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Drei Fragen an Annegret Körber, Sprecherin des Herausgeber:innenteams der MU

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Nach 40 Jahren Jahren fand im Herausgeber:innenteam der Musiktherapeutischen Umschau eine wichtige Übergabe statt. Annegret Körber trat vor über einem Jahr die Nachfolge von Volker Bernius an, der mit Kolleg:innen die Zeitschrift gründete und über 40 Jahre lang die Redaktion leitete. Sie ist Redaktionsmitglied seit Oktober 2010, Herausgeberin seit Januar 2022 und Sprecherin der Herausgeber:innen seit Juli 2023. Aus diesem Anlass befragte Gisela Linnen sie für das Redaktionsteam zu ihrer neuen Rolle. Das Interview kann auf vocaroo angehört werden.

Liebe Annegret, du bist die neue Sprecherin des Herausgeber:innenteams der »Musiktherapeutischen Umschau«, der führenden Fachzeitschrift für Musiktherapie im deutschsprachigen Raum. Könntest du etwas zu dir selbst sagen, um unseren Leser:innen einen Eindruck zu vermitteln: Wer bist du?

Wer bin ich für die Leser:innen der Musiktherapeutischen Umschau? Ich nehme an, dass ich als schreibende Musiktherapeutin bekannt bin durch meine Beiträge zur Musikpsychotherapie, insbesondere zu musiktherapeutischen Prozessen in der Psychosomatischen Medizin, die in der MU und in anderen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Im Bereich der Psychosomatik bin ich seit über 20 Jahren tätig: konkret an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Rostock. Von Anfang an habe ich meine Arbeit gern schriftlich reflektiert, weil mir das liegt, weil ich dabei meine Eindrücke und Erfahrungen ordnen und in einen theoretischen Zusammenhang stellen kann. Als Abiturientin habe ich Konzertrezensionen für die Tages- presse geschrieben. Und mein erster in der MU veröffentlichter Beitrag entstand während meines Musiktherapiestudiums an der Universität der Künste (UdK) Berlin: 2006 — ein Bericht zum Forschungstag der UdK zum Thema therapeutische Beziehung und EBQ.

Wer bin ich? Bei einer so direkten und persönlichen Frage empfindet die Therapeutin in mir eine Art professionelle Zurückhaltung. Ich verstehe jedoch, dass mit der Beantwortung der Frage auch die Möglichkeit entsteht, die Komplexität einer Person – in diesem Falle meiner Person – zu umreißen und damit etwas sichtbarer zu machen, nicht nur in der Relevanz für die MU. Also:

Grundlegend war sicherlich mein Aufwachsen in Ostdeutschland in einer kirchenmusikalischen Familie – was per se schon reichlich Konflikte zwischen Elternhaus und Schule mit sich brachte. Interessanterweise beinhaltet die Publikation Verfolgte Schüler auch meinen Fall (Verfolgte Schüler: Ursachen und Folgen von Diskriminierung im Schulwesen der DDR, von Tina Kwiatkowski-Celofiga, 2014), wodurch sich Aspekte der eigenen Biografie in einem größeren Zusammenhang wiederfinden lassen.

Gegenwärtig lebe ich in Mecklenburg, wo ich in ländlicher Umgebung und Natur auch schreiben kann und in Dorfkirchen Orgel spiele – Berufstätigkeit, kulturelles Erleben und Engagement finden dagegen eher in Rostock statt. Wie selbstverständlich gehören zu mir Spannung und Erfüllung in der Partnerschaft, die vielen Lebensjahre mit eigenen Kindern, inzwischen auch Enkelkindern und in Bezug zu anderen Menschen. Diese unzufälligen existenziellen und zwischenmenschlichen Gegebenheiten durchdringen meine Persönlichkeit.

Wer bin ich? Steckbriefartig: beruflich auch Gruppen(lehr)analytikerin und Supervisorin; Vorständin der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse und Musik; freizeitlich: Radreisende als Reaktion auf Fernweh und Bewegungslust, Musizierende und Chorsängerin – insgesamt bin ich wohl eher ein langsamer Mensch, eine Träumerin. Was ich wirklich brauche? Die Poesie und Ästhetik des Alltags zu erleben und zu teilen.

Was sind deine Aufgaben und Verantwortlichkeiten in der neuen Rolle als Sprecherin? Und worin besteht aus deiner Sicht eigentlich der Unterschied zwischen »Sprecherin« und »Chefredakteurin«?

Ich habe die Nachfolge von Volker Bernius, der ja mit Kolleg:innen die MU gründete und über 40 Jahre lang die Redaktion leitete, vor über einem Jahr angetreten und inzwischen mit dem Herausgeber:innenkreis sieben Ausgaben auf den Weg gebracht. Und, ehrlich gesagt, die Aufgabe, viermal pro Jahr ein Heft herauszugeben, ist schon herausfordernd. Es gab in den letzten Monaten durchaus Zeiten, in denen der einzige Kick diesbezüglich darin bestand, das Pensum überhaupt zu bewältigen. Ein wichtiges Element der Übergabe war zudem eine lange Liste zu erledigender Arbeiten und die noch längere Liste der sogenannten verborgenen Arbeiten. Ich greife einige – unverborgene – Aufgaben heraus:

  • natürlich in erster Linie die Organisation der Fachzeitschrift,
  • Artikelakquise, Konzeption der Hefte und Themenhefte,
  • Finalisierung der Hefte unter Einhaltung unausweichlicher Redaktionsschlüsse,
  • Unterstützung der Redaktionsmitglieder,
  • Kommunikation mit Autor:innen,
  • Kontakt zum Verlag,
  • Kontakt zum wissenschaftlichen Beirat,
  • Planung und Leitung der Redaktionskonferenzen.

Über die Frage, worin der Unterschied zwischen der Funktion Sprecherin oder Chefredakteurin besteht, habe ich lange nachgedacht. Einerseits war der Begriff Sprecherin eine Anregung von anderen Herausgeber:innenteams, die in geteilter Verantwortung die Heftherausgabe managen. Andererseits war mir klar, dass ich keine Eins-zu-eins-Nachfolge von Volker Bernius antreten werde. Hier war ja mit der MU über mehr als 40 Jahre ein Lebenswerk auf einem professionellen journalistischen Hintergrund entstanden. Volker Bernius hat auch als Pensionär nahezu in Vollzeit – so schien es uns zumindest – die Angelegenheiten der MU betreut. Diese Ausschließlichkeit würde ich nicht leisten wollen und können. Dass hier eine Veränderung anstand, wurde auch vom Vorstand erkannt, was dazu führte, im Zuge des Überganges eine Lektorin des Verlages stundenweise zu finanzieren. Dass damit jedoch auch die Redaktionsschlüsse um letztendlich sechs Wochen vorverlegt wurden, ist ein Problem, auf das sich die ausschließlich ehrenamtlich tätige Redaktion einstellen muss.

So finde ich mich passend wieder in dem Begriff der Sprecherin. Allerdings werde ich öfter darauf aufmerksam gemacht, dass die umfassende Tätigkeit buchstäblich die einer Chefredakteurin ist. Auch im rechtlichen Sinne, sprich im Sinne des Pressegesetzes, stehe ich persönlich für die MU ein. Die anfänglichen Ideen, zu zweit die Verantwortung zu übernehmen oder diese zu rotieren, erwiesen sich als nicht umsetzbar, was nicht nur, aber doch zum großen Teil auch mit dem zu bewältigenden Pensum zu tun hat. Eigentlich paradox – gerade da wäre ja eine Verteilung erstrebenswert. Dass die Realität anders aussieht, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die faktische Tätigkeit eben doch eher die einer Chefredakteurin ist. Derzeit ist mir diese Bezeichnung unwichtig. Und wenn, dann gefällt mir sowieso die englische Version besser: editor in chief.

Nebenbei bemerkt: Als ein Vorteil erwies sich im Umgang mit aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Produktion und Auslieferung der MU, dass mir das Druckereigewerbe durchaus vertraut ist.

Nun hast du nach deiner langjährigen redaktionellen Tätigkeit die Herausforderung als Sprecherin angenommen. Was verbindet dich mit der MU und welches sind deine Ziele und Anliegen als Sprecherin für die nächste Zeit?

Als ich mich – bereits mit einem Universitätsdiplom in der Tasche – auf das Musiktherapiestudium einließ, war mir bewusst, dass eine Fachzeitschrift (FZS) unverzichtbar ist im Feld der Wissenschaft und speziell für ein sich etablierendes Fach, wie die Musiktherapie. Im Vorpraktikum an der Psychiatrischen Klinik in Stralsund fand ich dort einen erstaunlich umfangreichen Bestand an MUs vor. Während des Musiktherapiestudiums abonnierte ich die MU – anfangs ohne Mitgliedschaft in der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG) als sogenannte freie Abonnentin. Die Fachzeitschrift unterstützte und erfüllte oftmals mein Interesse an einer akademischen Ausrichtung der Musiktherapie. Seit Beginn meiner Berufstätigkeit mit einem Chef konfrontiert, der Wissenschaftlichkeit und Forschung mehr als groß schrieb, und mit der Aufforderung, selbst zu veröffentlichen, war die MU natürlich die erste Adresse. Mit der Berufung in die Redaktion im Frühjahr 2010 erweiterte sich mein berufliches Spektrum. Dann wurde ich schnell auch Mitglied der DMtG, was ich wegen der meiner Sozialisation geschuldeten Befürchtungen vor Vereinnahmung bisher gelassen hatte.

Während meiner redaktionellen Tätigkeit konnte ich von Volker Bernius und den verschiedenen sehr engagierten Kolleg:innen sehr viel rund um die Herausgabe lernen. Ich habe darüber im Editorial der ersten von mir verantworteten Ausgabe, der MU Heft 3/2023, geschrieben. Ob die Weiterführung auch weiterhin gelingt, wird sich zeigen müssen. Problematisch und so nicht voraussehbar war, dass auch im Verlag umfassende personelle und Strukturveränderungen stattfanden. In diesem Jahr fand die Übernahme durch den Verlagskonzern De Gruyter statt, was manche Prozesse jetzt schon verzögert, indem Entscheidungen nicht getroffen werden können. Allerdings zeigte sich gerade aktuell, dass die Kommunikation zwischen den Ansprechpartner:innen im Verlag, im Vorstand, in der Geschäftsstelle und mir auch im Falle aufkommender Probleme recht kurzfristig und lösungsorientiert möglich war.

Auf jeden Fall ist das Amt der Sprecherin komplex und meine Aufmerksamkeit richtet sich sowohl auf den Output als auch auf die internen Teamprozesse. Ohne ein kompetentes und engagiertes Redaktionsteam wäre es nicht möglich, das regelmäßige Erscheinen der MU zu gewährleisten. Ich bin in verschiedenen Arbeitsgruppen tätig, doch das Redaktionsteam zeichnet sich dadurch aus, dass die Mitglieder sich gegenseitig so intensiv zuhören. Den Übergang und den laufenden Redaktionsbetrieb bewältigen wir gemeinsam. Unvergessen, wie ein Redaktionsmitglied sich mal zu Beginn einer Konferenz die Hände rieb und erwartungsvoll freudig sagte: »Jetzt geht es gleich los!« Eine solch kreative Arbeitsatmosphäre mit den Kolleg:innen zu gestalten, halte ich für wesentlich. Wir sind alle ehrenamtlich tätig und ohne Begeisterung für eine Tätigkeit, die vor allem in der Unterstützung von Autor:innen besteht, ließe sich die kontinuierliche Herausgabe nicht schaffen. So sind mir – auch mit Interesse für Gruppenprozesse – die gegenseitige Wahrnehmung, das Zuhören und das Nachdenken über uns als Team ebenfalls Anliegen.

Gefragt wurde nun auch nach meinen Zielen für die MU. Ich fasse diese mal stichpunktartig zusammen:

  • zuallererst natürlich weiterhin sorgfältige redaktionelle Betreuung von Autor:innen und deren Manuskripten,
  • Balance zwischen Bewahren und Veränderung,
  • MU bis auf Weiteres als Printprodukt und zukünftig gewünscht in Trägerschaft der drei deutsch-sprachigen Berufsverbände Deutschland (DMTG), Österreich (ÖBM), Schweiz (SFMT),
  • Fachzeitschrift für Forschung und Praxis der MT als künstlerische Spezialtherapie, nicht eine Zeitschrift als Sammelbecken,
  • ab und zu englischsprachige Beiträge,
  • von den Lesenden wünsche ich mir Feedback, lebendigen kritischen Austausch, unerschrockene Standpunkte, fundierte Einreichungen, also Aktivität und vor allem das Bewusstsein, dass eine FZS das Fach wissenschaftlich voranbringt.

So habe ich durchaus einen kritischen Blick auf unsere Musiktherapeutische Umschau, der auch erlaubt, über eine Änderung des Zeitschriftentitels in MUSIKTHERAPIE nachzudenken.

Mich wundert es, dass Fachfremde und externe Musiktherapeut.innen der Zeitschrift mitunter mehr Aufmerksamkeit und Interesse entgegenbringen als die Mitglieder der DMtG, denen die MU als Teil ihrer Mitgliedschaft ins Haus kommt. Hier ist aus meiner Sicht viel mehr für die Lesenden an Weiterbildung und Austausch drin. So, wie das Redaktionsteam in einen gemeinsamen Denkraum mit den Autor:innen eintritt, um die Hefte zu konzipieren und zu finalisieren, könnten die Lesenden ebenfalls diesen Raum betreten. Das wäre dann gelebte Rezeption und Vernetzung musiktherapeutischer Forschung und Praxis.

Abschließend:

Nun setze ich mich ans Editorial für die übernächste Ausgabe. Denn es ist tatsächlich so, dass ich immer mit drei Ausgaben befasst bin: 1. der gerade druckfertigen, 2. der sich in Korrektur befindenden und 3. der zu bearbeitenden.

Eine ehrenamtliche Tätigkeit bietet persönliches Entwicklungspotenzial, kann und sollte erfüllend sein. Nicht zuletzt bewahrt die Arbeit an einer Fachzeitschrift, die ja immer dem Vergleich, einer Einordnung und der Kritik ausgesetzt ist, vor einer Überidentifikation mit dieser und dem eigenen Fach. In diesem Sinne verstehe ich mein Tun und lade an dieser Stelle dazu ein, auch weiterhin Fragen zu stellen und ins Gespräch zu kommen.

Musiktherapeutische Umschau

Die Musiktherapeutische Umschau ist die wissenschaftliche Fachzeitschrift für Forschung und Praxis der Musiktherapie. Sie erscheint viermal jährlich und kann beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht bestellt und abonniert werden.

Links

Einzelne Artikel und Nachrichten aus der Musiktherapeutischen Umschau, sowie Interviews mit Autor:innen finden Sie im Blog der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft, und auf der offiziellen Facebook-Seite der MU unter www.facebook.com/MusiktherapeutischeUmschau.

Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DMTG) – www.musiktherapie.de

Österreichischer Berufsverband für Musiktherapie (ÖBM) – www.oebm.org

Schweizerischer Fachverband für Musiktherapie (SFMT) – musictherapy.ch

Quellen

Wie gestaltet sich die redaktionelle Arbeit der Musiktherapeutischen Umschau mit der neuen Sprecherin des Herausgeber:innenteams? Drei Fragen an Annegret Körber. Musiktherapeutische Umschau Bd. 46, 1 (2025). 67-70.

Körber, Annegret (2023). zeit_raum_mu. Generationenwechsel mit der 175. Ausgabe (Editorial). Musiktherapeutische Umschau Bd. 44, 3. 193-195.

Kwiatkowski-Celofiga, Tina (2014). Verfolgte Schüler: Ursachen und Folgen von Diskriminierung im Schulwesen der DDR (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 54).

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Annegret Körber

Annegret Körber. Sprecherin der Herausgeber:innen der MU, Klinische Dipl.-Musiktherapeutin (DMtG) im Bereich Psychosomatik/Psychotherapie, Universitätsmedizin Rostock. Lehr- und Vortragstätigkeit, Publikationen. Konzept zur ambulanten gruppenmusiktherapeutischen Tinnitus-behandlung [GMTinR]. Gruppenlehranalytikerin (D3G), Supervisorin, Vorständin Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse und Musik (DGPM)

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