Ein Erfahrungsbericht mit Einblicken in die berufspolitische Arbeit: Ilse Wolfram erklärt, wie man Anträge für die Künstlerischen Therapien (KüTh) stellt – und teilt Aktuelles aus dem Willy-Brandt-Haus Berlin.
Mein (parteipolitischer) Start
Seit Ende 2019 arbeite ich in der Arbeitsgruppe der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG) Bremen mit. Meine Aufgabe besteht darin, dort die Künstlerischen Therapien bekannt und sichtbar zu machen. Es war interessant, die Mitglieder der ASG kennenzulernen, die aus anderen Gesundheitsberufen kommen, u.a. Ärzte, Pfleger, Gewerkschaftler, Betriebsräte, Abgeordnete, Hochschullehrer für Public Health, PsychotherapeutInnen. Die Arbeitsweise der ASG sind monatliche Arbeitstreffen und v.a. das Studium des laufend versandten Materials zu aktuellen Themen. Das zuverlässig erstellte Protokoll der Sitzungen finde ich nach wie vor recht hilfreich.
In der ersten Sitzung stellte ich mich als praktizierende Musiktherapeutin, Lehrmusiktherapeutin und Gründerin des Bremer Instituts für Musiktherapie und seelische Gesundheit (BIM e.V.) vor. Bestimmt wurden die Diskussionen häufig von Themen aus der gesamten Gesundheitspolitik, entsprechend dem Anspruch der Bundes-ASG, u.a. dem aktuellen Corona-Management, der Krankenhausreform, dem Personalmangel in der Pflege, Maßnahmen gegen die Hitzerisiken, oder der konkreten Krankenhauslandschaft. Mit diesen Themen hatte ich mich noch wenig beschäftigt, doch nach einigen Wochen war ich eingearbeitet genug, um meinen Gesundheitsberuf auf die Tagesordnung zu setzen, wenn auch mit dem Hinweis, dass ich es nicht so lang machen sollte …
Im Laufe der ersten beiden Jahre stellte ich dann ein steigendes und wohlwollendes Interesse an meinem „Herzensthema“, wie es die ASG-Vorsitzende einmal formulierte, fest: „Ihr seid doch ein psychotherapeutischer akademischer Beruf“, so auch ein anderes Mitglied, der sich als Berater einiger Landesärztekammern gut auskennt.
Die Mitarbeit
Meine Berichte in der laufenden Rubrik „Positive Ereignisse aus dem Gesundheitsbereich aus Sicht der Mitglieder“ wurden begrüßt und nachgefragt. Ich informierte über konkrete musiktherapeutische Projekte, z.B. „Stark im Sozialraum“, einem Nach-Corona-Projekt, oder über musiktherapeutische Angebote in Schulen, oder über das zweijährige „Junior-Senior-Projekt“, oder eine laufende musiktherapeutische Gruppe mit geflüchteten Minderjährigen, oder einer musiktherapeutischen Lehreinheit im Hebammen-Studium – alles Informationen, die für die ASG neu waren, über die ich jedoch als langjähriges, ehemaliges Vorstandsmitglied des BIM e.V. auf einem guten Kenntnisstand bin.
Zur regelmäßigen Mitarbeit zähle ich auch die Leitung eines musiktherapeutischen Workshops während eines ASG-Fachtags. Glücklicherweise können wir Musiktherapeuten hier aus dem vollen Repertoire der kreativen Selbsterfahrung schöpfen.
Ein wesentlicher Teil der landespolitischen Arbeit ist die Befassung mit Anträgen. Über Anträge lernte ich: an wen sollen sie sich richten? An die Landes- oder die Bundespolitik? An welchen Vorstand? Gibt es dafür Fristen? Anfangs waren mir die Parteistrukturen mit ihren Namen und Geschäftsordnungen noch fremd. Doch meine jahrelange Gremienarbeit in allen musiktherapeutischen Organisationen (Gründung der Kasseler Konferenz und der BAG Musiktherapie, Vorstandsarbeit u.a. bei der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft – DMTG und der European Music Therapy Confederation – EMTC) gab mir einen sicheren Boden.
Aber das parteipolitische Feld hat auch Besonderheiten: was bedeutet z.B. ein Initiativantrag, wie arbeitet die Gesundheitsdeputation, die ein wichtiges Gremium zwischen Bürgerschaft und Senat im Land Bremen ist. Ein Antrag muss „kurz, aktuell und knackig“ sein, so ein guter Rat, den ich befolgte. Da ich rechtzeitig vor der anstehenden Bundeskonferenz die Zustimmung der ASG zu zwei Anträgen (KüTh) erhalten hatte und die Antragskommission in Berlin diese dann in das Antragsbuch aufgenommen hatte, wollte ich sie als ASG-Delegierte nun auch persönlich in Berlin vertreten.
Künstlerische Therapien bisher in drei Parteiprogrammen sichtbar
Als im Wahljahr 2023 des Landes Bremen das „Zukunftsprogramm der SPD für die Landtagswahl 2023 – 2027“ geschrieben wurde, konnte ich drei Forderungen zum Regelungsbedarf der KüTh unterbringen (siehe Musiktherapeutische Umschau, 2/2023, Editorial von Volker Bernius). Als Nächstes nahmen die Grünen in ihr Europa-Wahlprogramm im November 2023 ebenfalls die Forderung nach gesetzlicher Anerkennung auf. Diese Forderung wurde von Benigna Bacher, Berufspolitische Beauftragte der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft für Baden Württemberg, eingebracht.
Und drittens wurden, wie oben erwähnt, zwei Anträge der ASG Bremen bei der ASG-Bundeskonferenz am 15. Juni 2024 in Berlin beschlossen (hier geht es zum pdf mit dem Auszug aus dem Antragsbuch zur ordentlichen Bundeskonferenz der SPD). Vorher hatte mich die Mitgliederversammlung mit 18 GenossInnen zusammen mit dem ASG-Vorsitzenden zur Delegierten in die Bundeskonferenz 2024 gewählt. Dieses Gremium auf Bundesebene ist das höchste im Gesundheitsbereich, trifft sich einmal jährlich, und beeinflusst maßgeblich die politische Arbeit der Abgeordneten des Bundestags.
Die Bundeskonferenz
Mit gemischten Gefühlen, schwankend zwischen Stolz auf das gute Wahlergebnis zur Delegierten der SPD/ASG/Land Bremen, und Zweifeln vor einem Auftritt im noch unbekannten Gremium der Gesundheitskonferenz fand ich mich im Willy-Brandt-Haus ein, einem imposanten Gebäude, und stand tatsächlich vor dem bekannten Denkmal von Willy Brandt. Mehr als 80 Delegierte waren nach Landeszugehörigkeit in einem technisch gut eingerichteten Konferenzraum platziert, Bremen saß neben Bayern. Die Lebensläufe der Kandidaturen für den neu zu wählenden Vorstand konnte man in der Broschüre am Platz lesen, die Tagesordnung war vorab versandt worden. Ehe die Anträge behandelt wurden, grüßten die Vorsitzende der SPD und der Bundesgesundheitsminister die Delegierten per Video.
Von 11 bis 14 Uhr stimmten wir über verschiedene Konferenzgremien ab., dann gab es weitere Berichte und Wahlen zum ASG-Vorstand. Der bisherige ASG-Vorstand Boris Velter, sowie Steffi Dehne von der ASG Bremen, wurden mit viel Applaus wiedergewählt. Die technische Organisation klappte bestens und bei einem kurzen Mittagessen war Gelegenheit, mit anderen Delegierten ins Gespräch zu kommen.
Fast 100 Anträge vorgestellt
Die fast 100 Anträge waren von der Antragskommission in zwei Tagen vorher übersichtlich eingeordnet und mit Empfehlungen zur weiteren Bearbeitung versehen worden. Künftig soll der etwas sperrige Name ASG durch „SPD Gesundheit“ ersetzt werden.
Einige Leitanträge bezogen sich darauf, dass das Gesundheitsthema in allen Politikbereichen eine Rolle spielen sollte. Auch ein Leitantrag zu „Armut und Gesundheit“ wurde angenommen. Die Fülle der Anträge zu Klimaschutz, zur Bürgerversicherung, zur Krankenhausreform, zur Pflegeversicherung, zur Lage der Apotheken oder zur Kindergesundheit überstieg fast den zeitlichen Rahmen.
Das Präsidium tat sein Möglichstes, mit der knapp werdenden Zeit umzugehen, um pünktlich um 17.00 abzuschließen. Das war eine großartige Leistung! Der letzte Antragsblock, zu dem auch „meine“ Anträge über die KüTh gehörten, wurde aus Zeitgründen nur noch pauschal und ohne Diskussion beschlossen. Ein wenig schade, denn ich hätte gerne diese Anträge persönlich vorgestellt und damit noch mehr auf den neuen Gesundheitsberuf aufmerksam gemacht.
Abschließende Gedanken zur berufs- und parteipolitischen Arbeit
Warum überhaupt Berufspolitik in den demokratischen Parteien machen? Wir, das heißt die Angehörigen unserer Berufsgruppe, sind doch selbst durch die berufsqualifizierenden Ausbildungen, die Studiengänge, die Forschungen usw. von der Qualität und den Potentialen der Künstlerischen Therapien überzeugt. Doch unsere Leistungen können noch nicht verschrieben werden, selbst wenn ein Mediziner es wollte – nur ein Beispiel. Warum ist dann der Weg zu einem Berufsgesetz, das ja dem Patientenschutz dienen wird, so unendlich lang, möchte man fragen?
Der DMtG-Vorstand arbeitet doch seit Jahren unter Hochdruck zusammen mit eigentlich zugewandten Politikern oder benachbarten Fachorganisationen, wie z.B. dem Deutschen Musikrat und der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien (BAG KT) in zeitaufwendigen Expertengesprächen daran, unsere beruflichen Interessen in konkrete Politik zu überführen. Erfolge wie jüngst beim Parlamentarischen Frühstück im Mai mit mehr als 30 Parlamentariern und aus Ministerien wechseln sich mit frustrierenden Erfahrungen ab. Die Arbeit ist oft zäh – vielleicht sind die Ehrenamtlichen Engagierten auch mal müde?
Was bedeutet es also, wenn wir gute Parteiprogramme und Beschlüsse „auf dem Papier“ sehen? Sind es nur gut gemeinte Ziele und schöne Worte, wenn z.B. die SPD verspricht „sich an einer bürgernahen Gesundheitspolitik“ zu orientieren? Was zählt, wäre die Umsetzung in konkrete Politik.
Jedoch ist die oben geschilderte erhöhte Sichtbarkeit der Künstlerischen Therapien sicherlich ein Erfolg. Sie bietet uns meines Erachtens eine Chance, hartnäckig nachzuhaken, nachzuhaken, nachzuhaken!
Links
Bundesarbeitsgemeinschaft Musiktherapie (BAG KT) – www.bagkt.de
Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DMTG) – www.musiktherapie.de
European Music Therapy Confederation (EMTC) – www.emtc-eu.com
Deutscher Musikrat (DMR) – www.musikrat.de