ausbildung. Ich habe allerdings vor Jahren begriffen, dass ich als Unternehmer nicht gleichzeitig darüber entscheiden kann, wer mit Instrumenten arbeiten darf und wer nicht. Ich kann nicht sagen, Dir verkaufe ich kein Instrument, weil Du kein ausgebildeter Musiktherapeut bist.

Das steht mir nicht zu und aus der Erkenntnis heraus habe ich gedacht, ok, wenn es also auch eine Gruppe von Menschen gibt, bei denen sich ein Berufszweig neu eröffnet, wo also völlig klar ist, diese Menschen können nicht so ausgebildet und kompetent sein wie die gründlich ausgebildeten Musiktherapeut:innen, dann ist es mir umso wichtiger, dass sie ein bisschen was verstehen von den Instrumenten und auch ein bisschen zum Beispiel davon verstehen, wie man sie einsetzen kann oder auch nicht einsetzen sollte.

Zum Beispiel ist das Monochord kein Instrument, das man im Yogakurs zu Entspannungszwecken spielen kann, weil der Klang sehr tiefe Gefühlsschichten anrühren und auch Ängste auslösen kann – und eben dies vermittele ich auch sehr klar. Aber als Unternehmer muss ich mich einfach um Kunden bemühen, und Fakt ist, dass in diesem ganzen Feld – ich sage jetzt mal Klangtherapie – auch viele potenzielle Kunden sitzen. Also um mich nur von der Musiktherapie ernähren zu wollen, müsste ich angestellt sein.

Was wird bleiben vom Instrumentenbauer Deutz? Was ist Ihr Erbe?

Pause [denkt nach]

Ich bin glücklich, dass es mir nach langer Suche, die zeitweise nicht sehr aussichtsreich schien, dann schließlich doch gelungen ist, mit Jürgen Boß einen Menschen mit musikalischer Leidenschaft und Unternehmergeist zu finden, der die KlangWerkstatt und ihre Idee mit großer Wertschätzung und neuem Elan weiterführen wird. Unsere langjährigen Mitarbeiter sind der Garant für eine auch zukünftig hochwertige Qualität der Instrumente. Und ich bin mir sicher, dass die Resonanz und Nachfrage nach ihnen trotz knapper werdender öffentlicher Kassen und vermehrter Monopolisierung des Musikinstrumentenhandels weiterhin groß sein wird. Vielleicht bereichert um weitere, noch neu entstehende Klangkörper… Die KlangWerkstatt Deutz wird kein Deutz-Gedenk-Museum werden. Wenn ich wieder etwas Abstand habe, habe ich bestimmt auch Lust weiter kreativ zu sein, und vielleicht entsteht dann wieder ein neuer Klangkörper…

Vielen Dank für das Gespräch, Bernhard Deutz, und alles Gute! Die Musiktherapie-Welt wird sich hoffentlich mal bald auf Neues freuen dürfen!

Link

KlangWerkstatt Deutz, Inhaber: Jürgen Boß e. K. – www.deutz-klangwerkstatt.de

Picture of Volker Bernius

Volker Bernius

Journalist, Autor, Herausgeber. Mitbegründer und seit 1980 Redakteur der Musiktherapeutischen Umschau (ehrenamtlich), 1986-2023 Chefredakteur, 1981-2015 Redakteur Hessischer Rundfunk (Kultur, Bildung, Wissen). Vorstand Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft.

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